Gelsenkirchen. . Früher schickten sie gefälschte Mails, heute rufen sie an. Ein Mann aus Gelsenkirchen schildert, wie Computer-Betrüger seinen PC leerräumten.

Mittlerweile weiß Peter Haub (Name geändert) selbst nicht mehr, wie ihm das passieren konnte. „Eigentlich“, sagt der 66-Jährige, „stehe ich ja mit beiden Beinen im Leben.“ Trotzdem ist er hereingefallen auf einen Mann am Telefon, der behauptete, Haubs Computer sei von bösartigen Viren befallen. Und der ihm helfen wollte. Was er natürlich nicht getan hat. Stattdessen hat er alle Daten geklaut vom Rechner des Rentners – Fotos, Videos, Dokumente. Rückgabe nur gegen Bezahlung. „Ich kann es immer noch nicht fassen“, sagt der Gelsenkirchener. Da ist er kein Einzelfall.

„Der hat mich regelrecht eingelullt“

„Tech Support Scam“ wird in der Computerwelt schon seit vielen Jahren genannt, was Haub widerfahren ist. Dabei geben sich Betrüger als Mitarbeiter von großen Technologiekonzernen aus. In diesem Fall sind sie angeblich von Microsoft und es ist Haubs Pech, dass er als ehemaliger Lehrer gut englisch spricht. Denn der Anrufer tut das ebenfalls – wenn auch mit deutlich hörbarem indischen Einschlag. Hätte das Opfer nur deutsch gesprochen, wahrscheinlich wäre nichts passiert. Erst recht nicht, wenn man weiß, dass Microsoft immer wieder darauf hinweist, das seine Mitarbeiter niemals von sich aus anrufen und Zugriff auf fremde Rechner verlangen.

Genau das aber möchte der Mann am anderen Ende der Leitung. Natürlich nur, um zu helfen. Um zu retten, was eigentlich nicht mehr zu retten ist. Virenverseucht bis in den letzten Winkel der Festplatte sei Haubs Computer, behauptet er. Und dann die Lizenzen für das Betriebssystem. Wahrscheinlich auch abgelaufen. Kurzum, so könne dieser PC nicht weiterlaufen. „Der Mann konnte wirklich gut reden“, erinnert sich der Gelsenkirchener. „Der hat mich regelrecht eingelullt.“

Auf einmal ist die Festplatte wie leergefegt

Und er ist offenbar auch fit am Computer und im Internet. Immer neue Viren-Warnungen ploppen während des Gesprächs auf Haubs Bildschirm auf. Und zwischendurch ist immer wieder mal das Microsoft-Logo zu sehen. Alles Fälschungen, über die Hacker nur müde lächeln, die Haub aber die letzten Zweifel an der Bedrohung nehmen. Auf Anweisung des Betrügers lädt er ein kleines, kostenloses und völlig legales Fernwartungsprogramm herunter und verrät dem Anrufer die Zugangsdaten dafür.

Wenig später sind Haubs Festplatten wie leergefegt. Unbemerkt hat der Unbekannte alles verschoben, dann gelöscht. Für 300 Euro, teilt er seinem Opfer mit, würde er sie zurückschicken. Zahlbar mit Kreditkarte, zur Not auch mit iTunes-Guthabenkarten aus dem Supermarkt. Die Sache mit den abgelaufenen Lizenzen und Viren sei dann natürlich auch erledigt. „Da bin ich wach geworden.“

„Es gibt immer wieder neue Fälle im Ruhrgebiet“

Haub verwickelt den Anrufer in eine Diskussion über die Zahlungsweise, ruft vom Handy aus gleichzeitig die Polizei an. Die schickt auch sofort einen Streifenwagen. „Stecker raus“, empfehlen die Beamten, müssen ansonsten aber passen, obwohl Haub Anzeige erstattet. Was sollen sie auch tun? Laut Nummer hat der Betrüger von Belgien aus angerufen. Aber auch das kann man vortäuschen.

In der Vergangenheit führten die Tech Support Scam-Spuren immer wieder nach Indien. Deutsche Ermittler durchsuchten dort zusammen mit einheimischen Kollegen diverse Call-Center, nahmen mehrere Personen fest, legten den Betrieb in den Centern lahm. Kurzzeitig gingen die Betrugsanzeigen spürbar zurück. Mittlerweile haben sie wieder zugenommen. Microsoft zählt monatlich 11.000 Meldungen, und Experten gehen von einer hohen Dunkelziffer aus. Die Polizei im Ruhrgebiet möchte nicht „von einer neuen Welle“ sprechen. „Aber“, heißt es etwa in Gelsenkirchen, „es gibt immer wieder neue Fälle.“

Auch viele Jüngere fallen auf die Anrufer herein

Betroffen sind übrigens nicht nur ältere Menschen. Ganz im Gegenteil. Eine aktuelle Microsoft-Studie aus dem Jahr 2018 zeigt, dass gerade die jüngere Generation der Unter-40-Jährigen überdurchschnittlich oft Opfer dieser Betrugspraxis wird.

Haub hat seinen Rechner mittlerweile zum Computerhändler seines Vertrauens gegeben. Der ist zuversichtlich, die meisten Daten wieder herstellen zu können. Natürlich macht er das nicht umsonst. aber das ist dem Rentner egal. „Hauptsache, ich habe dem Erpresser kein Geld überwiesen. Darüber würde ich mich heute wahnsinnig ärgern.“ Zumal in vergleichbaren Fällen zwar „Lösegeld“ kassiert wurde, die „entführten“ Daten aber nie wieder auftauchten.

Noch einmal, da ist sich Haub sicher, wird er nicht auf diese Art Betrug reinfallen. „Wenn künftig jemand anruft, dessen Nummer ich nicht kenne und englisch mit mir spricht“, stellt er klar, „lege ich sofort wieder auf.“

Das ist genau das, was auch Polizei und Sicherheitsexperten raten. Auf gar keinen Fall sollte man außerdem die vom Anrufer empfohlene Software auf seinem Rechner installieren

Microsoft bittet Betroffene, den (versuchten) Betrug unter www.microsoft.com/reportascam zu melden. Microsoft versichert, sich selbst nie per Telefon zu melden. Der Kontakt erfolgt laut Firmen-Website „ausschließlich auf Initiative der Nutzer, niemals umgekehrt“. Auch Firmen wie Dell oder 1&1 rufen nicht ungefragt bei ihren Kunden an, um angebliche Computerprobleme zu lösen.