Kleve. Sprinterin Madiea Ghafoor kam mit Kartons voller Drogen über die niederländisch-deutsche Grenze. In Dinslaken wartet sie auf nun ihren Prozess.
Zum letzten Mal lief Madiea Ghafoor im Juni in Marokko. Doch nach ihrem achten Platz beim Leichtathletik-Meeting in Rabat verschwand sie. Was erst Wochen später bekannt wurde: Die niederländische 400-Meter-Läuferin sitzt in Dinslaken in Untersuchungshaft. Die 27-Jährige soll versucht haben, mehr als einen Zentner Drogen nach Deutschland zu schmuggeln. Die Staatsanwaltschaft Kleve hat Anklage erhoben; bei der Weltmeisterschaft in Doha in wenigen Tagen muss die niederländische Staffel ohne ihre stärkste Sprinterin antreten.
Es ist der 18. Juni, drei Tage nach ihrem letzten Wettkampf. Madiea Ghafoor überquert allein mit ihrem geleasten Auto die deutsch-niederländische Grenze bei Elten und gerät in eine Zollkontrolle. Sie wolle zum Training nach Düsseldorf, erklärt sie den Beamten, die sie routinemäßig befragen. Die glauben ihr nicht, wollen wissen, was in den Kartons und Sporttaschen im Kofferraum ist. Nichts Verbotenes, behauptet die damals 26-Jährige noch, sie transportiere nur Sportschuhe. Doch in den Kisten finden die Zöllner 25 Pakete, fein säuberlich in Alufolie verpackt: 43,34 Kilogramm Ecstasy, 13,19 Kilogramm Chrystal Meth. Die Sportlerin wird sofort festgenommen.
„Zur Sache macht meine Mandantin zumindest derzeit keine Angaben“, sagt ihr Anwalt Norman Werner aus Oberhausen.
Für zwei Millionen Euro: Ecstasy und Chrystal Meth in Schuhkartons
Die Drogen, teilt die Staatsanwaltschaft später mit, hätten einen Schwarzmarkt-Wert von sicher zwei Millionen Euro. Im Handschuhfach finden die Ermittler zudem Bargeld: 12.313,50 Euro. G. soll behauptet haben, nur die 360 in ihrer Kleidung gefundenen Euro gehörten ihr. Ihr Anwalt in Amsterdam wird später indes sagen, es sehe nicht danach aus, als sei seine Mandantin in eine Falle gelockt worden.
Es dauert danach noch mehr als einen weiteren Monat, bis öffentlich wird, gegen wen die Staatsanwaltschaft im Juli Anklage erhebt: Madiea Ghafoor, in Amsterdam geborene Tochter pakistanischer Eltern, ist eine Spitzensportlerin, gehört in ihrer Paradedisziplin, dem 400-Meter-Sprint, zu den Top 20 der Welt. Mehrfache niederländische Meisterin, Teilnehmerin der Olympischen Spiele 2016 in Rio, qualifiziert mit der Staffel für die WM in Katar, die am 27. September beginnt. Sie gilt als ehrgeizige Einzelkämpferin, die ihrem Sport alles unterordnet; sie trainiert zehn-, elfmal in der Woche. Ein Wirtschafts-Studium legt sie dafür auf Eis, als Profi bekommt sie vom niederländischen Nationalen Olympischen Komitee (NOS) ein monatliches Salär von 2269 Euro.
Sprinterin nach letztem Lauf in Marokko vermisst
Bis die Staatsanwaltschaft in Kleve den Namen bestätigt, wird die junge Frau in Amsterdam vermisst. Beim Leichtathletik-Verband ahnt man nichts, ist aber beunruhigt: Dass „Maddy“ nicht zum Training kommt, ist ungewöhnlich, Trainer und Team machen sich Sorgen. Auch beim Pressetag am 27. Juni fehlt die Sportlerin unentschuldigt. Erst Tage später wendet sich die Familie an die „Atletiekunie“: Ihre Tochter könne vorerst nicht am Training teilnehmen, auch nicht an Turnieren. Als Grund werden „persönliche Umstände“ angegeben.
Am Tag, als bekannt wird, wo Madiea wirklich ist und warum, nimmt der Verband erstmals Stellung: Man habe „die Situation mit Bestürzung zur Kenntnis genommen“, wolle den weiteren Rechtsweg abwarten und die Privatsphäre der Sportlerin respektieren. „Wir sind geschockt“, sagt Ad Roskam, Technischer Direktor des Verbandes. Es habe keinerlei Anlass gegeben zu glauben, dass bei seinem Schützling irgendetwas schieflief, sagt Roskam dem „Algemeen Dagblad“. Auch Staffeltrainer Laurent Meuwly, der auf seine stärkste Läuferin verzichten muss, spricht von einem „Schock“: „Es wartet kein Athlet von diesem Niveau hinter den Kulissen“, so Meuwly gegenüber der Zeitung „Volkskrant“. „Die Mädchen wissen, dass wir Schnelligkeit und Können eingebüßt haben.“
Den nationalen Titel im 400-Meter-Lauf trägt jetzt eine andere
Inzwischen wird Madiea Ghafoor nicht mehr im A-Team des NOS geführt, in dessen Regelwerk steht, dass Sportler sich „in Übereinstimmung mit allgemeinen gesellschaftlichen Normen und Werten“ zu verhalten haben. Sie ist auch offiziell nicht mehr Teil der Staffel – schon weil sie bis zum Prozess in Untersuchungshaft bleiben muss. Der wird nach Auskunft des Landgerichts Kleve noch im Herbst beginnen, spätestens im Dezember.
In den sozialen Netzwerken postet die Sportlerin selbst zuletzt Anfang April, bei Facebook unter einem drei Jahre alten Foto der Athleten-Vereinigung. Ihre letzten Erfolge feiert sie hier im Sommer 2018. Unter jedem dieser Einträge hinterlassen Menschen nun ihr Entsetzen, oft auch Häme und nur manchmal ein wenig Trost.
Nur wenige Tage nach Bekanntwerden der Festnahme gewinnt bei den Niederländischen Meisterschaften über die 400-Meter-Distanz Lisanne de Witte – in Abwesenheit der Titelverteidigerin. Die Situation der Konkurrentin findet de Witte „sehr schade – für sie, für uns, für alle“.
Der Athletin geht es den Umständen entsprechend
„Meiner Mandantin geht es den Umständen entsprechend“, berichtet Ghafoors Anwalt Norman Werner. „Aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse und der räumlichen Entfernung zu ihrem persönlichen Lebensmittelpunkt ist sie natürlich als besonders haftempfindlich anzusehen.“ In der Gerichtsverhandlung werde zu klären sein, ob es sich bei der aufgefundenen Ware um Drogen, im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes handele. „Der Verteidigung“, so Werner, „liegt ein Wirkstoffgutachten noch nicht vor, so dass Erklärungen hierüber zumindest im gewissen Umfang spekulativ wären – und insbesondere ob meine Mandantin hiervon Kenntnis hatte.“
>>INFO: WEITERER NIEDERLÄNDISCHER SPRINTER IN HAFT
Knapp zwei Monate nach Madiea Ghaffoor wurde ein weiterer niederländischer Sprinter wegen des Verdachts auf Drogenhandel festgenommen: Den 21-jährigen 100-Meter-Läufer erwischte die ungarische Polizei im August auf einem Musikfestival in der Nähe von Budapest, wo er offenbar ein Kilogramm Ecstasy-Pillen, mehr als 450 Fläschchen mit betäubenden Mitteln und Marihuana verkaufte. Der EM-Teilnehmer von 2017 soll sogar eine Preisliste dabeigehabt haben.