Duisburg. Dieses VW-Urteil hat es in sich. Sollte es bestätigt werden in der nächsten Instanz, beginnt die Verjährung mit einem Interview bei Markus Lanz.

Ein Duisburger Richter setzt eine neue Verjährungsfrist für Klagen gegen VW – allerdings will der Autokonzern in Berufung gehen. Würde das Urteil bestätigt werden, wären Klagen bis Juni 2023 möglich. Nach gängiger Rechtsprechung sind neue Klagen auf Schadenersatz seit spätestens 2019 nicht mehr möglich. Drei Jahre zuvor hatte VW seine Kunden mit einem Brief über die manipulierten Abschalteinrichtungen informiert. Viele Gerichte setzen den Beginn der Verjährungsfrist sogar noch eher, auf das Datum der ersten Berichterstattung über den Skandal. In der ungewöhnlichen Begründung des Richters Bernd Bellenbaum spielt TV-Moderator Markus Lanz eine entscheidende Rolle.

Der Kläger Stefan Jansen (links) mit Anwalt Tanju Kötüh.
Der Kläger Stefan Jansen (links) mit Anwalt Tanju Kötüh. © FUNKE Foto Services | Daniel Elke

Der unglückliche Autobesitzer Stefan Jansen, ein Agenturleiter aus Moers, fühlte sich „von VW beschissen“, sagte er zu Prozessbeginn im September 2019. Die Abgasrückführung des Golfs seiner Frau sei kurz nach dem Software-Update kaputt gegangen. Zudem habe man ja extra ein Fahrzeug mit grüner Plakette angeschafft, damit sie in die Düsseldorfer Umweltzone pendeln könne, einen Golf Cabrio Tdi, Baujahr 2012, Kaufpreis bei Kilometerstand 14.000 noch 19.790 Euro.

Nun sprach ihm das Gericht noch 8.237 Euro und 34 Cent zu – gegen Rückgabe des Autos. Das entspricht zwei Drittel der Klagesumme (die sich nach dem Listenrestwert richtete), da das Gericht „höhere Gebrauchsvorteile“ einsetzte. VW muss zahlen wegen „vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung“ – allerdings hat der Konzer schon angekündigt, Einspruch einzulegen gegen das Urteil. Ähnlich haben schon viele Gerichte entschieden – nur die Begründung hat es diesmal in sich.

Die Salami-Taktik

Seine späte Klage Ende 2018 erklärte Jansen mit der scheibchenhaften Aufklärung des Konzerns. Mit der Salami-Taktik des Autobauers argumentiert auch das Landgericht Duisburg. „Die Verjährung begann erst, als der Kunde alle Umstände kannte, die er für eine Klage benötigte“, erläutert Sprecherin Sarah Bader die Urteilsbegründung. „Und das war 2015 noch nicht der Fall.“ Erst am 18. Juni 2019 gab VW-Chef Herbert Diess ein Interview in der Sendung von Markus Lanz, in der er sagte: „Das, was wir gemacht haben, war Betrug, ja.“ Dadurch sei das erste Mal erkennbar geworden, dass VW zugestehen könnte, unrechtmäßig gehandelt zu haben, hatte Richter Bellenbaum zum Prozessauftakt gesagt.

VW interpretiert die Äußerung seines Vorstandsvorsitzenden anders. Diess habe sich auf einen Abgasskandal Ende der 70er in Kalifornien bezogen. Dieser war tatsächlich zwei Fragen zuvor Thema im TV-Interview, formal lässt sich hier also ein Bezug herstellen. Der Duisburger Richter hingegen glaubt, Diess komme vor seinem Betrugs-Geständnis indirekt „zurück auf die aktuelle Problematik“. Der VW-Chef habe zudem auf die Folgefrage drei Sekunden geschwiegen. „Er wirkte auf mich eher so, als wäre ihm bewusst geworden, dass er da einen Fehler begangen hat.“

Diess war persönlich geladen

Um ihn persönlich dazu zu befragen, hatte Richter Bellenbaum den VW-Vorstandsvorsitzenden im September auch geladen, dieser war allerdings nicht erschienen – was auch nicht üblich ist. Das Gericht habe „auch verwertet, dass Herr Diess von der Möglichkeit der weiteren Aufklärung zu diesem Interview keinen Gebrauch gemacht hat“, erklärt Sprecherin Bader.

„Auf der Ebene der Landgerichte gibt es immer mehr Urteile, die im Jahr 2019 eingereichte Klagen abweisen“, sagt ein VW-Sprecher dazu. „Die Dieselthematik beherrschte ab Ende September 2015 sämtliche deutsche regionale und überregionale, sowie auch internationale Medien. Kläger können sich deshalb nicht darauf berufen, Ende 2015 nicht gewusst zu haben, dass ihr Fahrzeug betroffen ist.“ VW beharrt trotz Milliardenstrafen in den USAdarauf, dass die Abschalteinrichtungen nach EU-Recht legal gewesen seien und der Schaden durch ein Software-Update behoben sei. Die Rechtsprechung hierzu ist bislang uneinheitlich, eine höchstrichterliche Entscheidungist dieses Jahr zu erwarten.