Ruhrgebiet. Sie werden beschimpft und geschlagen. Wie Verkehrsunternehmen im Revier auf die Attacken gegen ihre Busfahrer und Kontrolleure reagieren.
Bochum, Anfang des Jahres. Als der Fahrer eines Linienbusses eine Frau und zwei Männer darauf hinweist, dass ihre Fahrscheine bereits benutzt und daher ungültig sind, greift das Trio den Mann an, zerreißt ihm sein Hemd, bevor die drei aus dem Bus flüchten. Einen Busfahrer in Gelsenkirchen trifft es vor einigen Wochen noch schlimmer. Er wird brutal auf den Kopf geschlagen und getreten, als er ein Paar mit abgelaufenem Ticket auffordert, den Bus zu verlassen. Kein Alltag im Ruhrgebiet, aber leider auch keine Einzelfälle mehr.
An Rhein und Ruhr wird geschimpft und gepöbelt. Und es wird geschubst und geschlagen. Mal sind Fahrer oder Kontrolleure die Opfer, mal sind es die Fahrgäste. In manchen Städten immer öfter, in anderen zumindest immer wieder. Aber ob Essen, Dortmund, Bochum, Oberhausen, Gelsenkirchen oder Duisburg: „Natürlich“, sagen die Sprecher der jeweiligen Verkehrsbetriebe, „ist Sicherheit ein großes Thema bei uns.“
„Die Zahl der Beleidigungenist angestiegen“
Ein einheitlicher Trend ist allerdings nicht festzustellen. Bei der Duisburger Verkehrsgesellschaft (DVG) bewegt sich die Zahl der gemeldeten Fälle im Jahr 2019 „im sehr niedrigen zweistelligen Bereich“. Im Vergleich zum Jahr 2018 sei die Zahl der gemeldeten Übergriffe auf Mitarbeiter sogar zurückgegangen, sagt DVG-Sprecher Felix zur Nieden. „Die Zahl der Beleidigungen dagegen ist angestiegen.“
„Wir haben 2019 genau 20 verbale und sechs leichte tätliche Übergriffe verzeichnet, wozu auch Bespucken zählt“, sagt STOAG-Sprecherin Sabine Müller in Oberhausen. Die Zahl der tätlichen Übergriffe in den Jahren 2016 bis 2018 lag in nahezu ähnlicher Größenordnung, die verbalen Übergriffe lagen 2018 etwas höher. Und Ruhrbahn-Sprecherin Simone Klose sagt, die Anzahl der Tätlichkeiten gegenüber Fahrdienstmitarbeitern habe in Essen und Mülheim nicht zugenommen. „Aber“, sagt sie auch, „wir beobachten, dass die Übergriffe intensiver werden.“
Hohe Schäden auch durch Vandalismus
Videoüberwachung und Sicherheits-Teams in Bussen und an vielen Stationen helfen nicht in jedem Fall. Noch immer werden Sitze aufgeschlitzt, Fenster verkratzt und Wände beschmiert.
Bei der Dortmunder DSW 21 gibt es jährlich noch Vandalismusschäden von rund einer Million Euro.
In Dortmund jetzt schon mehr Angriffe als im ganzen Jahr 2018
In Dortmund ist das Problem in diesem Jahr größer geworden. „Im ganzen Jahr 2018 gab es 13 körperliche Attacken auf unser Personal“, sagt DSW21-Sprecher Frank Fligge. 2019 hatten wir bis Anfang September bereits 14 Fälle. Die Zahl der dadurch entstandenen Krankheitstage stieg von 180 Tagen in 2018 auf bisher 326 im Jahr 2019. Wobei nicht erfasst wird, ob die Mitarbeiter wegen physischer und psychischer Probleme nach einer Attacke fehlen. Letzteres ist nicht ungewöhnlich, wie DSW-Sprecherin Britta Heydenbluth in vielen Gesprächen festgestellt hat. „Manche Betroffene haben an so einer Attacke lange zu knacken.“
Im Vergleich zur Zahl der beförderten Passagiere – allein in Dortmund waren es im vergangenen Jahr rund 130 Millionen – ist die Zahl der Vorfälle überall verschwindend gering. „Aber jeder Fall ist natürlich einer zu viel“, sagt Simone Klose. Deshalb gibt es nicht nur regelmäßig ein Deeskalationstraining für die eigenen Mitarbeiter, nahezu alle Verkehrsbetriebe im Revier haben auch die Sicherheitsvorkehrungen verschärft. Längst hängen in den meisten Bussen und Bahnen sowie an vielen Stationen Video-Kameras, werden Fahrer durch spezielle Scheiben geschützt, gibt es so genannte Überfalltaster in den Fahrzeugen, werden Kontrolleure nur noch in größeren Teams eingesetzt.
Mobile Sicherheitsteams zeigen Präsenz
Außerdem fahren in den größeren Städten wie Dortmund oder Duisburg – teilweise schon seit mehreren Jahren – auf vielen Linien in der Nacht und/oder am Wochenende mobile Sicherheitsteams in Bussen und Bahnen mit. „Präsenz zeigen“, sagt Felix zur Nieden. Zuletzt hatte die Vestische Straßenbahnen GmbH nach mehreren Vorfällen solche Präventions-Teams engagiert. „Das hat sich bewährt“, sagt Christoph Van Bürk, Sprecher der Vestischen. Sowohl bei Fahrern als auch bei Fahrgästen habe sich das Sicherheitsgefühl verbessert, wie sich aus mehr als 300 Rückmeldungen gezeigt habe.
Die Rekrutierung neuer Mitarbeiter macht das alles für die Verkehrsbetriebe in den letzten Jahren nicht einfacher. Natürlich erfahren sie nicht, wieso Leute sich nicht bewerben aber ein Sprecher eines großen ÖPNV-Betreibers ist überzeugt, „dass das raue Klima viele abschreckt“. DSW-Sprecherin Heydenbluth will soweit nicht gehen, weiß aber eines ganz genau. Ob Fahrer oder Kontrolleur: „Der Job ist kein Zuckerschlecken.“