Essen. Welch ein Wandel: 2010 eröffnete Horst Köhler schneesturmumtost die Kulturhauptstadt. Am Freitagabend sprach er bei Frühlingswetter. Über Klima.

Drinnen im Festsaal auf Zeche Zollverein spielte das Jazztrio noch mal etwas elegisch Grönemeyers „Komm zur Ruhr“, das er eigens zur Kulturhauptstadt-Eröffnung geschrieben hatte und dass irgendwie doch nicht zur Nationalhymne für das einstige Revier geworden ist.

Aber draußen war zu sehen, was nicht zuletzt Sinn und Zweck der Kulturhauptstadt des Jahres 2010 war: Große, schöne, junge Bilder von der Ruhr. Für die ganze Welt. Untermalt mit packender, lauter, dramatischer Musik. Sie laufen über Eck auf den enormen Fassaden des alten Zechen-Giganten, wo genau wie vor zehn Jahren an zwei Tagen nach dem offiziellen Akt ein Bürgerfest gefeiert wird, mit vielen Attraktionen für Familien, umsonst und – drinnen. Ist ja Winter.

Fritz Pleitgen riet zu langen Unterhosen

Allerdings nicht so sehr wie damals: Altbundespräsident Horst Köhler kreiste am 9. Januar vor zehn Jahren lange über der sturmtief-vereisten Landebahn in Düsseldorf. Und ist dem sibirien-erfahrenen Fritz Pleitgen heute noch dankbar für den dringenden Rat, lange Unterhosen anzuziehen. Aber nicht die überreichte Horst Köhler nach dem Festakt dem Ruhrmuseum, das ja ebenfalls vor zehn Jahren auf Zollverein eröffnet wurde, sondern den Schwarzwälder Hut, den er damals zum Schutz vor dem dichten Schneetreiben trug und am Ende begeistert schwenkte.

Horst Köhler, der am Freitagabend zur Zehn-Jahres-Feier der Kulturhauptstadt noch einmal der Festredner war, schwärmte von der menschlichen Wärme in all der Kälte damals: „Nicht jammern – anpacken! Das ist hier die Mentalität!“ Und die wünschte er sich auch für die „neue, große Transformation, den langfristigen Abschied von Kohle, Öl und Gas“, dem Umbau zur „ökologisch-sozialen Marktwirtschaft“, der ungeheuer dringlich sei. Köhler schlüpfte in die Rolle eines „Fridays for Future“-Botschafters und beschwor die Fähigkeiten des Ruhrgebiets zum Experiment, zum Wandel. Heute brüte an der Emscher der Vogel, den man Anfang der 90er-Jahre gezeigt bekommen habe, wenn man den jetzigen Zustand des Flusses beschrieben hätte.

Isabel Pfeiffer-Poensgen: Ruhrgebiet wurde ohne Debatte Kulturhauptstadt-Kandidat

Köhler betonte, „dass man auf das Erreichte stolz sein kann, aber sich nicht darauf ausruhen darf.“ Und dass auch in Zukunft noch wichtige Werte wie „Liebe, Freundschaft, Zeit für sich und andere „weitgehend CO2-neutral“ seien.

Später, bei einem Podiumsgespräch, verriet die heutige NRW-Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos), die damals die Vorsitzende der Jury zur Beurteilung der deutschen Kulturhauptstadt-Kandidaten war, dass das Ruhrgebiet nach der Besichtigung von zehn Städten ohne jede Diskussion sofort zum Kandidaten gekürt worden sei: „Der Umgang mit dem Transformationsprozess hat uns überzeugt“. Sie setzt große Hoffnungen darin, mit ihrem Projekt Künstlermetropole Ruhr Künstler aus aller Welt hierher zu holen, weil „weil das Ruhrgebiet noch nicht so furchtbar fertig ist wie Berlin.“ Man kann davon ausgehen, dass ihr der Doppelsinn ihrer Worte bewusst war...

Überhaupt nicht fertig: Das Bus-und-Bahn-Netz, sagt Thomas Kufen

Überhaupt nicht fertig aber, das betonte der Essener Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU), ist das Bus- und Bahn-Netz hier – „in Berlin steigen die Leute aus dem Ruhrgebiet ganz selbstverständlich in die Bahnen, zu Hause kennen sie noch nicht einmal die Haltestelle vor ihrer Haustür“. Vielleicht auch, weil sie wüssten, dass man mit Bus und Bahn überall hin kommen kann – , „aber nicht wieder zurück!“ Dafür gab es tatsächlich den lautesten Beifall des Abends.