Essen. Im Ruhrgebiet wird so viel Kleidung gespendet, wie noch nie. Warum das nur bedingt ein Grund zur Freude ist.
Nichts geht mehr am Altkleider-Container. So voll ist er, dass Spender ihre Tüten mit Jacken und Hosen schon daneben abgestellt haben – wenn sie sich überhaupt die Mühe gemacht haben, die Sachen in Tüten zu packen. „Das ist kein schöner Anblick“, sagt eine ältere Dame. „Das kann man doch alles nur noch wegwerfen.“
Vor allem ist es kein Einzelfall. „Wir bekommen mehr Überfüllungsmeldungen als früher“, bestätigt Thomas Ahlmann, Sprecher des in Essen sitzenden Dachverbandes „FairWertung“, einem bundesweiten Zusammenschluss von gemeinnützigen Organisationen und Einrichtungen, die Kleidersammlungen durchführen. „Eine Leerung pro Woche reicht an vielen Standorten schon lange nicht mehr.“
Eine Leerung pro Woche reicht oft nicht mehr
Man habe, sagt Jens Schmalenberg, Betriebsleiter des Beschäftigungsträgers der Diakonie Essen, deshalb stets ein waches Auge auf die rund 50 Stellen, an denen ein eigener Container steht. „Merken wir, dass das Leerungsintervall nicht mehr reicht, kommen wir öfter.“ Um gut 20 Prozent, schätzt der 61-Jährige, sei das Altkleideraufkommen in den vergangenen Jahren gestiegen. „Dabei haben wir als Diakonie schon immer viele Spenden von den Menschen in Essen bekommen.“
Aber auch in manch städtischen Container wird immer mehr eingeworfen. Sammelte die Stadt Duisburg etwa 2014 noch 1547 Tonnen Altkleider, waren es 2018 schon 2205 Tonnen – parallel dazu hat sich die Zahl der Container von 245 auf 430 erhöht hat.
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Viele davon müssen mittlerweile nach Auskunft der Wirtschaftsbetriebe Duisburg mehrfach in der Woche geleert werden. In ganz Deutschland, sagt FairWertung-Sprecher Ahlmann, würden pro Jahr eine Million Tonnen Altkleidung anfallen – Tendenz „stark steigend“. Schon die jetzige Menge ist „auf Lkw verladen eine Schlange von Kiel bis Innsbruck. Das ist viel mehr, als gemeinnützige Organisationen für karitative Zwecke vor Ort benötigen.“
Zahl der Kleidungskäufe hat sich verdoppelt
Die Steigerung kommt allerdings nicht unerwartet. Denn seit dem Jahr 2000 haben sich die Kleidungskäufe nach Recherche von Greenpeace weltweit von 50 auf über 100 Milliarden Kleidungsstücke mehr als verdoppelt. Moderiesen werfen mittlerweile bis zu zwölf Mal im Jahr neue Kollektionen auf den Markt. „Fast Fashion“ wird das Phänomen genannt - kurzlebige Mode. Heute gekauft, nächsten Monat schon nicht mehr angesagt und entsorgt.
Das Angebot an Altkleidung ist so groß, dass die Verwerter, bei denen die Sachen am Ende landen, mittlerweile Schwierigkeiten haben, vernünftige Preise beim Weiterverkauf zu erzielen. Viel schlimmer aber ist, dass die Qualität der Ware stetig sinkt. Was für wenige Cent in Asien produziert und für ein paar Euro in Billigläden verkauft worden ist, hat meist nur eine kurze Lebensdauer. „Manches ist schon nach der ersten Wäsche hinüber“, hat Schmalenberg festgestellt.
Fast die Hälfte der gespendeten Textilien ist nicht mehr tragbar
„Rund 45% der gesammelten Textilien sind nicht mehr tragbar – mit steigender Tendenz“, weiß auch Ahlmann. Daraus können noch Putzlappen oder Dämmstoffe gemacht werden. Aber: „In vielen Textilien“, gibt der Fairwertung-Sprecher ein Beispiel, „ist so viel Plastik verarbeitet, dass man sie kaum oder gar nicht mehr verwenden kann, zum Beispiel, weil sie nicht saugfähig sind.“ So bleibt schlimmstenfalls nur die „thermische Verwertung“, die Verbrennung. „Das zahlt am Ende der Verwerter.“ Und der holt sich das Geld bei den Sammlern zurück. „Die Preise, die wir für Altkleider beim Verwerter kriegen“, gibt Schmalenberg zu, „sind in jüngster Zeit stark gesunken.“
Branchenkenner berichten, dass sie sich fast halbiert haben. Statt – wie noch vor einigen Jahren - 500 Euro pro Tonne werden teilweise nur noch 250 Euro gezahlt. Die meisten Städte merken davon dank laufender Verträge derzeit noch nichts. „Aber ähnlich gute Verträge wird es in Zukunft eher nicht mehr geben“, ist Ahlmann überzeugt. Und das werden auch viele Kommunen spüren, denn es geht um teils hohe sechsstellige Beträge. Bochum etwa sammelt pro Jahr gut 1800 Tonnen Altkleider, in Essen sind es im Schnitt 2000 Tonnen, in Dortmund 2300 Tonnen.
Geld für soziale Projekte könnte knapp werden
Auch Jens Schmalenberg macht sich Gedanken. Die gemeinnützigen Sammler müssten zwar keinen Gewinn machen. Aber das Geld, dass sie für die Kleidung bekämen, die sie nicht selbst in ihren Kleiderkammern günstig weitergeben, sei ja bisher in andere soziale Projekte geflossen. „Da muss man dann sehen, wie man alles finanziert.“
Es gehe – zumindest der Stadt Dortmund – nicht um Gewinn, sagt Matthias Kienitz, Sprecher der „Entsorgung Dortmund GmbH“. „Alles ist besser, als die alten Sachen einfach zu verbrennen.“ Wenn aber genau das aufgrund der minderen Qualität der Kleidung die einzige Möglichkeit sei und man dauerhaft Geld zuschieße, statt mit den Einnahmen den Haushalt zu entlasten und gemeinnützige Organisation zu unterstützen, müsse man neu überlegen.
Wer alles Container aufstellt
Bei „Fairwertung“ sind mehr 130 gemeinnützigen Organisationen erfasst, die Altkleider für einen guten Zweck sammeln. Mit der Standort-Suche unter https://altkleiderspenden.de kann man herausfinden, wo der nächste FairWertung-Container steht.
Neben den gemeinnützigen Unternehmen gibt es in den meisten Städten auch kommunale Container. Die Erlöse aus diesen Containern sollen in den Abfallhaushalt fließen und dessen Kosten senken.
Außerdem gibt es gewerbliche Container. Dort wird nicht für einen guten Zweck gesammelt, sondern um möglichst viel Gewinn auf eigene Rechnung mit der eingeworfenen Ware zu machen.
Thomas Ahlmann ahnt, was bei solchen Überlegungen herauskommen könnte. „Irgendwann wird man sich fragen müssen, wer für die Entsorgung minderwertiger Textilien aufkommt und ob man dafür nicht auch die Hersteller in die Pflicht nimmt.“ Ansonsten, warnt er, „wird man langfristig vor der Entscheidung stehen, ob es sich noch lohnt, Altkleider zu sammeln.“