Ruhrgebiet. Heiraten ist wegen Corona nur zu zweit erlaubt. Die meisten Paare kommen trotzdem zum Standesamt. Anna und Andreas aus Mülheim sagen heute Ja.

Heute ist der Tag. Der schönste in ihrem Leben. Das soll so sein, das wird so sein und doch ganz anders als geplant. Anna und Andreas heiraten. Wegen Corona nicht in Las Vegas, sondern im Rathaus von Mülheim. Wegen Corona allein mit der Standesbeamtin, ohne Gäste, ohne Feier, ohne Flitterwochen. Aber mit Überzeugung: „Wenn wir das überstehen, schaffen wir alles.“

Sie hätten absagen können, verschieben, umplanen. Manche Paare tun das, allein in Dortmund fallen schon 40 Hochzeiten aus, weil die Verwaltung die Grenzen immer enger zog: erst 50 Gäste, dann nur noch 20, bloß die Trauzeugen, Kontaktverbot. Überall schalteten die Standesämter um auf „Bürohochzeit“, zwei Menschen, ein Beamter, Ja-Wort ohne Publikum. Für Anna aber, die in der Essener Verwaltung arbeitet, und ihren Andreas, angehender Speditionskaufmann, gab es kein Überlegen: „Wir bleiben dabei.“

Lange vor Corona: Heiratsantrag am Heiligabend

Nachtrag: Ein Fotograf hielt den Hochzeitstag dann doch fest – aus sicherer Entfernung.
Nachtrag: Ein Fotograf hielt den Hochzeitstag dann doch fest – aus sicherer Entfernung. © privat | Benno Cario

So stand es ja auch längst in die Ringe graviert: 4.4.2020. Anna Engemann und Andreas Przybyla, beide 33, haben auch vorher nicht lange nachgedacht. Im September 2019 erst lernten sie einander kennen und lieben, Heiligabend fiel er vor ihr auf die Knie: Heiratsantrag im Kreise der Familie. „Wenn man die Richtige findet...“, sagt er. „Wunderschön, meinen Traummann zu treffen“, sagt sie. Weil sie Las Vegas liebt, planten sie die Hochzeit gleich zusammen mit der Hochzeitsreise: Abflug am 1. April, weiße Limousine zur Kapelle am 4. April, danach Miami und eine kleine Kreuzfahrt. „Passt so schön“, fanden sie.

Aber dann war da dieser Morgen, als früh um sechs der Radiowecker plärrte: Sie wurden wach mit der Nachricht vom Einreiseverbot in die USA. Corona! Ein Schreck, ein Telefonanruf: ob Mülheim noch einen Termin freihabe am 4. April? Einen Tag, bevor der Krisenstab anders entschied, sagte das Standesamt zu. „Plan B“ sollte eine Ambientetrauung werden im Aquarius Wassermuseum. Doch Plan B hielt nicht.

Selbst die Trauzeugen dürfen nicht dabei sein

Die „Richtige“ und ihr Traummann: Anna Engemann und Andreas Przybyla freuen sich trotz allem auf ihre Hochzeit.
Die „Richtige“ und ihr Traummann: Anna Engemann und Andreas Przybyla freuen sich trotz allem auf ihre Hochzeit. © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

Immer wieder rief die Standesbeamtin an, jedesmal mit ruhiger Stimme: „Keine Sorge, Ihr Termin steht noch.“ Aber die Zahl der erlaubten Gäste schrumpfte, von 50 langsam auf Null. Aus Museum wurde Rathaus. „Eigentlich sind wir jetzt wieder auf dem Stand von Las Vegas“, sagt Anna Engemann. Aber das stimmt nicht ganz: Als Überraschung sollte dort ihr Bruder und Trauzeuge einfliegen, ein Hochzeitsgeschenk ihres Mannes. Nun darf auch er nicht dabeisein.

Persönlicher Glückwunsch: Hand aufs Herz

Und nicht einmal die Standesbeamtin wird ihnen die Hände schütteln. Aber es gebe auch andere Gesten, sagt die Leiterin des Mülheimer Standesamts, Katrin Dente: „Hand aufs Herz, ein Lächeln tief in die Augen.“ Sie gewöhnt sich schon daran. Gummihandschuhe, eine Glasscheibe zwischen ihr und den Brautpaaren, das fände sie zu unpersönlich. Trotzdem tun ihr die Paare „total leid“: „Es gibt wohl keinen Bereich in der Verwaltung, der so emotional ist und für die Menschen so bedeutend.“ Sie alle haben doch geplant, geträumt, sich vorgefreut.

Auch bei den künftigen Przybylas wird es kein feines Essen geben nach der Zeremonie, keine fröhliche Feier. Die, nach einer kirchlichen Trauung, ist für Ende Juli geplant, aber wer weiß das gegenwärtig schon. „Wir bangen ein bisschen“, sagt Anna, „wir haben Hoffnung, dass es irgendwie zustande kommt. Es ist ja noch etwas hin.“ Heute aber „geht es um uns beide“, und das finden sie irgendwie auch schön.

Die Ringe sind fertig, die Blumen ausgesucht, nur der Hochzeitsanzug fehlt

Der Juwelier in Essen hat es noch geschafft, die Ringe auszuliefern. Beim Blumenladen durften sie durchs Fenster den Brautstrauß aussuchen: weiße, rosafarbene Frühlingsblumen, „so voller Leichtigkeit“, sagt Anna, „wie wir das alles nehmen“. Das weiße Rockabilly-Kleid, nun ja, das hätte vielleicht besser nach Vegas gepasst als nach Mülheim; Andreas hat gar keinen neuen Anzug mehr kaufen können, bevor die Geschäfte schlossen (wie die Männer so sind, er hatte es aufgeschoben). Aber es wird sich etwas finden im Schrank, „was man anziehen kann“. Und die Hochzeitsnacht „machen wir uns zuhause schön, warum muss man dazu irgendwohin in die Welt“.

Auch interessant


Die Standesbeamten in Mülheim, das haben sie versprochen, werden ihnen den Moment schön machen. Wie allen Paaren in der Stadt, die in diesen Tagen nicht wanken: Von 33, die sich in den vergangenen zwei Wochen das Ja-Wort geben wollten, haben seit dem Kontaktverbot nur zwei abgesagt. Auch Anna und Andreas sollen sich erinnern an „ihre verrückte Hochzeit“. Und die sehen das genauso: „Das hier ist unsere Geschichte, die werden wir noch unseren Enkeln erzählen.“ Ein guter Grundstein für ihre Ehe, finden sie. Schließlich: „Einfach kann jeder.“

>>INFO: „BÜROHOCHZEITEN“ AUCH IN ANDEREN STÄDTEN

Wegen der Kontaktsperre haben die Städte im Revier ihren In Zeiten des grassierenden Corona-Virus’ gibt es keine Ambiente-Trauungen an besonderen Orten mehr, das Heiraten ist nur noch im Standesamt selbst erlaubt. Gäste sind nicht zugelassen, das Brautpaar bleibt mit dem jeweiligen Standesamten allein.
Gestattet wird in Ausnahmefällen, etwa in Mülheim, ein Fotograf – mit Sicherheitsabstand. Und, wenn nötig, darf ein Dolmetscher anwesend sein. Um einen erweiterten Personenkreis bei Trauungen auszuschließen, etwa mit wartenden Angehörigen vor dem Rathaus, wurde in Duisburg zudem ein Sicherheitsdienst bestellt.