Duisburg/Gelsenkirchen. Rolf Viehrig ist Location Scout. Warum Film- und Fernseh-Regisseure so gerne bei dem Duisburger anrufen, wenn sie Drehorte im Ruhrgebiet suchen.
Leicht heruntergekommen die Häuser, alt das Pflaster auf dem Gehweg. In der Straße im Gelsenkirchener Stadtteil Bismarck scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Rolf Viehrig nickt, es ist eine Straße, nach der er lange gesucht hat, denn: „Hier kann man viel machen.“ Zumindest wenn man Location Scout ist.
Viehrig nennt sich allerdings lieber „Motiv-Sucher“. „Das versteht man besser in Deutschland“, hat er festgestellt. Seit gut 20 Jahren sucht der Duisburger nun schon Motive und Drehorte für Kino-Filme oder TV-Produktionen. In die Filmszene ist er zufällig gerutscht, als er 1991 hilft für ein TV-Team Parkplätze in Duisburg zu sperren. Er kommt mit den Leuten vom Filmteam gut klar, wird Fahrer, hilft hier, assistiert dort, ist bald Aufnahmeleiter, wird bekannt in der Branche.
Erster Auftrag aus den USA
Im Jahr 2000 dann klingelt eines Tages das Telefon. „Rolf“, sagt ein Produzent aus den USA, „wir wollen einen Film drehen, der in Philadelphia spielt. Aber wir wollen ihn in Köln drehen. Kennst du Stellen, wo Köln aussieht wie Philadelphia?“ Kennt er nicht. Aber er findet sie. „Ein US-Film, der in Deutschland gedreht wird? Klingt komisch, ist aber so. „Das hat mit der Filmförderung in Nordrhein-Westfalen zu tun“, erklärt Viehrig. „Wer davon was haben will, der muss seinen Film hier im Land machen.“ Zumindest teilweise.
Und so fällt in der Domstadt kurze Zeit später die erste Klappe zu „Bookies“. In einer der Hauptrollen ist der spätere Big Bang Theory-Star Johnny Galecki. Ein großer Hit wird die Story um vier Studenten, die ins Wettgeschäft einsteigen wollen trotzdem nicht. Viehrig aber hat eine Berufung gefunden, die zu seinem Beruf wird: Drehorte suchen, die zu der Produktion passen, für die er unterwegs ist. Und wenn er sie gefunden hat, herauszufinden, was es kostet dort zu filmen und ob es überhaupt erlaubt ist.
In NRW wird jeden Tag gedreht
Arbeit gibt es reichlich. Vor allem im TV. Jede dritte deutsche Fernsehminute wird in NRW gedreht. Aber auch für Kinofilme ist Nordrhein-Westfalen sehr beliebt. Nicht zuletzt ein Verdienst der Filmstiftung Nordrhein-Westfalen und ihrer Geschäftsführerin Petra Müller, die seit der Gründung 1991 über 2000 Filme gefördert haben.
Für viele davon hat Viehrig Drehorte gesucht. Bezahlt nach Aufwand, nicht nach Ergebnis. Anfangs ist er durch die Gegend gefahren, hat Städte erkundet. Mittlerweile hat er viele Beziehungen und eine gigantische Datei im Computer. Das lässt ihm ein wenig mehr Zeit für seine Arbeit als Präsident des Bundesverbandes Location-Scouts.
Aus Duisburg wird Essen und Köln wird zu Dortmund
Keine Lehre, kein Studiengang
Locationscout ist zur Zeit kein Ausbildungsberuf. Es gibt keine solche Lehre oder einen entsprechenden Studiengang. Locationscouts sind deshalb Quereinsteiger, die ihre Qualifikationen durch verwandte Berufsausbildungen, durch das Arbeiten bei Film- und Fotoproduktionen und bei anderen Locationscouts erwerben.
Das Gehalt richtet sich nach Erfahrung und Bekanntheitsgrad.
In den USA sind Locationscouts seit langem fester Teil der Filmbranche, in Deutschland setzte sich der Beruf erst in den neunziger Jahren langsam durch.
Weitere Infos unter www.bvlocation.de im Internet
Thronsaal gewünscht? Kein Problem, der 51-Jährige kennt viele Schlösser. Waffenfabrik benötigt? Schwierig aber nicht unmöglich für Viehrig. Kann am Ende auch eine Müllverbrennungsanlage sein. „Sind ja alles nur Kulissen.“ Aber er muss aufpassen. Nicht, dass in einem Historienschinken irgendwo Strommasten am Horizont zu sehen sind. Auch die Einflugschneise eines Flughafens oder eine ICE-Strecke in Hörweite können ein Set nachhaltig unbrauchbar machen.
Viehrig hat für den „Tatort“ Dortmund immer wieder nach Köln verlegt und für „Der letzte Bulle“ aus Duisburg Essen gemacht. Weil es vor Ort nicht die Kulisse gab, die das Drehbuch vorsah. Oder weil es billiger war. Und jüngst erst ist die Straße in Gelsenkirchen, in der er gerade steht, für den Hape Kerkeling Film „Der Junge muss an die Luft“ zu Recklinghausen in den 70er Jahren geworden. Um nur ein Monate später für die neue Netflix-Serie „Die Welle“ als Kulisse zu dienen.
Viehrig ist gerne im Ruhrgebiet. Nicht nur weil er aus Duisburg stammt, sondern weil die Arbeit hier leichter ist. Viel leichter als in Köln jedenfalls, wo im Schnitt zehn Produktionen am Tag ihre Kameras und Mikrofone aufbauen. Was die Geduld der Kölner schon lange überstrapaziert und zu zahllosen Beschwerden bei der Verwaltung geführt hat. „Es wird immer komplizierter, dort Drehgenehmigungen zu bekommen.
Menschen im Revier sind viel unkomplizierter
Im Ruhrgebiet ist das einfacher. Die Straße in Gelsenkirchen – zugegeben eine Sackgasse - ist für die Dreharbeiten auch schon mal einen Tag gesperrt worden. „In Köln undenkbar“. Noch undenkbarer: Anwohner haben ohne zu murren auf einem Platz hinter der Häuserzeile geparkt. „In Köln hätte das wieder Diskussionen ohne Ende gegeben.“ Auch sind Privatleute im Ruhrgebiet viel schneller bereit, ihr Haus für Dreharbeiten zur Verfügung zu stellen – und nicht nur wegen des mittleren vierstelligen Betrag, den sie dafür kassieren. „Die finden das einfach gut.“
Zudem ist das Ruhrgebiet von enormer Vielfalt. „Hier gibt es viel mehr als alte Industriebrachen“, hat Viehrig schon vor langer Zeit festgestellt. Eigentlich gibt es hier alles. Bis auf eine einzelne Buche vor einem Wald hinter dem die Sonne untergeht. Genauso einen Ort aber hat Viehrig neulich gebraucht. Für das an das Buchcover angelehnte Filmplakat zur Dokumentation über den Förster und Autor Peter Wohlleben und das geheimnisvolle Leben der Bäume. Wochenlang hat Viehrig sich umgehört, hat mit Förstern und Bauern gesprochen. Dann hat er die Stelle entdeckt. Zufällig. 100 Kilometer südlich von Traben Trarbach. „Da kam dann wirklich Freude auf.“
Irgendeiner findet immer, was gesucht wird
Ob er schon mal passen musste? „Kann vorkommen“, sagt er. Bei jedem der bundesweit 55 Location-Scouts. „Dann gebe ich an einen Kollegen ab“, verrät er. „Irgendeiner von uns hat bisher immer gefunden, was verlangt wurde.“