Essen. . Stürme, Borkenkäfer, Pilzbefall. Dem Wald im Ruhrgebiet geht es nicht gut. Warum es kaum Hoffnung gibt, dass es ihm kurzfristig besser geht.
„Kühl“, sagt Thomas Kämmerling. „Kühl müsste der Sommer werden.“ Und Regen wünscht er sich. „Viel Regen.“ Klar, sagt er und lacht leise, wäre natürlich nicht schön für die meisten Menschen. „Aber es wäre gut für die Bäume, gut für den Wald.“ Und an den muss Kämmerling denken. Denn der 54-Jährige ist Betriebsleiter bei Ruhr Grün, also jetzt mal etwas flapsig gesagt, der Oberförster des Regionalverbandes Ruhr. Und der wiederum bewirtschaftet mehr kommunalen Wald und Freiflächen im Land als irgendjemand sonst. 18.000 Hektar sind es derzeit, bald werden es fast 20.000 sein.
Waldbewirtschaftung ist schon seit Jahren keine einfache Aufgabe. Und sie wird immer schwieriger. Die Lage ist nicht ernst, „sie ist sehr ernst“, sagt Kämmerling, während er seinen Allrader immer tiefer in den Wald hineinsteuert. Für die Fichte ist sie eigentlich schon hoffnungslos. Der „Borkenkäfer“ ist für sie so etwas wie der Staatsfeind Nummer eins. Deshalb auch Kämmerlings Wetterwunsch. „Die Käfer werden erst ab 15, 16 Grad so richtig aktiv.“ Und wenn es regnet, ist das schlecht für die Käfer und gut für die Fichten.
Im Winter sind kaum Käfer gestorben
Wunschdenken wahrscheinlich. Schon der letzte Winter war nicht so, wie ihn sich die Forstwirtschaftler erhofft haben. Nicht feucht genug, ohne große Temperaturschwankungen. „Da sind kaum Käfer gestorben“, erklärt Kämmerling und spricht „von einer Mortalität unter zehn Prozent.“
Viel zu wenig, als dass sich die Lage für die Fichte entspannen könnte. Bei den von Hitze und Trockenheit des vergangenen Sommers gestressten Bäumen, haben die nur vier Millimeter großen Schädlinge leichtes Spiel. Die geschwächten Bäume sondern nicht mehr genügend Harz ab, um den Angreifer zu verkleben. Und wenn sich die Käfer durch die Rinde bohren, um ihre Eier abzulegen, zerstören sie die Wasser- und Nährstoffleitbahnen der Bäume. Dann können sich bis zu 100.000 Buchdrucker oder Kupferstecher zwischen Stamm und Rinde festsetzen. Aus einem Käferweibchen können über den Sommer hinweg bei trockener und warmer Witterung bis zu 30.000 neue Käfer entstehen. „Da kommt was zusammen“, sagt Kämmerling.
Sind die kleinen Schädlinge erst einmal in einen Baum eingedrungen, haben auch die Fichten in der Umgebung kaum noch eine Chance. Kämmerling ist ausgestiegen, zeigt in die Ferne, wo Hunderte Meter des Nadelholzes mit rot verfärbten Nadeln zu sehen sind. „Alle befallen.“ Deshalb müssen sie gefällt werden und dann möglichst schnell raus aus dem Wald – und die Larven mit ihnen. „Bevor sie ausfliegen.“
Jahrhundertstürme kommen mittlerweile jedes Jahr
Große Harvester erledigen das, Erntemaschinen, die mehr schaffen, als zehn Waldarbeiter. Was sie mit chirurgischer Präzision zu Boden geworfen haben, transportieren moderne Rückeschlepper – Forwarder genannt – auf die Waldwege, wo das Holz dann auf LKW geladen werden kann. Fiete Hartung (59) sitzt in der Kabine eines solchen Forwarders und kann seit Monaten über einen Mangel an Arbeit nicht klagen. Im Gegenteil. „Seit 30 Jahren mache ich das schon“, erzählt er in einer Pause. „Aber solche Mengen habe ich noch nie aus dem Wald geholt.“ Denn was der Käfer nicht schafft, das erledigen die Stürme. Auch ein ganz großes Problem – nicht nur für Fichten. Lothar, Kyrill, Friederike – Jahrhundertstürme nennt man sie. „Aber mittlerweile kommen sie jedes Jahr“, sagt Kämmerling.
Preise für Fichtenholz sind in freiem Fall
Zu hohen Stapeln geschichtet liegen die Stämme an den Wegen. Holz, das eigentlich noch Jahrzehnte hätte wachsen sollen. „Ein Drama“, sagt Kämmerling und schüttelt den Kopf. „Die Preise sind im freien Fall, es gibt ein gigantisches Überangebot.“ Brachte der Festmeter Fichte vor einiger Zeit noch einen Deckungsbeitrag von 70 Euro, sind es im Augenblick nur noch maximal 20 Euro.
Es ist aber nicht nur die Fichte, die den Förstern Sorge macht. An anderen Stellen hat ein Pilz die Kiefern befallen, der den ganzen Baum absterben lässt. Und wie es den Buchen nach der lange Dürre von 2018 geht, kann derzeit noch niemand genau sagen. „Sie reagieren erst mit bis zu zwei Jahren Verzögerung“, weiß Kämmerling. Eines aber ist für Experten wie ihn schon jetzt sicher: „Noch so ein Sommer wie im vergangenen Jahr wäre für den Wald eine Katastrophe.“
„Wir denken im Wald in Jahrzehnten“
Natürlich wird wieder aufgeforstet. „Artenreiche Mischwälder“, sagt der Betriebsleiter, „klimarobuste Nadel- und Laubbäume.“ Aber die wachsen nicht über Nacht, auch nicht in ein paar Jahren. „Wir denken im Wald in Jahrzehnten.“ Kurzfristig, findet Kämmerling, müsse man dringend über höhere Soforthilfen nachdenken. „Der Wald ist eine Gemeinwohlleistung zum Nulltarif. Insbesondere wenn man vergleicht, was die Waldbesitzer im Vergleich zu den Landwirten bekommen, ist das einfach viel zu wenig!“