Essen. . Krebs früher erkennen und bessere Therapien vorschlagen: In Essen entstehen vier neue Lehrstühle für Künstliche Intelligenz in der Medizin.
Ein neues Institut für Künstliche Intelligenz (KI) in der Medizin gründen die Uniklinik Essen und die Universität Duisburg-Essen. Mit gleich vier Professuren soll hier „der KI-Leuchtturm für Medizin in ganz Nordrhein-Westfalen“ entstehen, sagt Prof. Jochen A. Werner, Ärztlicher Direktor des Uniklinikums. Tatsächlich forschen Fachleute an vielen Instituten in NRW am Thema, eine solche Bündelung der Kompetenzen mit Bezug zur Praxis gibt es jedoch noch nicht: „Die Diagnostik in der Medizin wird sich komplett verändern“, sagt Werner. „Und wir wollen unsere Erkenntnisse möglichst zügig in die Patientenversorgung bringen.“
Computerprogramme können bereits heute zum Beispiel anhand von Bildern des Augenhintergrundes frühzeitig Herz- und Gefäßkrankheiten erkennen. Ebenso helfen sie, Brustkrebs, Herzerkrankungen, Osteoporose und erste Anzeichen von Hautkrebs zu identifizieren. Dazu analysieren sie Muster, die der Mensch nicht erkennen kann, vergleichen sie mit ihren riesigen Datenbänken und werden künftig „Zusammenhänge finden, die heute noch keiner versteht“, sagt Werner. Auch Therapieempfehlungen sollen die Programme bald geben, denn die Fachliteratur in der Welt wächst so schnell, „dass kein Mensch mehr den Überblick behalten kann“.
Krebsforschung ist ein Schwerpunkt
Vor allem die Krebsforschung ist ein Schwerpunkt des neuen Instituts, das im Girardethaus im Essener Ausgehstadtteil Rüttenscheid sitzen soll. So sollen „intelligente“ Programme etwa anhand von radiologischen Bildern Tumore viel früher als bisher erkennen, bei der Vorbereitung von Operationen Vorschläge unterbreiten und die Chirurgie noch präziser machen. Auch die generelle Nutzbarmachung aller verfügbaren Datenquellen von der Pathologie und Mikrobiologie bis hin zu schriftlichen Dokumenten ist ein großes Thema. „Eine unverzichtbare Weichenstellung“ nennt dies Prof. Jan Buer, Dekan der Medizinischen Fakultät. „Denn Künstliche Intelligenz wird uns zukünftig immer stärker darin unterstützen, die Entstehung von Erkrankungen zu erforschen und neue Therapieansätze zu entwickeln.“
Rund zwei Millionen Euro pro Jahr sind allein für das Personal vorgesehen, vier Professoren werden bis Mitte Juni gesucht, jedem Lehrstuhl sind eine Professur und vier bis fünf Mitarbeiter zugeordnet. Das Land sichert die Finanzierung auf fünf Jahre. Das Institut ist jedoch nicht aus der neuen landesweiten Kompetenzplattform „KI.NRW“ hervorgegangen, die erst im Dezember gestartet ist.
Auf dem Weg zum Smart Hospital
Die Uniklinik betreibt seit Jahren die Digitalisierung aller Patientendaten sowie Kommunikationswege und damit die Wandlung zum „Smart Hospital“. Uni und Uniklinik haben selbst entschieden, die Forschungsgelder mit Bereich KI einzusetzen, wollen aber so dazu beitragen, dass NRW deutschlandweite Leitregion beim Thema Künstliche Intelligenz wird. Bisher bewegt sich laut NRW-Innovationsministerium die Zahl der Professuren mit KI-Schwerpunkt an den Unis im einem mittleren zweistelligen Bereich.
„Ich glaube, dass in Essen Leuchtkraft geschaffen werden kann“, sagt Dr. Dirk Hecker, Geschäftsführer der Kompetenzplattform KI.NRW und stellvertretender Leiter des Fraunhofer-Instituts für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS in St. Augustin. „Es hängt natürlich von den Personen ab, die man gewinnen kann, und es ist wichtig, dass man sich gut vernetzt in NRW und der Welt. NRW ist in Deutschland ein sehr guter Standort für die KI-Forschung und in der Publikationsstatistik weit vorne“, sagt Hecker. Im Ruhrgebiet ist neben dem neuen Max-Planck-Institut für Cybersicherheit in Bochum vor allem Dortmund als wichtiger Standort zu nennen.
Patientendaten bleiben vertraulich
Erst im August ist hier das Kompetenzzentrum Maschinelles Lernen Rhein-Ruhr (ML2R) gestartet, einer von bundesweit vier Knotenpunkten für KI-Forschung. Es verzahnt die Arbeit von Unis und Instituten der angewandten Forschung wie dem IAIS. Die Entwicklung vertrauenswürdiger KI wird von ML2R vorangetrieben, was im Bereich Medizin auch stark Ethik-Normen betrifft, etwa im Umgang mit sensiblen Patientendaten. Hier kommt auch der „Medical Data Space“ ins Spiel, der einen sicheren Austausch von Gesundheitsdaten zwischen Patient, Arzt und Klinik sowie Dritten ermöglichen soll, ohne die Daten nach amerikanischem Muster in einer zentralen Cloud abzulegen – von Dortmund aus ist das Projekt zur Bundesinitiative gereift.
„Dortmund und Bonn/St. Augustin sind etablierte Standorte für die KI-Forschung in NRW“, erklärt Hecker, „daneben müssen wir weitere fachspezifische Zentren bilden. Je mehr Lehrstühle wir im Land haben, desto mehr werden wir Taktgeber für den digitalen Wandel in Deutschland und Europa sein. Jede disruptive Entwicklung kann eine Chance für das Ruhrgebiet sein.“