Essen. Normalerweise fragen Meteorologen: „Wie wird das Wetter?“ Es gibt es allerdings auch eine Abteilung für die Frage: „Wie war das Wetter?“
Heiß brennt die Sonne vom Himmel, als Thomas Kesseler-Lauterkorn und Karsten Mix auf das Dach des Hauses steigen, in dem der Deutsche Wetterdienst Essen (DWD) sein Zuhause hat. Kein Lüftchen geht, klar ist der Blick in die Ferne, die Niederschlagswahrscheinlichkeit tendiert gegen Null. Kein Tag, der die Meteorologen rückblickend noch einmal beschäftigen wird. Anders, als viele andere Tage.
Denn wenn Blitze über dem Ruhrgebiet zucken oder Winde über die Dörfer des Sauerlandes fegen, wenn dunkle Wolken den Regen gleich kübelweise über dem Land ausschütten oder Kaltfronten Bürgersteige und Straßen in Eisflächen verwandeln, dann weiß Mix: „Da kommt Arbeit auf uns zu.“ Mix zählt nämlich zu den „Wetterdetektiven“ des DWD. „Wir selbst“, sagt er, „nennen uns allerdings lieber meteorologische Sachverständige.“
Hagel oder Hammerschlag: Woher stammen die Beulen im Auto?
Jedenfalls sind Mix, Leiter des Sachgebietes Sachverständigengutachten und Klimaberatung, und seine Kollegen Experten für das Wetter von gestern. Für das interessieren sich neben betroffenen Privatpersonen vor allem Versicherungen und die Polizei. Sie wollen wissen, ob Beulen im Auto vom Hagel- oder vielleicht doch eher vom Hammerschlag stammen. Oder ob es zum Unfall kam, weil es draußen nebelig war oder weil der Fahrer hinter dem Steuer benebelt war. Genau 71,40 Euro kostet eine sogenannte „Amtliche Auskunft“, ab einem Stundensatz von 141,61 Euro ist ein Gutachten zu kriegen. Wobei mindestens 2,5 Stunden anfallen.
Meist ist die Arbeit der Meteorologen auch nur auf den ersten Blick teuer. Kann ein Bauunternehmer beweisen, dass nicht ein von ihm schlampig verlegtes Wasserrohr den Keller überflutet hat, sondern ein extremer Wolkenbruch, rechnet sich das Honorar für das Wettergutachten schnell. „Oft geht es um sechsstellige Summen“, weiß Mix.
Hilfe bei der Aufklärung von Verbrechen
Manchmal geht es sogar um mehr, wie ein Fall vor mehreren Jahren zeigt. Da wird ein Spaziergänger im Wald erschossen. „Absicht“, sagt die Staatsanwaltschaft, „ein Unfall“, beteuert der Todesschütze und bringt „Dunkelheit“, „Nebelschwaden“ und insgesamt „schlechte Sicht“ zur Entschuldigung vor. Die vom Gericht eingeschalteten Meteorologen aber können keine Anzeichen für Nebel oder Wolken entdecken. Nichts also, was den hell scheinenden Mond hätte stören können. Aus angeklagtem Totschlag wird so eine Verurteilung wegen Mordes.
Das größte Messnetz in Deutschland
Die Zentrale des im Jahr 1952 gegründeten Deutschen Wetterdienstes (DWD) sitzt in Oberhausen. Die Niederlassung in Essen ist zuständig für die Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland.
Die Hauptaufgabe des DWD ist es, vor wetterbedingten Gefahren zu warnen sowie das Klima in Deutschland zu überwachen, zu dokumentieren und seine Veränderungen zu bewerten. Dafür betreibt der Dienst das dichteste und größte meteorologische Messnetz in Deutschland
„Im Grunde“, sagt Kesseler-Lauterkorn, stellvertretender Leiter der Essener DWD-Niederlassung, „kann im Internet jeder selbst nachschauen, wie das Wetter war.“ Das ist allerdings nicht ganz einfach und wird einen Richter in der Regel wenig beeindrucken. Vor allem weil der Laie oft nur die Großwetterlage wiedergeben kann. Der Experte ist da präziser, schon weil er das Wetter regionaler herunterbrechen kann. Ob es allerdings an fraglichen Tag Glatteis genau vor einer bestimmten Haustür gegeben hat, können selbst die Essener „Detektive“ im Rückblick nicht sagen.
Über 200 Gutachten werden in jedem Jahr erstellt
Jährlich erstellt der DWD rund 240 Gutachten in allen Sachgebieten – Tendenz steigend, denn: „Die extremen Wetterlagen nehmen zu“, weiß Kesseler-Lauterkorn. Bei ihren Ermittlungen können die Meteorologen auf eine riesige Datenbank zugreifen, die ein Netz aus Tausenden Stationen – vom Regenradar über die Blitzortung bis zum Spezial-Satelliten – seit Jahren mit Wetterkarten, Mess- und Beobachtungswerten speist. In oft stundenlanger Arbeit werten die Experten sie aus, bis sie etwa sagen: „Ja, hier ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es gehagelt hat.“ Und wenn ein Gutachter sagt „Wahrscheinlichkeit hoch“, heißt das so viel wie: Es hat gehagelt.
Ob es auch ungewöhnliche Anfragen gibt? Kesseler-Lauterkorn muss nicht lange überlegen, greift zu einem Ordner und zieht ein Schreiben aus dem Jahr 2016 heraus. Darin geht es um die Frage ob der Wind, der am 28. Januar 1996 in Köln wehte, wohl aus dem Kaukasus gekommen sei. So wie es in einem Gedicht zum Tode des Nobelpreisträgers Joseph Brodsky erwähnt wird.
Wind hat keine Herkunft
Der Diplom-Meteorologe hat nachgesehen, konnte aber nur „russische Polarluft“ mit Ursprung eher in Osteuropa finden. „Wind aus dem Kaukasus“ treffe es nicht ganz, antwortete er deshalb. Allerdings auch, weil „Wind“ physikalisch gesehen keine örtliche Herkunft habe, sondern eine Bewegung der Luft sei. „Mit etwas künstlerischer Freiheit“, hat Kesseler-Lauterkorn seine Antwort beendet, könne man den kaukasischen Wind aber durchgehen lassen. Was die Fragestellerin sehr gefreut hat. „Wir helfen“, sagt der stellvertretende Leiter dann auch, „wann immer wir können.“
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