Gelsenkirchen. Ist es die Dürre? Ohne Vorwarnung fallen in diesem Sommer dicke Äste von den Laubbäumen ab. Für Spaziergänger im Wald kann das gefährlich werden.

Es kann immer und überall geschehen. Selbst bei Windstille und Sonnenschein. Bei Esche, Ahorn, Pappel, Buche, Eiche. Bei allem, was Laub trägt. Entlang der Straße, vor allem aber im Wald. Ohne Vorwarnung bricht an einem scheinbar gesunden, grünen Baum ein dicker Ast ab und stürzt zu Boden. „Grünastbruch“ nennen Experten das Phänomen. „So oft wie in diesem Jahr“, sagt Reinhart Hassel, Leiter des Regionalforstamts Ruhrgebiet, „ist das noch nie passiert.“

Spaziergänger rufen im Forstamt an

Hat in diesem Sommer so viele herabgefallene Äste gesehen, wie noch nie. Reinhart Hassel, Leiter des Regionalforstamtes Ruhrgebiet.
Hat in diesem Sommer so viele herabgefallene Äste gesehen, wie noch nie. Reinhart Hassel, Leiter des Regionalforstamtes Ruhrgebiet. © dpa | Ulla Giesen

Früher, sagt Hassel, habe er das vielleicht einmal pro Jahr erlebt. „2019 dagegen bestimmt schon zehn Mal.“ Und den Kollegen und Kolleginnen geht es nicht anders. Ganz zu schweigen von den vielen Anrufen, die das Forstamt erreichen in diesen Tagen. „Da liegt ein dicker Ast auf dem Weg. Wenn der jemanden getroffen hätte…“

„Dann wäre es gefährlich geworden“, sagt Hassel. „Die Äste können lang und bis zu mehreren hundert Kilo schwer sein.“ Bisher aber ist glücklicherweise niemand verletzt worden. Damit das so bleibt rät der Förster zu „erhöhter Aufmerksamkeit“ bei Waldspaziergängen. Panik allerdings, sagt er auch, sei unangebracht.

„Wir wissen nicht, welchen Baum es trifft“

Bannen lässt sich die Gefahr nicht. „Trockene Äste kann man erkennen, das Gefahrenpotenzial einschätzen, Vorsorge treffen“, sagt Hassel. „Aber hier ist äußerlich ja nichts zu sehen. Wir wissen ja nicht, welchen Baum es trifft und welcher Ast des Baumes dann bricht.“ Absperren sei deshalb sinnlos. „Sie können ja nicht alle Wälder dicht machen.“ Grünastabbrüche seien eigentlich auch ein normales Phänomen. „Doch die nun zu beobachtende Häufung ist besorgniserregend.“

Alle Laubbäume sind von dem Phänomen betroffen.
Alle Laubbäume sind von dem Phänomen betroffen. © Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

Eine eindeutige Erklärung dafür gibt es bisher auch noch nicht. Wie viele Experten glaubt Hassel, dass es vor allem an dem zurzeit herrschenden Wassermangel liegt. Die Bäume, erklärt der Förster, hätten ja keine „Wasserleitungen“ wie ein Gartenschlauch, sondern nur mehr oder minder halbdurchlässige Zellen. Die Krone des Baumes „schickt“ eine Anforderung an die Wurzeln: „Saug mal Wasser!“ So werde das Wasser von den Kronen aus dem Boden gesaugt und müsse seinen mühsamen Weg über all die Zellen durchlaufen, bis es dort ankomme, wo es gebraucht werde: in den Blättern, zur Photosynthese.

Zellen des Baumes verlieren anscheinend ihre Spannung

Ist kein Wasser oder nicht genügend Feuchtigkeit vorhanden, wird Luft angesaugt. Dann fällt der Druck in den Zellen ab, es entsteht eine Art Luftembolie, die Zellen verlieren ihre Spannung und können das Gewicht der Äste nicht mehr tragen. „Und dann passiert das, was passieren muss, wenn der Baum das Gewicht der Äste nicht mehr tragen kann: der Ast bricht ab.“

Manche Äste sind verzichtbar

Es muss aber nicht immer nur die Hitze sein. Mitunter bräuchten Bäume einige Äste schlichtweg nicht mehr, stellt Ulrich Weihs Professor für Baumsachverständigenwesen klar. Vor allem solche aus dem unteren Kronenbereich, die von höheren Ästen beschattet würden und keinen bedeutenden Beitrag zur Photosynthese mehr leisten könnten, seien verzichtbar. „Diese Äste kosten mehr Energie, als sie selbst erzeugen. Deshalb trennen sich die Bäume von ihnen.“

„Für den Baum“, fasst Hassel die Situation zusammen, „ist das meistens nicht schlimm. Für einen Spaziergänger der darunter steht, kann es böse ausgehen.“