Dortmund. Der Kirchentag in Dortmund ist ein riesiges, grünes Gemeindefest: mit Trompeten und Posaunen, aber auch viel Politik. Und natürlich Currywurst.

Es ist gerade vier Uhr an Kirchentag 2, da stürzt der Segensroboter ab. Er kriegt die Arme nicht mehr hoch, sein Bildschirm im Bauch bleibt blind. „Braucht eine Auszeit“, bedauert der menschliche Betreuer. Aber vier Tage evangelischer Kirchentag in Dortmund, mault ein nun segensloser Besucher, müsste der elektronische Pastor doch schaffen?

Wir sind kurz vorm Klostergarten, nebenan in St. Franziskus reden sie passenderweise über Anbetung zum Mitnehmen. Es ist voller als zu Weihnachten und wärmer ganz bestimmt. „Objekt überfüllt“, melden die Schilder der Pfadfinder vor der Tür. Das „Objekt“ ist eine katholische Kirche, zu Fronleichnam freigeräumt für die Protestanten. Mehr noch: Hier ist ein „Geistliches Zentrum“, man spricht über Gottesdienst. Was wohl beweist: So ein Kirchentag macht alles möglich.

Kirchentag ist auch, wenn der Info-Container des Bundesamts für kerntechnische Entsorgungssicherheit gegenüber dem Zelt „Geschlechterwelten“ steht. Und das „Bibelmobil“ neben dem Stand des „Vereins für die Abschaffung der Folter“ und Nudeln aus Bangkok. Wenn auf dem Markt der Möglichkeiten alles Bio ist: das Eis, der Burger und die Edelpilze aus der Pfanne.

Politiker auf dem roten Sofa und vor der Selfie-Kamera

Pfadfinderinnen für den Bundespräsidenten: Frank-Walter Steinmeier wird von einer Mädchenkette geschützt.
Pfadfinderinnen für den Bundespräsidenten: Frank-Walter Steinmeier wird von einer Mädchenkette geschützt. © Ralf Rottmann

Kirchentag ist, wenn sich jeden Abend Tausende auf den Plätzen treffen zum Abendsegen. Und weil sie danach immer noch nicht ins Bett gehen, den grünen Kirchentagsschal vor die Augen binden, um zu schlafen, wo sie gerade noch gingen und standen, den Kopf auf dem Rucksack. Wenn das halbe Internet plötzlich über Kirche und Sex diskutiert, weil es im Schauspielhaus eine Veranstaltung gibt zu einem ziemlich körperlichen Thema.

Kirchentag in Dortmund - Impressionen vom dritten Tag

Deutscher evangelischer Kirchentag in Dortmund. Tag zwei rund um die Westfalenhallen. Blick in die Schlafräume der Musiker. 
Deutscher evangelischer Kirchentag in Dortmund. Tag zwei rund um die Westfalenhallen. Blick in die Schlafräume der Musiker.  © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
Deutscher evangelischer Kirchentag in Dortmund. Tag drei rund um die Westfalenhallen. Haltepunt der U-Bahnen am Messezentrum. 
Deutscher evangelischer Kirchentag in Dortmund. Tag drei rund um die Westfalenhallen. Haltepunt der U-Bahnen am Messezentrum.  © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
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Kirchentag ist, wenn Pfadfinderinnen Hand in Hand eine Mädchenkette machen, um den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier zu schützen. Wenn Bläserchöre immer wieder ein „B“ spielen, weil das der Beifall der Kirchentagsmusiker ist, die keine Hand frei haben zum Klatschen. Wenn auf einem roten Sofa die Bundestags-Vizepräsidentin der Linken, Petra Pau, der verurteilte Manager Thomas Middelhoff und Kabarettist Fritz Eckenga diskutieren (allerdings hinter- und nicht miteinander). Wenn sich dort NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und Staatsoberhaupt a.D. Joachim Gauck in die Arme laufen und mit Besuchern Selfies machen.

„Kirche ist nicht so kirchlich auf dem Kirchentag“

Gauck sagt: „Kirche ist nicht so kirchlich auf dem Kirchentag“, das Ganze habe „eine größere Weite“. Die über hunderttausend Menschen mit den grünen Schals, altersmäßig bunt gemischt, reden über Krieg und Klimawandel, über Altenheime und Antisemitismus, über Fluchen und die Freiheit der Kunst. Sie beten im Container, sie singen in der Arbeitschutzausstellung, und die Kinder bauen die Bibel mit Lego nach.

Kirchentag ist auch, wenn in Klassenraum 405 einer Realschule Tubas und Trompeten Nachtwache halten, während die Posaunenjugend auf der Isomatte schläft (jedenfalls, wenn Daniel und Matthias nicht schnarchen). „Kirchentag“, sagt ein Jugendlicher, „ist immer wieder richtig cool.“ Und Christian Syperek, Landesposaunenwart aus der Pfalz, weiß warum: Nicht nur, weil sie an jeder Ecke spielen, eben auf der Seebühne, morgen im Stadion, sondern „weil es ein Erlebnis ist; man weiß nie, wen man trifft und was als Nächstes passiert“.

Applaus für die Bergleute des Reviers

Posaune an Isomatte: Christian Syperek, Landesposaunenwart aus der Pfalz, zeigt den Schlafplatz der „Jugend“ in einer Dortmunder Schule.
Posaune an Isomatte: Christian Syperek, Landesposaunenwart aus der Pfalz, zeigt den Schlafplatz der „Jugend“ in einer Dortmunder Schule. © Ralf Rottmann

Es könnte zum Beispiel passieren, dass im Eisstadion junge Leute in kurzen Hosen Schlittschuhlaufen und beim Mittagsgebet „On Ice“ mit erhobenen Händen „Halleluja“ singen. Oder davor ein ukrainischer Chor im Prinzip dasselbe, es klingt nur anders. Es passiert, dass der Bundespräsident über Digitalisierung redet und die große Westfalenhalle dabei voller älterer Leute ist, die plötzlich den Bergleuten applaudieren, die gar nicht (mehr) da sind. Es passiert, dass in den Räumen einer Versicherung getanzt wird und dass Pilger in einer fremden Stadt alte Freunde wiedertreffen. Und dass es in einem restlos überfüllten Zelt um „Wahrheit in Politik, Wissenschaft und Bibel“ geht, die Schlange davor aber ansteht um Currywurst.

Ein Gemeindefest, das Hoffnung macht

So hatten sie es angekündigt: Der Kirchentag, hatte sein Präsident Hans Leyendecker gesagt, werde eine Verbindung von „großem gesellschaftlichen Forum und Glaubensfest“ sein. Eines, das Hoffnung macht und mindestens gute Laune.

Bei den Franziskanern bekommen Gesegnete die Quittung, der Roboter ist repariert. „Geh hin in Frieden. Amen. Möchten Sie den Segen ausdrucken?“