Moers/Ruhrgebiet. Dass Stadtbüchereien sonntags geschlossen sind, versteht kein Mensch. Viele Städte planen, das zu ändern. In Moers beginnt die neue Zeit.
Etliche Stadt- und Stadtteilbüchereien im Ruhrgebiet werden in diesem Jahr beginnen, sonntags zu öffnen. Planungen dafür laufen etwa in Bochum, Duisburg und Essen, auch Oberhausen denkt daran und Bottrop für einen späteren Zeitpunkt. In Dinslaken läuft ein entsprechender Test, Recklinghausen und Witten haben bereits kurz auf.
In Moers eröffnete an diesem Wochenende bereits die erste derartige Bücherei. Sie öffnet zusätzlich auch noch abends, aber dann, ebenso wie am Sonntag, ohne Personal. Nur ein Wachdienst geht kurz vor Schluss einmal durch, und Kameras zeichnen das Geschehen für drei Tage auf.
Erstaunliche Öffnungszeiten: an sechs Tagen von 10.30 Uhr bis 22 Uhr
Als die neue Zeit beginnt für die Stadtbüchereien, ist eigentlich alles beim Alten, ehrlich gesagt. Denn an dem ersten Tag, an dem die Bücherei von Moers ohne jedes Personal öffnet, arbeiten mindestens 20 ihrer Leute.
Sie betreuen das Eröffnungsprogramm aus Musik, Quiz und Bilderbuchkino, vor allem aber wollen sie miterleben, wie das Projekt startet, für das sie so lange vorgearbeitet haben. Ihre Bücherei bietet seit diesem Wochenende nämlich ganz erstaunliche Öffnungszeiten: dienstags bis sonntags immer von 10.30 Uhr bis 22 Uhr.
Für Rückgabe und Entleihe gibt es mehr Automaten als früher
„Ich mach’ mir die Welt, wie sie mir gefällt“, das Pippilotta-Lied, spielt gerade die junge Saxophonistin Leticia Carrera zur Eröffnung – und ein bisschen ist es ja so gelaufen. Denn dass Stadtbüchereien ausgerechnet sonntags, wenn viele Leute Zeit haben, geschlossen sein mussten, versteht kein Mensch. Nun hat die Stadt Moers die Bücherei technisch so aufgerüstet, dass die langen Öffnungszeiten möglich sind ohne zusätzliche Arbeitsstunden.
Tagsüber und an den Wochenende vormittags sind die Fachkräfte da, zu den anderen Zeiten machen die Entleiher alles selbst: Die Eingangstür erkennt den Büchereiausweis und öffnet sich, für Rückgabe und Entleihe stehen die üblichen Automaten zur Verfügung, aber mehr als früher. „Das wird jetzt spannend zu beobachten, was in den nächsten Wochen passiert“, sagt Ursula Wiltsch, die Leiterin.
Neues „Bibliotheken-Stärkungsgesetz“ in NRW lässt die Sonntagsöffnung zu
Viele Revierstädte arbeiten bereits daran, ihre Büchereien sonntags und/oder abends zu öffnen. In Essen geht der Plan im März in die Gremien, Bochum und Duisburg wollen noch 2020 mit Stadtteilbibliotheken beginnen. Einzig Witten hat schon länger sonntags auf, mit einem kleinen Trick: Das Personal des Kunstmuseums in demselben Gebäude hat dann einen Blick auf die Bücher.
Bisher ist es nämlich Mitarbeitern von Stadtbüchereien in Deutschland verboten, sonntags zu arbeiten. Das Land NRW hat das ein bisschen umgangen mit dem neuen „Bibliothekenstärkungsgesetz“. Die Sonntagsöffnung ist darin vorgesehen, aber keine Pflicht.
Manche Büchereien wollen den Sonntag auch mit Personal stemmen
Freilich gibt es auch Städte, die den Sonntag mit Fachpersonal stemmen wollen. Die Sonntagsöffnung sei „eine schöne Möglichkeit und Wertschätzung“, sagt Diana Bengel, die Leiterin in Oberhausen: Aber man wolle „nicht nur die Räume stellen, sondern auch Fachpersonal. Nicht wie ein Autohaus, das sonntags öffnet.“ Möglichkeiten dazu ergeben sich aus der künftigen finanziellen Förderung aus Mitteln des Landes für Kulturprogramme.
In Moers jedenfalls, technikgesteuert und personalfrei, wenigstens eigentlich, ist es am Wochenende voll. Menschen lesen und leihen natürlich, andere spielen oder basteln, sie stöbern, unterhalten sich. Dass sie da sind, verrät ja schon, was sie denken über die neuen Öffnungszeiten.
„Samstags fand ich es immer schade, dass sie mittags zu machte“
Eine Leserin wie Silvia Klein ist also durchaus repräsentativ, wenn man sie fragt. „Ich finde das toll, weil man dann wirklich kommen kann, wenn man Zeit hat. Vor allem sonntags“, sagt sie. Und: „Bisher konnte ich die Bücherei in der Woche gar nicht nutzen, und samstags fand ich es immer schade, dass sie mittags zu machte. Gerade sonntags kann man ja ein bisschen stöbern gehen, wenn vielleicht schlechtes Wetter ist.“
Denn den Büchereien geht es eigentlich sogar um mehr als nur mehr Service. Fachkreise diskutieren deren Zukunft unter dem Stichwort ,Dritter Ort’. Neben dem Zuhause und dem Arbeitsplatz sollen demnach Bibliotheken ein Platz werden, wo Menschen sich treffen und miteinander kommunizieren, ohne kommerziell bedrängt zu werden.
Bibliothekare erhoffen sich eine deutliche Aufwertung der Büchereien
Ursula Wiltsch sagt es so, die Leiterin in Moers: „Wir wollen die Bibliothek weiter zu einem Wohlfühlort entwickeln, der zum Verweilen und zur Freizeitgestaltung einlädt und für alle Bevölkerungsteile zugänglich ist.“ Der Hintergedanke der Szene: Das wäre eine deutliche Aufwertung der Büchereien, die bisher als „freiwillige Leistung“ der Städte eingestuft sind. Dieser Status ist finanziell immer ein bisschen bedrohlich.
Ungefähr 50 vertrauenswürdige Leser waren in Moers schon seit Weihnachten gebeten, die Bücherei spät abends zu nutzen und ihre Erfahrungen zu teilen. „Manche fanden es ein bisschen unheimlich“, sagt Wiltsch. Doch das wird sich ändern, wenn jetzt mehr Leute kommen. Eines allerdings ändert sich nie: Ein Schild im Eingang kündigt stark verkürzte Öffnungszeiten für Weiberfastnacht und Nelkensamstag an. Die Welt ändert sich: Aber Rheinland bleibt Rheinland.