Ruhrgebiet. Als Pfad gab es ihn schon in der Steinzeit, heute nimmt die A40 seinen Platz ein: Am Hellweg entstand das Revier - was ist davon noch zu sehen?
Zuerst war der Weg. Dann kamen Siedler mit Steinäxten, dann römische Legionen, dann Karl der Große, er gründete Stationen. Heute heißen diese Essen, Bochum oder Dortmund, sie wuchsen mit der Hanse und explodierten mit Kohle und Stahl, die Preußen stampften die Straße zur Chaussee, nun kam das Auto, dann der Asphalt. Und der dreckige alte Hellweg wurde zur A40. Die Ruhrbarone traten ab, es blieben fünf Millionen Anwohner und eine auskömmliche Zahl Shoppingcenter.
Im Zeitraffer wird deutlich, dass das Ruhrgebiet ohne den Hellweg nicht denkbar ist. Er war zuerst da, ein Trampelpfad zu Beginn der Menschheitsgeschichte. Er ist keine Strecke, die das Revier erschließt - es entstand entlang des Hellweges. Er ist weiter präsent: als Name von Straßen, Apotheken, Vereinen und gelegentlich noch als identitätsstiftendes Merkmal: Wattenscheid, die alte Hellwegstadt! Doch schon der Mülheimer denkt eher an Baumarkt ... Der Hellweg ist mehr Erinnerung der Städte als Geschichte der Region - was sich erst hinter Dortmund ändert, jenseits der Industriekultur.
Warum nahmen die ersten Händler diesen Weg und keinen anderen? Weshalb wurde er so wichtig? Wie prägt eine 8000 Jahre überdauernde Infrastruktur noch immer unseren Alltag? Und was ist der Hellweg heute? Gehen wir auf Spurensuche.
Handel ist wie Wasser
„Man glaubt, dass der Hellweg schon zur Sesshaftwerdung der Menschen eine Straße war“, sagt Reinhild Stephan-Maaser, die Mittelalter-Expertin des Ruhrmuseums in Essen. An ihr wurden Pelitquarz-Beile aus den Vogesen, Amphibolit aus den Alpen und Bernsteine von der Ostsee gefunden. Und Handel ist wie Wasser: „Der Weg des geringsten Widerstandes wird zur Straße.“
Der Westfälische Hellweg verbindet den Rhein mit der Weser und führt über Duisburg und Dortmund, Soest und Paderborn bis Höxter. Ungefähr dort, wo einst die Ruhr in den Rhein mündete, begann der Pfad, er führt gleich in die Duisburger Innenstadt. Das Kuhtor steht längst nicht mehr, aber ein Platz in der Fußgängerzone heißt noch so - man kann sich vorstellen, wie es früher hier zuging. Heute ist der Hellweg Fußgängerzone, zwischen Subway und Postbank geht es weiter zum Mülheimer Schloss Broich, das einst die Furt über die Ruhr sicherte. Unser Weg hält sich nun nördlich des Flusses, stets über den einst sumpfigen Auen der Emscher, vermeidet unnötige Steigungen und duckt sich bei Dortmund in den Windschutz des Ardeygebirges und des Haarstrangs. Bis Paderborn führt er über den reichen Löss der Hellwegbörden, die sich während der Eiszeit vor rund 10.000 Jahren bildeten.
Nur wenig jünger sind die Faustkeile vom Rande des Hellwegs, die man im Dortmunder Museum für Kunst und Kulturgeschichte sehen kann. Alles andere aus dieser Zeit ist verrottet, doch die Pfähle der steinzeitlichen Hütten haben immerhin Spuren im Boden hinterlassen, weswegen die Archäologen wissen, dass am Hellweg einst Langhäuser für mehrere Familien standen, wie man sie ähnlich noch in Asien findet.
Eine Überraschung für Asterix-Fans
Auch die Zeugnisse der römischen Ära muss man in Museen suchen. An der Dortmunder Ritterstraße fanden Arbeiter 1907 den größten Schatz römischer Münzen auf deutschem Boden. Asterix-Fans erwarten im Stadtmuseum gleich mehrere Aha-Effekte: Die Münzen eines in Gallien stationierten Legionärs sind zu sehen. Und eine mit dem Konterfei Julius Cäsars. Ach, und eine Sichel.
Die Lippe war den Römern als Transportweg bedeutsamer, hier hatten sie ihre Lager. Doch – auch das deutet der Münzfund an – der Hellweg war ihnen eine wichtige Heerstraße, über die sie versuchten, die rechtsrheinischen Germanen zu unterwerfen. Er führt direkt in den Teutoburger Wald …
Der Eintritt ins Museum ist frei, der Besuch lohnt auch wegen der „wurmbunten Klinge“, einem rund 1500 Jahre alten Schwert mit reicher Legende. Die wertvolle Klinge mit den wuseligen Schweißmustern liegt auf dem nachgebauten Grab eines Adligen aus dem 6. Jahrhundert. Er hatte eine Langobardin zur Frau genommen und aus Oberitalien nach Dortmund geholt – was offenbar nicht konfliktfrei ablief. Sie wurde mit einer Pflugschar im Schoß begraben, woraus Archäologen schließen, dass sie ihre Keuschheit bei einem Gottesurteil beweisen musste. Wie die heilige Kunigunde sollte sie über glühende Pflugscharen laufen. In Dortmund-Asseln, 600 Meter südlich des Hellwegs, wurden „die Herrschaften“ begraben und 2004 gefunden. Vor Ort ist jedoch nichts mehr zu sehen – außer einer Neubausiedlung.
Der Kaiser ist immer auf Achse
Erst mit Karl dem Großen findet der Hellweg wieder Erwähnung. Und wie die Römer will der Franke Karl die rechte Rheinseite erobern, nimmt 775 die heutige Hohensyburg in Dortmund ein, bekehrt auch von hier die Sachsen zum Christentum. Aber selbst die Ausflugsruine über dem Zusammenfluss von Ruhr und Lenne ist neueren Datums. Der Hellweg war die wichtigste Versorgungslinie hinter der Front, war Heerstraße und Herrschaftsachse. Die Kaiser dieser Zeit hatten keinen festen Sitz, sie reisten, um ihre Macht zu sichern, erklärt Reinhild Stephan-Maaser. Und Karl legte am Hellweg alle 50 Kilometer Kaiserpfalzen an: Duisburg, Dortmund, Soest, Paderborn und Höxter. In Reitdistanz – und für die Fußsoldaten alle 15 bis 19 Kilometer einen Reichshof: Mülheim, Essen, Bochum …
Kaiser Karl soll auch Weihnachten und Ostern gefeiert haben am Hellweg, aber wann er wo genau Halt machte, ist nicht überliefert. In Essen-Steele jedoch dreht sich noch heute alles um seinen Nachfolger Otto, der hier 938 Gericht hielt. Er gründete auch die Kirche St. Laurentius. Zu ihrem Fuße geht es heute demokratischer zu, mit Eis und Mocca auf dem Kaiser-Otto-Platz und Senioren in der Kaiser-Otto-Residenz – ein Symbol für die geschichtliche Zerrissenheit des Ruhrgebiets. Fachwerk und Gründerzeithäuser haben sie abgerissen für solche Klötze, doch zwischen Kaiser-Otto- und Laurentius-Apotheke scheint sich das Revier nach einer Identität jenseits des Bergbaus zu sehnen.
Eine Lanzenbreite soll es sein
Hinter dem Betonwall des Steeler Bahnhofs heißt der Hellweg auch schlicht so. Eine grüne Wohnstraße, größtenteils Nachkrieg, Garagenhöfe mit Aussicht über eine Kleingartenanlage. Bergan auf den Steeler Berg, es muss beschwerlich gewesen sein mit dem Fuhrwerk. Eine Naturstraße war der Hellweg bis in die jüngste Zeit, kopfsteingepflastert nur im Zentrum der Städte. „Reisen war eine Qual“, sagt Axel Heimsoth, im Ruhrmuseum für Industrie- und Zeitgeschichte zuständig. Heute spritzen die Räder mit Vergnügen durch den Matsch am Hellweg – im Mountainbike-Center „Come“. Pferdeweiden und Äcker: Blickt man an der Wolfskuhle in die richtige Richtung, fühlt man sich in der Zeit versetzt.
Radfahr-Symbole zieren heute den Asphalt - weil der Hellweg nicht breit genug ist für einen richtigen Radweg. Im Mittelalter war er wohl nur unwesentlich schmaler. Eine Lanzenbreite sollten die Anwohner ihn von Bewuchs freihalten, daher vermutlich der Name: ein heller Weg.
Modern ausgebaut haben ihn erst die Preußen ab 1819. Und tatsächlich wird er gleich hinter Essen zur Chaussee, Tempo 70. So schnell fuhren die Kutschen damals nicht, weshalb die Preußen zunächst nur Steine zur Fahrbahn verpressten. „Die ersten Autos zogen gewaltige Staubwolken hinter sich her“, sagt Heimsoth. „Ihre Gummireifen rissen die Steine aus der Straße.“
Der Wattenscheider Hellweg ist eine richtige Hochstraße, zu beiden Seiten sieht man, nun, das klassische Ruhrgebiet. Doppelte Stromleitung, Schornsteine, Stadt an Stadt. Und dort fahren wir hinein. Kiosk, Klempner, Kolpinghaus. Döner und China-Nudeln, Plattenfassaden, Schiefer-Schindeln und zu wenig frische Farbe, die Preußen verkneifen sich jeden Schlenker. Die Pilgerkapelle St.-Bartholomäus verweist auf eine weitere Funktion des Hellwegs – als Teil der Jakobswege.
Mehrere Hellwege laufen parallel
Zwischen Möbel Hardeck und Ikea spannt sich der Werner Hellweg, es ist kein Zufall, dass die meisten modernen Marktplätze der Region weiter an dieser Achse liegen: das Duisburger Forum, das Rhein-Ruhr-Zentrum, der Ruhrpark. Die A40 und hinter Dortmund die A44 sind nicht gleichzusetzen mit dem Hellweg, aber sie folgen ihm dicht auf idealisierter Linie, sie sind seine Nachfolger. Überhaupt darf man sich diese historische Verbindung nicht als einen feststehenden Weg denken. Der Hellweg hat immer wieder seinen Lauf geändert, führte mal um die Städte herum, als sie hohe Zölle verlangten, und mal in sie hinein, als sie in Hansezeiten boomten. Gerade hier, am Castroper Sattel – ein natürliches Hindernis, das man in Zeiten des Autos gar nicht mehr registriert – gibt es noch immer zwei parallele Hellwege, den Werner und den Harpener. Wo der erste die A40 unterquert, ist die Autobahnbrücke uneinsehbar zugemauert mit Schallschutzblechen. Neu schneidet alt, man möchte nichts miteinander zu tun haben.
Dann das Gewerbegebiet „Alter Hellweg“, wie passend. Denn um Handel und Handwerk ging es von Anfang an, das hat sich durch die Industrialisierung, über Kohle und Stahl hinweg erhalten. Was hätte der Steinzeithändler, was hätten der römische Legionär, die Adlige aus Asseln oder der Hanse-Syndikus des 16. Jahrhunderts wohl zum Westenhellweg gesagt, der Einkaufspassage Dortmunds, eine der meistfrequentierten der Republik. Jeden Tag bieten Händler hier Waren aus aller Welt feil, schieben sich die Käufer in nie gesehener Dichte, Karls Kaiserpfalz muss irgendwo darunter liegen, man vermutet sie bei der Petrikirche.