Ruhrgebiet. Für die einen ist es eine Rettungsaktion, für die anderen Diebstahl: NRW will das Mitnehmen weggeworfener Lebensmittel nicht legalisieren.

. Am Dienstag war bloß Staudensellerie drin. „Der Rest war richtig eklig“, sagt Franziska, das war Pech. Dabei haben sie es gemacht wie immer: „Einer hält die Mülltonne schräg, einer taucht ab.“ Und dann ist es „Wühlen, Wühlen, Wühlen und Gucken, was du kriegst“. An diesem Bioladen in Essen sei das „Containern“ eigentlich einfach, sagt die 27-Jährige: Der stellt seinen Bio-Abfall abends „relativ offensichtlich“ auf den Parkplatz, und es steht sogar „Speisereste“ drauf. Drangehen ist trotzdem verboten.

Es ist nicht so, dass Franziska die Lebensmittel aus dem Müll brauchen würde. „Wir sind nicht darauf angewiesen, aber jedes Mal, wenn ich sehe, was da alles weggeworfen wird, werde ich sauer.“ So geht es den meisten, die containern in Deutschland. Sie wollen weniger Verschwendung, sie wollen, dass Deutschland darüber spricht, dass es im Jahr 13 bis 18 Millionen Tonnen Lebensmittel einfach entsorgt. Vielleicht wollen sie sich „weniger schuldig fühlen“, wie Christian Walter beobachtet. Der 30-Jährige aus Aachen sammelt seit mehr als zehn Jahren Lebensmittel aus den Abfalltonnen der Supermärkte. Man könnte auch „klauen“ sagen, noch immer ist es Diebstahl, was die meist jungen Menschen tun – eine Straftat.

Justizminister warnt vor weiteren Straftaten

Von meinem iPhone gesendet
Von meinem iPhone gesendet © ho | privat

Das will Hamburg nun ändern; d ie Justizminister-Konferenz soll das „Containern“ legalisieren. Doch da macht NRW nicht mit. Der zuständige Minister Peter Biesenbach (CDU) warnte am Mittwoch, entsorgte Lebensmittel „können auch hygienisch gefährlich sein, können auch Krankheiten erzeugen“. Der jeweilige Händler sei verantwortlich dafür, dass diese Gefahren nicht auftauchten, und müsse deshalb entscheiden können, was mit den Produkten passiere. Zudem fürchtet Biesenbach weitere Straftaten wie Hausfriedensbruch oder Sachbeschädigung, wenn Abfallbehälter auf dem Gelände eines Supermarkts stünden oder abgeschlossen seien.

Pute wird günstiger abgegeben

NRW würde das „Retten“ von Lebensmitteln lieber gar nicht gesetzlich regeln, wie etwa Frankreich das getan hat, wo Geschäften das Wegwerfen grundsätzlich verboten ist. Der Justizminister setzt eher auf private Initiativen wie das „Foodsharing“, bei dem Ehrenamtliche entsorgte Waren in Absprache mit den Supermärkten verteilen oder die Tafeln, die, als Vereine organisiert, noch Haltbares an Bedürftige verteilen. Große Handelsketten wie Rewe haben sich auf die Fahnen geschrieben, ihr gesamtes Angebot zu verkaufen. Moderne Prognosesysteme, die den Bedarf der Kunden ausrechnen, machen das möglich. Was doch übrig bleibt, wird an die Tafeln weitergegeben. In den Niederlanden testet eine Lebensmittel-Kette derzeit digitale Preisschilder: Auf binnen weniger Tage ablaufende Putenbrust etwa gab der Laden kürzlich 40 Prozent Rabatt.

Neues Gesetz darf nicht „das Ende der Debatte“ sein

Leckere Ausbeute: Das reichhaltige Angebot fanden Essener im Abfall eines Biomarktes.
Leckere Ausbeute: Das reichhaltige Angebot fanden Essener im Abfall eines Biomarktes. © privat/ho | Privat

Christian Walter würde es begrüßen, wenn das Containern „entkriminalisiert“ würde. Allein, er glaubt nicht daran. Und vielleicht hätte ein neues Gesetz, ahnt er, nur die Folge, „dass sie Supermärkte ihre Mülltonnen einschließen“. Zu glauben, je mehr Menschen containern, desto weniger Lebensmittel würden überhaupt produziert (und desto weniger weggeschmissen), hält der Aachener für „naiv“. Aber selbst wenn: Der Vorstoß aus Hamburg „darf nicht das Ende der Debatte sein“. Das Stehlen von Essen, das nicht mehr zu verkaufen ist, sei doch nur „ein Symptom“: Walter will, dass die „Ressourcenverschwendung“ aufhört, er kämpft für Umweltschutz und nachhaltiges Wirtschaften.

Frauen in Bayern wegen Diebstahls vor Gericht

Gegen Verschwendung- Student rettet Essen aus dem Müll

weitere Videos

    Dass es (noch) verboten ist, Lebensmittel aus dem Müll „zu retten, dagegen wehre ich mich gerne“, sagt Walter, „dafür übertrete ich auch Gesetze.“ Der Aachener wurde schon oft erwischt, angezeigt aber noch nie. Auch Franziska in Essen kam bislang ungeschoren davon, obwohl diese Woche jemand vor den Nachbarn warnte: „Ihr seid zu offensichtlich.“ In Bayern mussten zwei junge Frauen neulich vor Gericht, man warf ihnen Diebstahl vor. Sie wurden freigesprochen, seither kämpfen sie mit einer Unterschriftenliste für die Legalisierung des Containerns.

    Zweitägige Konferenz der Justizminister

    Im Ostseebad Lübeck-Travemünde hat am Mittwoch die zweitägige Konferenz der Justizminister der Länder begonnen. Auf der umfangreichen Tagesordnung stehen neben dem Hamburger Antrag zum Containern auch klassische Justizthemen: Aus Schleswig-Holstein kommt ein Antrag, die sogenannte Kettenbewährung (mehrere Bewährungsstrafen nacheinander) für Mehrfachtäter zu begrenzen.

    Weitere Themen sind die Abschiebung straffälliger Flüchtlinge, höhere Strafen für Messerangriffe und die Bekämpfung von Volksverhetzung im Internet.

    Und natürlich machen sie weiter. Was sie aber auch alles finden im Müll! Kiloweise Salz schleppte etwa Christian Walter nach Hause, das doch „Millionen Jahre im Berg liegt“, mehrere Kubikmeter Reis, von denen er „nur“ 20 Kilo wegtragen konnte, zwei Kilo schwarzen Knoblauch. Sie haben eine Grillsoße daraus gemacht. Nur Fleisch nimmt Christian Walter niemals mit, „ich kenne ja die Kühlkette nicht“. Das macht Franziska auch nicht: „Ich benutze meinen Geruchssinn und den Menschenverstand.“ Als sie kürzlich die Biotonne randvoll fand mit Spargel und Rhabarber, lud sie einen Haufen Leute zum Essen ein.