Oberhausen. Bei den Tafeln wächst vor allem eine Gruppe von Empfängern: ältere Menschen, überwiegend Frauen. Wir sprachen mit Betroffenen in Oberhausen.
Manchmal sagt Christine, dass sie 65 ist, manchmal sagt sie: 16. „Ich war schon tot, man hat mich wiedergeholt“, so erzählt sie von jenem Anfall am 20. November 2003. Vor der Krankheit hat sie „gutes Geld verdient“ im Friedensdorf, danach bekam sie 400 Euro Rente. Seit 2003 holt sie sich Lebensmittel ab bei der Oberhausener Tafel. Montags für die Woche, freitags für das Wochenende.
„Ich konnte damals nicht reden, ich habe mich nur angestellt und gezeigt“, sagt sie: „Heute verwechsele ich noch Zwiebeln und Zitronen.“ Lacht die Peinlichkeit weg, die sie empfindet. Im Geschäft bekomme sie für die zwei Euro, die sie auch hier bezahlen muss, „eine Gurke, Tomaten, Brot. Hier bekomme ich noch Eier und Kartoffeln dazu. Das ist viel Geld, was man sparen kann … Wenn ich neue Schuhe brauche, 20 Euro muss man da ja auch rechnen.“
„Ältere deutsche Damen, die sich zu Tode schämen, dass sie im Alter bedürftig werden“
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Ein ganz normaler Freitag bei der Tafel Oberhausen. Um 6.30 Uhr hat jemand die nicht mehr als Kirche genutzte Kirche „Heilige Familie“ aufgeschlossen, dann haben sie angefangen: Vorsortieren, umsortieren, Fahrer einteilen, Spenden abholen, auspacken. Die ersten Kunden sitzen im Hof. Ältere Leute überwiegend: die Klientel, die nach allen Prognosen in den nächsten Jahren stark wachsen wird.
Einen 20-prozentigen Anstieg bei der Gruppe der Senioren benennt Jochen Brühl, der Vorsitzende des Vereins „Tafel Deutschland“. Niedrige Renten, Grundsicherung und Langzeitarbeitslosigkeit seien die häufigsten Gründe, warum Menschen zur Tafel gehen. Friedhelm Bever von der Tafel Oberhausen beschreibt sie so: „Ältere deutsche Damen, die mit dem auskommen müssen, was sie haben, und sich zu Tode schämen, dass sie im Alter noch bedürftig werden.“
„Ich bin alleinstehend, was ich hier mitnehme, davon kann ich eine Woche leben“
Ingrid fällt schwer in den Stuhl, als sie sich hinsetzt, um zu erzählen: Sie hat gerade ein neues Kniegelenk bekommen. „Jetzt gehe ich ein bisschen schwer“, sagt die 79-Jährige. Sie kommt seit anderthalb Jahren, seit ihre Tochter, die von Hartz-4 lebt, sie auf die Tafel aufmerksam machte. „Ich bin alleinstehend, was ich hier mitnehme, davon kann ich eine Woche leben.“
Obst, Brot, Stuten und aus der Kühltheke, „was sie gerade haben“. Wurst nicht, „das sind immer so dicke Pakete“. Da kauft sie lieber zwei Scheiben im Supermarkt. Zur Tafel zu gehen, war anfangs nicht leicht. „Man kommt sich anfangs … aussätzig vor, so komisch.“ Das Gefühl habe eine Weile angehalten, dann flaute es ab. „Ich bekomme aber eine Rente, ich bin keine Hartz-4-Empfängerin.“
Von der Größe her ist die Tafel wie ein mittelgroßes Unternehmen
Eigentlich ist die Tafel ein mittleres Unternehmen. Rund 1400 feste Kunden, 112 Helfer, vier Wagen. Etwa 60 Unternehmen geben ihr Lebensmittel, alles denkbare Obst und Gemüse liegt in roten und grünen Kisten. Dazu die Sonderware: Paletten mit Senf, Reis, Hafergetränk, Pizzaschnecken. Zudem spenden einige Altenheime, Restaurants und Hotels warmes Mittagessen. Heute: Vegetarisch gefüllte Paprika mit Reis, gerade tragen zwei starke Männer sie in großen Warmhaltekannen in die Kirche.
„Altersarmut wird sich verschärfen, vor allem bei Frauen“, sagt die Oberhausener Tafel-Vorsitzende Petra Schiffmann (54): „Viele sind zuhause geblieben, weil sie nicht arbeiten durften, Kinder großgezogen oder ihre Eltern gepflegt haben.“
Scham und Überwindung bei den ersten Besuchen der Tafel
Der Mann von Ruth (65) ist erst arbeitslos geworden, dann Rentner, „das hat vorne und hinten nicht gereicht“. Als Kauenwärter hatte er früher gearbeitet, Ruth als Näherin und Putzhilfe, „aber das ging dann aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr“. Einmal in der Woche kommt sie her, „es ist nicht solche Qualität wie im Geschäft, aber dann bekommt man zwei Salatköpfe statt einem und macht ein paar Blätter mehr weg“.
Eine Bekannte „hat mir damals gesagt, dass man hier Lebensmittel kaufen kann“. Ihr Mann kommt auch, „aber nur zum Tragen, ich darf ja nichts mehr tragen“. Auch Ruth schildert „Scham“ und „Überwindung“ bei den ersten Tafel-Besuchen. Mit dieser Unterstützung kommen die beiden aber heute aus. „Man muss ein bisschen knapsen … Das ist jetzt viel seltener als früher, dass man in Läden reingeht.“
„Wir hatten ein Haus in den Bergen, und jetzt so ein Leben“
Bever, der 2. stellvertretende Vorsitzende, arbeitet Anrufe ab. Jemand will Quitten spenden. Ein anderer bietet 120 Kaffeetassen an. „Nehmen wir.“ Die Atmosphäre ist friedlich, die Leute sitzen in Gruppen beim Essen, unterhalten sich. Aber „alle, die hierher kommen, kommen nicht, weil es hier so toll ist“, sagt Bever:„Weil sie nichts haben, kommen sie her.“
Ursula hat bessere Zeiten gekannt, ihrer alten Brille sieht man noch an, dass sie Geld gekostet hat. „Wir hatten ein Haus in den Bergen“, sagt die 74-Jährige: „Und jetzt so ein Leben.“ Ursula bekommt Grundsicherung: „Ich habe als Friseuse gearbeitet, aber nicht viel. Mein Mann hat ja gut verdient, er war im Außendienst, aber er hat nicht eingezahlt.“
Ihr Mann starb vor drei Jahren, „dann wurde das Geld weniger, es ist alles weg“. Seitdem kommt sie zur Tafel, geht am Rollator, ist zu 70 Prozent behindert. „Stehen und alles kann ich nicht, ich habe das Gleichgewicht kaputt.“ Sie könne der Tafel nichts vorwerfen, aber ihre Situation sei „furchtbar … Ich habe fast nichts mehr zugekauft, ich habe noch Sachen von früher“. Neulich war sie zum ersten Mal in der Kleiderkammer. „Fünf Euro für zwei Pullover. Aber die waren nicht schlecht.“