Bochum. Viele werdende Eltern sind in großer Sorge. Welche Gefahren birgt die Corona-Pandemie für Schwangere und Neugeborene? Eine Betroffene erzählt.
Am 23. April soll das Baby kommen. Mitten in der Corona-Krise. Anke Tüselmann blickt der Geburt ihres ersten Kindes dennoch gelassen entgegen. „Ist doch das natürlichste der Welt“, sagt die 31 Jahre alte Bochumerin fast trotzig. Anders vorgestellt hat sie sich ihre Schwangerschaft trotzdem.
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Wo sie entbinden möchte, war bereits im November entschieden. Damals gab es ja noch Info-Veranstaltungen der Kliniken. Auch die „Tragetuchberatung“ hat Anke Tüselmann noch „geschafft“, und den Geburtsvorbereitungskurs gar nicht gewollt – als gelernte Physiotherapeutin, mit soeben abgeschlossen Studium der „Gesundheitsförderung und -prävention“. Freund Martin konnte immerhin den ersten Teil seines „Vaterkurses“ absolvieren, bevor der Corona-bedingt abgesagt wurde. Die Erstausstattung fürs Kind liegt parat, genau wie die „Kliniktasche“ für die angehende Mutter fertig gepackt ist. Und das Wichtigste: Das Baby, ein Junge, entwickelt sich prächtig, hat sich sogar schon in die perfekte Schädellage gedreht. Beim letzten großen Ultraschall im Januar maß es stolze 30 Zentimenter. „Es ist ein fröhlicher Hüpfer in meinem Bauch“, freut sich Tüselmann. So wie es sein sollte in der 36. Schwangerschaftswoche.
Darf der Vater mit in den Kreißsaal?
Doch in diesen Tagen ist nichts, wie es sein sollte. Und deshalb fand das„Geburtsplanungsgespräch“ von Anke Tüselmann am Montag nicht wie geplant im Bochumer Augusta-Klinikum statt, wo sie gebären möchte, sondern: telefonisch. Deshalb sieht sie ihre Frauenärztin nur noch zu Ultraschall-Terminen und die Hebamme, die sie seit dem 4. Monat betreut „deutlich kürzer“ als gewohnt. Und deshalb weiß die 31-Jährige auch nicht, ob ihr Freund bei der Geburt tatsächlich dabei sein kann. Noch sei das im Augusta erlaubt, sagt sie. „Aber wer weiß schon, was im April sein wird… Natürlich hätte sie ihren Martin, einen Agrarökonomen, gern dabei. „Es wäre schön, diesen Moment zu teilen. Und er wäre mir sicher eine Stütze“, glaubt Tüselmann. Und ergänzt lachend: „Der hat schließlich schon mal ein Kalb entbunden.“ Doch zur Not: „wird’s wohl auch ohne ihn gehen. Das Baby muss ja raus.“
Andere Schwangere sind weniger entspannt. „Permanent“, berichtet Benedikt Gottschlich, leitender Arzt der Geburtshilfe im Bochumer Augusta-Klinikum, klingele bei ihm derzeit das Telefon. Das Corona-Virus verdirbt vielen werdenden Eltern nicht nur die Vorfreude, „sehr, sehr viele haben auch sehr, sehr große Sorgen“. Tatsächlich sei das Thema „Darf der Vater dabei sein?“ das am häufigsten angeschnittene. Inzwischen gibt es sogar eine Online-Petition, die sich dafür stark macht. Die Kliniken im Revier handhaben die Frage unterschiedlich, immer mehr Geburtsstationen lassen inzwischen nur die Mütter in den Kreißsaal, eines in Velbert schloss die Väter erst aus – und lud sie dann wieder ein. Betroffene sollten sich rechtzeitig informieren. Im Augusta darf trotz generellen Besuchsverbots im Haus „eine Person die Schwangere bei der Geburt begleiten“ – und sogar mit ihr zusammen im Familienzimmer übernachten, „so lange wir dafür noch Betten frei haben“, sagt Gottschlich. Allerdings dürfen Partner, Freundin oder Schwester als Begleiter dann die Klinik nicht mehr verlassen.
Sollte die Geburt besser noch rasch eingeleitet werden?
Viele Frauen fragten zudem, ob denn die demnächst anstehende Geburt nicht sofort eingeleitet werden könne; oder ob ein Kaiserschnitt nicht sinnvoller sei, als mitten auf dem Höhepunkt der Corona-Krise, der ja erst noch erwartet wird, das Baby zur Welt zu bringen. „Sicher nicht“, sagt Oberarzt Gottschlich. „Das passiert nur, wenn es medizinisch geboten ist. Und nicht aus Furcht vor einem Virus.“
Andere scheuen den Weg ins „verseuchte“ Krankenhaus, überlegen, ob eine Hausgeburt derzeit nicht ungefährlicher sei. Das Bundesgesundheitsministerium empfiehlt Schwangeren – in Verdachtsfällen und bei bestätigter Covid-19-Infektion – allerdings explizit, für die Geburt eine Klinik aufzusuchen, „in der das Kind kontinuierlich elektronisch überwacht werden kann“.
Ihre WG, sagt Anke Tüselmann, würde eine Hausgeburt sicher mitmachen. Nur ihr selbst sei das „nicht geheuer“. Mindestens bis zur U2, der Babyuntersuchung etwa 48 Stunden nach der Geburt, will sie – wenn möglich – im Augusta bleiben. Hebammenverbände fürchten allerdings, dass in den nächsten Monaten die Wöchnerinnen mit ihren Babys eher früher als sonst entlassen werden. „Ist möglich“, räumt Frauenarzt Gottschlich ein. Er selbst habe in der vergangenen Woche eine frischgebackene Mutter schon am zweiten Tag nach dem Kaiserschnitt nach Haus geschickt.
Dürfen die Großeltern uns nach der Entbindung besuchen?
Corona-Krise und schwanger? Was bisher an Fakten bekannt ist
Schwangere scheinen der WHO und den ersten Daten aus China zufolge kein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf zu haben. Auch der Berufsverband der deutschen Frauenärzte erwartet, dass die große Mehrheit der Schwangeren bei einer Infektion mit dem Corona-Virus höchstens „leichte bis mittlere Symptome“ aufweise.
Es gibt der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zufolge derzeit keinen Hinweis darauf, dass Covid19 auf ein Kind im Mutterleib übertragbar ist. Es sei zudem „eher unwahrscheinlich, dass das Virus beim Fetus zu Anomalien führt“, so der Frauenärzte-Verband. Allerdings wurden bislang erst 20 Fälle (aus China) bekannt. Kein einziges Baby der erkrankten Mütter infizierte sich. Alle kamen gesund zur Welt.
Eine Übertragung aufs Neugeborene – durch Tröpfcheninfektion – ist dagegen sehr wohl möglich, zeigen Fälle aus Italien. Experte Gottschlich würde dennoch dazu raten, eine erkrankte Mutter nur gemeinsam mit ihrem Kind zu isolieren. „Eine Trennung wäre für beide schlimmer, denke ich.“
Gegen Stillen gibt es keine Einwände. Es sei in diesen Zeiten eher „noch sinnvoller“, so Gottschlich.
Der Geburtshelfer nennt die aktuelle Situation „surreal“, große Sorgen um Schwangere und Neugeborene hat er aber nicht; beide, sagt er, „sind soweit wir bislang wissen nicht besonders gefährdet, keine Risikogruppe“. Was ihm stattdessen Angst macht? „Das ganze Drumherum“, sagt er. die wirtschaftlichen Folgen der Krise; ob sein Personal gesund bliebe; wie er den Betrieb aufrecht erhalten könne, wenn Mitarbeiter in Quarantäne gingen, ob bald Gynäkologen auf den Intensivstationen aushelfen müssten.
Anke Tüselmann hat zusammen, was sie fürs Baby braucht; ihre Freundin aber, „die hat bis letzte Woche voll gearbeitet“, deren Kind kommt erst Ende Mai. „Sie hat noch keine Erstausstattung, nichts – und nun sind die Geschäfte alle dicht“. Der Mann einer anderen Freundin, die vor sechs Monaten entbunden habe, wollte diese Woche in Elternzeit gehen – „und darf nicht“. Er ist Neurologe, als Arzt derzeit unabkömmlich.
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„Da hatten wir mehr Glück“, sagt Anke Tüselmann. „Ich kann nicht klagen.“ Aber auch sie und ihr Freund werden nach der Geburt wohl ohne die Hilfe anderer auskommen müssen. Ist das Baby da, dürfen es die frischgebackenen Omas und Opas nicht einmal im Krankenhaus besuchen. Das dürfen nicht einmal Geschwisterkinder. „Schon ein wenig bitter“, räumt die Schwangere ein. So, wie es ihr als „sozialem Menschen“ derzeit auch schwer falle, Abstand zu den eigenen Eltern und Großeltern zu halten. „Schicken wir nach der Geburt eben ganz viele Fotos“. Und die Mütter des Paars haben schon versprochen, für die junge Familie zu kochen: Hühnersuppe will die eine vor die Tür stellen,, „irgendwas Nahrhaftes mit Bohnen oder Linsen“ die andere. „Zum Einfrieren, das hilft uns ja auch“.
„Ich wünschte, ich hätte Corona schon. Dann könnte ich mein Kind nicht anstecken“
Ihre größte Sorge, gesteht Anke Tüselmann, sei die, dass sich das Neugeborene den Virus einfange. „Für Säuglinge ist die Erkrankung ja doch nicht so easy“, glaubt sie. Und nun ist sie auch noch erkältet, und hustet. „Ich wünschte tatsächlich, ich hätte Corona. Dann wäre es ausgestanden und ich könnte mein Kind nicht mehr anstecken.“ Sie hat bei der Hotline der Stadt angerufen. Und erfahren, dass man sie nicht testen können. „Keine Kontakte zu Erkrankten, keine Risikogruppe, hieß es.“
„In 20 Jahren“, sagt Benedikt Gottschlich seinen Patientinnen neuerdings oft zur Aufmunterung, „werden Sie Ihren Kindern stolz erzählen, in welch abenteuerlicher Zeit sie geboren wurden.“