Duisburg. Am Reformationstag 1844 hob Theodor Fliedner seine „Diakonenanstalt“ aus der Taufe. Nun ist daraus eine Stiftung mit 2600 Mitarbeitern geworden.

Wo Theodor Fliedner gestorben ist, weiß man. In Kaiserswerth, im Oktober 1864. Aber hier, gute 15 Kilometer nordwestlich, da lebt seine Idee weiter: „Pflege und Wohnen am Park“ heißt der Campus und liegt mitten im Ortsteil Großenbaum. Hier ist die Fliedner-Stiftung gewissermaßen nach Hause gekommen, zurück zu ihren Ideen und zurück in jene Stadt, in der der evangelische Theologe vor 175 Jahren seine Diakonenanstalt aufbaute – am 31. Oktober 1844. Die Diakonissenstiftung, das weibliche Pendant, ist immer noch in Kaiserswerth zu Hause.

Hier in Großenbaum jedoch erblüht seit einem Jahr „Theo’s Gärtchen“. Zwischen dem Wohnhaus für behinderte Menschen, den Seniorenwohngruppen und der Pflegeschule ist im großzügigen Park ein Eckchen abgeteilt. „Viele Menschen können ja nicht mehr an größeren Ausflügen teilnehmen, aber für ein, zwei Stündchen in den Park – das geht“, erklärt Markus Fritsch, der den Bereich der Altenpflege leitet.

Udo Hermann ist 78und backt Waffeln – ehrenamtlich

Hochbeete, Duftgarten und Sonnenblumen für die Wildbienen. Heute ist es ein bisschen zu kalt für Outdoor-Aktivitäten. In der Wohngruppe duftet es nach Waffeln. Udo Hermann steht am Waffeleisen. „Meine Mutter wurde hier gepflegt, sie ist vor acht Jahren gestorben, aber seitdem komme ich immer noch hierher.“ Der 78-Jährige hilft im Laden auf dem Campus, einmal im Monat backt er Waffeln für die Bewohner, die im halbrunden Gebäude um drei große Tische sitzen. „Und wenn im Sommer draußen ein Fest ist, stehe ich am Grill.“

Menschen wie Udo Hermann sind es, die den Geist Fliedners wachhalten. „In den letzten Jahrzehnten hat man das Verhältnis von Kliniken, Pflegeheimen und den Bewohnern immer mehr als Beziehung zwischen Dienstleister und Kunde begriffen“, sagt Markus Fritsch. „Das ist es letztendlich auch, wenn es um die Zahlen geht. Aber im gemeinsamen Leben und Arbeiten im Alltag geht es doch immer vor allem um Beziehungen zwischen Menschen.“ Beziehungen entwickeln sich jedoch auch zwischen Institutionen.

Für Carsten Bräumer ist das Miteinander der verschiedenen Disziplinen hier am Campus Duisburg eine der gelungenen Ausdrucksformen des Grundgedankens von Fliedner, der zu den Mitbegründern der Inneren Mission gehört. Der Theologische Vorstand der Fliedner-Stiftung erklärt die Geschichte des heutigen Unternehmens: Mitte des 19. Jahrhunderts wollten die Kirchen das verarmte Proletariat wieder für sich gewinnen. Fliedner ließ dafür Diakone ausbilden. „Gewissermaßen war Fliedner ein Geburtshelfer der Sozialarbeit“, sagt Dirk Raskopf, Leiter der Fliedner-Akademie.

In Mülheim entstand eine der ersten Suchtkliniken

Die Diakone gingen dahin, wo die Not am größten war. Zu den Alten und Kranken, Behinderten, auf Fliedners Initiative geht auch die Gründung einer der ersten Suchtkliniken, Haus Siloah in Mülheim, zurück. „Das Gute an dem Campus ist, dass hier so viele verschiedene Bereiche zusammenkommen. Dadurch entstehen Synergien – und neue Ideen“. In einem der neuesten Gebäude auf dem Campus lernen Lara Jösch, Michelle Gammerschlag und Nadine Kunth beim Pflegedozenten Carsten Kobus gerade, worauf es bei der palliativen Pflege ankommt, daneben steht die Großküche, die von hier auch das Fliedner-Dorf in Mülheim und das Krankenhaus in Ratingen mitversorgt, das als eines der wenigen Häuser in Deutschland auch eine Ambulanz für psychisch erkrankte Behinderte bereithält.

„Wohnen und Pflege im Park“ ist insofern eine höchst unvollständige Beschreibung dessen, was hier geschieht: Lernen, lehren, kochen, studieren und gemeinsam feiern. Auch Gottesdienst, selbstverständlich. Hier wie in Mülheim arbeitet ein evangelischer Pfarrer. Schließlich fügte die Innere Mission ihre Anfangsbuchstaben einst zu dem bekannten Kronenkreuz der Diakonie zusammen, das auch im Signet der Fliedner-Stiftung zu sehen ist.

Wenn Gertrud Boguslawski, die Leiterin des Wohnhauses für behinderte Menschen, es sieht, muss sie immer lächeln. „Unsere Bewohner nennen es ,das Kreuz mit Ohren‘.“ Vielleicht sind sie damit näher an der Wahrheit als man denkt: Soziale Arbeit, die mit Zuhören beginnt, kann so falsch nicht liegen.