Essen. Großbritannien verlässt am 31. Januar die EU – für viele Briten im Ausland ein Grund, sich einbürgern zu lassen. Zwei Betroffene erzählen.
Am 31. Januar sagen die Briten der EU „Bye bye“. Aber nicht alle: So haben sich die WAZ-Redakteure Christopher Shepherd und James Brunt einbürgern lassen und besitzen nun neben der britischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft. In einem nicht immer ganz ernst gemeinten Interview erläutern sie ihre Beweggründe.
James, du bist jetzt Deutscher. Heißt du nun nicht mehr Brunt, sondern vielleicht Brandt?
James Brunt: Nein, aber ich höre auch auf alles, etwa, wenn Leute mich James Blunt nennen, also wie den englischen Schnulzensänger. Eigentlich ist mein erster Vorname Sebastian, aber so hießen fünf Jungs in meinem Jahrgang. In der fünften Klasse sollten wir uns im Englischunterricht englische Namen geben, da habe ich naheliegenderweise meinen Zweitnamen James genommen, und dabei ist es geblieben
Hast du deinen Namen geändert?
Christopher Shepherd: Auch nicht, obwohl Christopher Shepherd sich ja leicht in Christoph Schäfer hätte ändern lassen können, denn das ist die deutsche Übersetzung meines Namens. Doch meiner Frau gefällt der Name Shepherd. Da wollte ich durch eine Änderung lieber keinen Ärger mit ihr riskieren.
Jetzt aber konkret: Bist du für oder gegen den Brexit?
Christopher Shepherd: Ich bin ein erklärter Brexit-Gegner. Aber auf mich hat ja niemand in England gehört. Okay, mich hat auch niemand gefragt. Und ich durfte mich als Exil-Brite auch nicht am Brexit-Referendum beteiligen. Am Tag der Abstimmung bin ich bis 4 Uhr wachgeblieben und habe mit zunehmender Fassungslosigkeit verfolgt, wie meine Landsleute sich entschieden hatten. Wir werden die negativen Folgen des EU-Ausstiegs, denke ich, schon bald spüren. Ich habe auch Zweifel, dass in der Übergangsphase bis Jahresende noch ein vernünftiger Austrittsvertrag mit der EU gelingt.
Und wie stehst du zum Brexit?
Ich bin ebenfalls dagegen. Ich glaube auch, dass Boris Johnson die Position Großbritanniens überschätzt. Viele Brexit-Befürworter meinen, dass das Land immer noch eine große Nation mit einem Empire ist und alle nur darauf warten, Handelsverträge mit Großbritannien abzuschließen. Aber da kommt wahrscheinlich Hochmut vor dem Fall. Ich hoffe trotzdem, dass es nicht so schlimm wird.
Was waren die Hauptbeweggründe für dich, Deutscher zu werden?
Christopher Shepherd: Zunächst einmal: Dank meiner familiären Situation – meine Mutter und meine Frau sind Deutsche, unsere Kinder haben die deutsche und die britische Staatsbürgerschaft – hätte ich auch nach dem Brexit keine Nachteile in Deutschland gehabt. Natürlich wollte ich auch EU-Bürger bleiben. Doch die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen, war auch ein Bekenntnis zu Deutschland, dem Land, in dem ich seit über 40 Jahren lebe. Ich werde auch nach jetziger Erkenntnis nie mehr aus Deutschland wegziehen, zumindest die Briten brauchen sich also nicht mehr zu fürchten.
Und warum bist du Deutscher geworden?
James Brunt: Bei mir ist es ähnlich. Mein Lebensmittelpunkt ist Deutschland, auch meine Mutter und meine Frau sind Deutsche. Zwar wollte ich mit 18 in England studieren. Aber wie das so ist mit Jugendplänen, sie ändern sich. Daher bin ich hier geblieben. Ich genieße die Freizügigkeit in der EU, weswegen ich ebenso Deutscher werden wollte. Das Problem mit dem Brexit ist die Unsicherheit. Es kann ja sein, dass ein toller Vertrag mit der EU ausgehandelt wird. Vielleicht aber auch nicht. Ich hatte auch noch gehofft, dass der Brexit nicht kommt. Aber nun ist er da, die eigentliche Arbeit mit den Verhandlungen beginnt jetzt. Für mich ist der Brexit der Berliner Flughafen der Politik.
Wann hast du die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen – und was hast du bei deiner Einbürgerung empfunden?
Christopher Shepherd: Beantragt hatte ich die Einbürgerung im August 2019, am 15. Januar habe ich die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Ich sollte mich um 8 Uhr im Amt für Migration und Integration in Düsseldorf einfinden, wollte mich aber auch gleich als guten Deutschen präsentieren und war schon um 7.25 Uhr da. Zunächst musste ich mich zum deutschen Grundgesetz bekennen. Das habe ich gerne gemacht, schließlich plane ich keinen Staatsstreich und will auch keine Monarchie hier einführen – mir reichen da die britischen Royals. Und als die Beamtin dann mit feierlicher Miene sagte: „Mit der Überreichung dieser Urkunde sind Sie deutscher Staatsbürger“, war das schon ein sehr bewegender Moment.
Und deine Einbürgerung?
James Brunt: Die war ein bisschen surreal. Nach dem Bekenntnis zum Grundgesetz war ich plötzlich Deutscher, habe 255 Euro für den Verwaltungsakt bezahlt, und das war es. Was interessant war: Ich habe an meinem Geburtstag das Schreiben erhalten, dass ich eingebürgert werde. Das war ein schönes Geschenk.
Und was ist das für ein Gefühl, nun auch Deutscher zu sein? Was schätzt du daran?
Christopher Shepherd: Es ist immer noch ein wenig komisch. Dein ganzes Leben sagst du: ‚Ich bin Brite.‘ Nun heißt es: ‚Ich bin Deutsch-Brite‘. Aber es ist gut so. Und an Deutschland schätze ich sehr die Verlässlichkeit und Stabilität – mal von so kleinen Ausrutschern wie dem schon von dir angesprochenen Flughafen Berlin Brandenburg oder Stuttgart 21 abgesehen.
Wie ist es für dich, nun Deutscher zu sein?
James Brunt: Auch noch etwas seltsam. Nun bekomme ich schon bald meinen Personalausweis. In England gibt es kein Meldewesen. Wenn man also dort ein Konto eröffnen möchte, muss man eine Hundesteuerlizenz oder die Sozialversicherungskarte mitbringen, da dort eine Adresse vermerkt ist. Was das Tagtägliche anbelangt, hat sich aber für mich nicht viel geändert.
Was gefällt dir an Großbritannien?
Christopher Shepherd: Natürlich das delikate Essen und das schöne Wetter – wer isst nicht gerne Baked Beans zum Frühstück oder geht im Sommer bei Dauerregen ins Freibad? Aber tatsächlich: Ich liebe das englische Landleben und auch den britischen Sinn für Humor – schließlich haben wir ja Boris Johnson zum Premierminister gewählt. Außerdem können wir immer noch Scherze auf unsere eigenen Kosten machen. Klar: Bevor andere über uns lachen, machen wir es lieber selbst.
Was schätzt du an dem Land?
James Brunt: Ich liebe Cricket, wenigstens da sind die Engländer Weltmeister. Ich mag auch den Humor: Wenn ich Comedy-Serien auf Englisch schaue, ist das etwas anderes. Das ist Humor mit dem Florett und nicht mit dem Vorschlaghammer.
Zu wem hältst du nun im Fußball, zu England oder Deutschland?
James Brunt: Das erste Fußballspiel, an das ich mich erinnern kann, ist England gegen Argentinien 1986 – das mit der berühmten Hand Gottes, von Diego Maradona. Ich sagte zu meinem Vater: „Das darf der doch nicht, oder?“ Aber das Tor zählte. Und da manifestierte sich bei mir das Gefühl, dass die Engländer es immer schaffen zu verlieren – ob durch Pech oder Unvermögen. Deswegen halte ich immer noch masochistisch eher zu England.
Und für wen schlägt dein Herz?
Christopher Shepherd: Ich halte immer zu beiden Ländern, aber doch einen Tacken mehr zu den Engländern. Die haben einfach ältere Rechte, meine ersten Fußballspiele habe ich halt in England gesehen. Das prägt. Außerdem muss ja einer zu den Verlierern halten. Aber wenn Deutschland jetzt mal wieder England schlägt, kann ich nun zumindest sagen: ‚Wir haben gewonnen‘.