Bochum. Sie ließ ihr Leben als Prostituierte in Bochum hinter sich, heiratete einen IS-Mann in Syrien. Am Dienstag wurde sie verurteilt – und kam frei.
Am Ende fließen Tränen. Derya Ö. (27) schluchzt in ein Papiertaschentuch, ihre Schwiegermutter applaudiert vorsichtig im Zuschauerbereich des Oberlandesgerichts in Düsseldorf: Der 5. Strafsenat hat Derya Ö. aus Bochum wegen Mitgliedschaft in der Terrororganisation IS gerade zu zwei Jahren neun Monaten Haft verurteilt. Aber weil sie fast zwei Drittel ihrer Strafe in Bielefeld und zuvor unter fürchterlichen Bedingungen in der Türkei bereits abgesessen hat, darf sie den Saal als freie Frau verlassen. Das Gericht hebt den Haftbefehl auf: „Wir sehen keine Fluchtgefahr“, sagt die Vorsitzende Richterin Karina Puderbach-Dehne am Ende einer dreieinhalbstündigen Urteilsbegründung.
Hochzeitsnacht im Folterkeller
Dreieinhalb Stunden, in denen die Richterin noch einmal die Geschichte einer jungen Frau erzählt, die daheim in Bochum, Duisburg und Wuppertal in der Sackgasse steckt, sich als Prostituierte verkauft und die
schließlich aus vermeintlicher Liebe zu einem deutschen IS-Terroristen nach Syrien reist, um ihn dort nach islamischem Recht zu heiraten.
Sie erzählt von einer Hochzeitsnacht in einem verdreckten Folterkeller, von zahllosen Umzügen in Syrien und im Irak, von einem Ehemann, der Derya schlägt, würgt und demütigt, von Scheidung und erneuter Hochzeit, von Flucht und Rückkehr, von einem gemeinsamen Sohn (heute vier), von Schussübungen, an denen sie teilnimmt.
Ihr Mann wird vermutlich hingerichtet
Ihr Mann wird später unter Spionageverdacht verhaftet und vermutlich hingerichtet. Sie flieht in die Türkei zu ihrer Großmutter, wird verhaftet und später nach Deutschland abgeschoben.
Zwar sei Derya Ö. nicht aus politischer Überzeugung IS-Mitglied geworden, sie habe es nur in Kauf genommen, um bei ihrem Mann sein zu können, urteilt das Gericht. „Aber bei Ihrer Rückkehr nach Syrien“, hält Puderbach-Dehne ihr vor, „hatten sie schon eigene Erkenntnisse, was für eine blutrünstige und gewalttätige Organisation der IS ist.“
Derya Ö. hantiert mit Sturmgewehren des IS
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Ihr Hantieren mit Sturmgewehren fließt ins Urteil ein, der Versuch, einen Sprengstoffgürtel ihres Mannes in einer What’s-App-Gruppe zu verkaufen, ebenso. Und weil sie Häuser und Apartments bewohnte, die der IS den Eigentümern abgenommen hatten, ist Derya Ö. auch wegen Kriegsverbrechen schuldig.
Das Gericht hielt ihr allerdings zugute, dass sie „von Beginn an geständig war“, als Zeugin „in erheblichem Maß“ bei der Aufklärung andere Fälle mit deutscher IS-Beteiligung half, und dass sie nicht vorbestraft war. „Außerdem“, so die Richterin, „habe ich gehört, dass Sie in der Haft große Fortschritte gemacht haben.“
Mit einer Therapie soll sie ihre Traumata überwinden
Ein Aussteigerprogramm soll ihr helfen. Und eine Therapie – um die schrecklichen Erlebnisse irgendwann einmal zu überwinden