Mülheim/Ruhrgebiet. Alle Städte bauen Asylunterkünfte ab – oder versuchen es jedenfalls. In Mülheim sollen Holzhäuser weiter den Saarner Kirmesplatz belegen.
Die meisten Flüchtlinge leben mittlerweile in Wohnungen, die Holzhäuser auf dem Kirmesplatz in Mülheim-Saarn stehen fast leer. Ihren Platz sollen die Bürger dennoch nicht zurückbekommen, obwohl ihnen 2015 versprochen wurde, dass die Flüchtlingsunterkunft dort nur eine Notlösung sei. Das Dorffest und das Martinsfeuer müssen die Saarner auf einem viel kleineren Platz abhalten, was zu Parkchaos und Verkehrsproblemen führt, von den Trödelmärkten, Zirkusgastspielen und Vereinsfesten ganz zu schweigen, die früher auf dem Platz an der Ruhr stattfanden. Und die Saarner Kirmes? Soll in der Stadtmitte bleiben – auch noch als „Mölmsche Kirmes“.
Einfacher kann die Stadt die Bürger nicht gegen sich aufbringen, findet Rainer Knoop vom Saarner Bürgerverein. Fünf Vereine aus „dem Dorf“ sammeln nun Unterschriften, um ihren Platz zurückzuerobern. Wobei es ausdrücklich nicht gegen Flüchtlinge geht. „Die wurden im Gegenteil gut aufgenommen in Saarn. Viele Ehrenamtliche haben sich um sie gekümmert. Der Aufreger ist, dass die Hütten für viel Geld hier stehen und man sie nicht wieder los wird.“
Das ist der Kern des Problems in vielen Städten des Ruhrgebiets: Der Zuzug von Flüchtlingen hat sich schon vor zwei Jahren normalisiert auf das Niveau vor den Krisenjahren 2015 und 2016. Aber so schnell konnten die Städte ihre Unterbringungskapazitäten nicht reduzieren – wegen langfristiger Mietverträge, weil jederzeit eine neue Flüchtlingswelle kommen kann und nicht zuletzt, weil Infrastruktur ein gewisses Beharrungsvermögen hat.
Kreativität ist gefordert
In Hattingen etwa soll nun ein Teil der Verwaltung in eine aufgegebene Asylunterkunft ziehen, die die Stadt für fünf Jahre angemietet und hergerichtet hatte, einen ehemaligen Industriekomplex, der nun lange leer stand. Einige Städte kommen auch gut voran mit dem Abbau: Oberhausen zum Beispiel hat 16 von 21 Unterkünften aufgegeben, was 1900 Plätzen entspricht. Nur noch 763 Plätze unterhält die Stadt, die zu 70 Prozent belegt sind.
Auch Essen hält nur noch 1000 Plätze in Gemeinschaftsunterkünften vor, weil es offenbar gut gelang, Flüchtlinge in Wohnungen unterzubringen. Eine geringe Belegungsquote von 57 Prozent nimmt die Stadt in Kauf, um eine Reserve zu haben, falls wieder mehr Flüchtlinge kommen – dazu gehört, das fast leerstehende Kloster Schuir zu unterhalten. Oder liegt es daran, dass die Stadt das 500 Betten fassende Kloster bis 2032 gemietet hat, just als der Flüchtlingszuzug zurückging (mit Ausstiegsklausel, die aber nicht greift, weil das Planungsrecht eine andere vorgesehene Nutzung verhindert)? Jedes Jahr kostet das einen knapp siebenstelligen Betrag – „eine gigantische Geldverschwendung“, wetterte Kai Hemsteeg vom Essener Bürger Bündnisses im Stadtrat.
Dem Vermieter gehört übrigens auch der Essener Opti-Park, den das Land NRW 2016 auf zehn Jahre gemietet hatte. Vor zwei Jahren zahlte es 16 Millionen Euro, nur um aus dem Vertrag zu kommen. Der wurde, muss man zugestehen, in der Not geschlossen, als die Krise auf dem Höhepunkt und ihr rasches Abflauen nicht vorhersehbar war. Damals improvisierten die Verantwortlichen in Verwaltung und Politik nur noch, viele Stadt überlegten sich eigene Lösungen.
Temporäre Lösungen haben ihre Vor- und Nachteile
Duisburg etwa kam als erste auf Zelte und wurde für die angeblich schlechte Unterbringung bundesweit gescholten. Doch bald griffen Städte in ganz Deutschland zu dieser Notmaßnahme. Nach dem Abbau der Zelte setzte Duisburg auf zwei Traglufthallen mit zusammen 760 Plätzen. Etwa sieben Prozent aller Flüchtlinge brachte Duisburg hier zwischenzeitlich unter. Dies haben sich „trotz vieler Bedenken als temporäre Nutzungsform in der Krisenzeit bewährt“, erklärt der Beigeordnete Thomas Krützberg. „Unser Fokus lag immer darauf, dass Flüchtlinge nicht über einem längeren Zeitpunkt hier verbleiben mussten. Um ihnen wenigstens etwas Privatsphäre zu gewährleisten, haben wir die Hallen nie voll belegt.“ Als die Situation sich entspannte, waren die Hallen Anfang 2018 tatsächlich rasch wieder abgebaut. Duisburg musste zwar wegen länger laufender Verträge noch rund zwei Millionen zahlen, im Vergleich ist die Stadt damit aber noch glimpflich weggekommen.
Mülheim hat sich in der Krise für hochwertige Holzhäuser entschieden, „weil die lange halten und später für andere Nutzungen eingesetzt werden können“, sagte Sozialdezernent Ulrich Ernst bei der Eröffnung des Saarner Flüchtlingsdorfes im Sommer 2015. Zelte standen in der Kritik und waren auch in der Miete überteuert, ebenso wie Container. 26 Millionen gab Mülheim also für eine langfristige Lösung aus – was die Stadt weiterhin als kostengünstige Lösung verteidigt. Dennoch steht sie im Wort, eine Nachnutzung zu finden, damit die Investition sich besser rechnet. Doch ein Versetzen ist teurer als gedacht: 800.000 Euro pro Pavillon kostete der Abbau und Wiederaufbau zweier Häuser als Erweiterung für eine Schule.
Der Zwang der Stadt
Man solle die Häuser verkaufen, fordert der Saarner Bürgerverein. Vereine hätten schon Interesse angemeldet. Doch die Stadt löst andere Standorte auf und will allein auf dem Saarner Kirmesplatz Kapazitäten erhalten – den das Grundstück gehört ihr und die Anlage ist für viel Geld auf Selbst-Catering umgestellt worden. Zudem könne man hier Menschen unterbringen, die kurzfristig aus brandgefährdeten Schrottimmobilien ausziehen müssen.
„Den Rückbau haben die einfach nicht eingeplant“, glaubt Rainer Knoop. Die Kirmes, weiß er, ist wohl verloren für den Stadtteil. Denn auch die Schausteller machen in der Stadtmitte ein besseres Geschäft. Aber ihren Platz hätten sie eben gerne zurück. „Das begreift doch der normale Saarner Bürger nicht.“
>> Info: Städte bauen Unterkünfte ab
Auch Mülheim hat schon über die Hälfte seiner Kapazitäten abgebaut, doch es verbleiben noch vorgehaltene 1372 Plätze – mehr als in Essen (1000) oder Dortmund (1219). Dortmund baute seit dem Höhepunkt der Krise mehr als zwei Drittel ab.
Hattingen hat prozentual noch stärker rückgebaut und von 1330 Plätzen auf 230 reduziert (die größtenteils belegt sind). In Recklinghausen (900 Plätze), Herne (701) Bottrop (450) liegt die Belegungsquote wie in den meisten Städten bei etwa 70 Prozent.