Essen. . Mehrfach sind Hochzeitskorsos in letzter Zeit außer Kontrolle geraten. Warum Polizei und Psychologen fürchten, dass das Problem wachsen könnte.
Sie stoppen den fließenden Verkehr auf der Autobahn, um Fotos zu schießen. Sie rasen – aus Schreckschusspistolen schießend und unter Missachtung aller Verkehrsregeln – in Luxuskarossen durch die Stadt. Mehrfach in den letzten Wochen sind Hochzeitsfeiern im Ruhrgebiet und Rheinland außer Kontrolle geraten. Nun warnt die Polizei mögliche Nachahmer. „Wir werden rigoros durchgreifen.“
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Sie sitzen in Sportwagen, die einen umfassenden Blick auf den Leistungsstandard der deutschen Automobilindustrie bieten. Wie jüngst auf der A 3 in der Nähe von Düsseldorf. Dort fielen einer Zivilstreife zwei Porsches und ein Audi R8 auf, die mit Warnblinklicht auf allen Spuren hin und her pendelten und so den Verkehr schließlich stoppten. Hintergrund: Die Teilnehmer einer Hochzeitsgesellschaft wollten vermutlich ein paar außergewöhnliche Fotos machen. Eine ähnliche Situation gab es laut Polizei bereits Mitte März auf der A 40 bei Mülheim.
Rennen in der Innenstadt
Für Kim Freigang, Sprecher der zuständigen Polizei in Düsseldorf, ist so ein Verhalten nicht nachvollziehbar. „Das ist wie Russisches Roulette. Aber mit mehreren Kugeln im Lauf.“ Auch wenn es sich im vorliegenden Fall den Namen nach um Fahrer mit Migrationshintergrund handele, könnten sie sich nicht auf kulturelle Bräuche berufen. „Da geht es um Auswüchse, die eher mit einem Hormon-Überschuss und einer fragwürdigen Einstellung zu Regeln zu tun haben.“
Auch in Essen kam es vor kurzem zu einem Zwischenfall am Rande einer libanesischen Hochzeit. Zwei Teilnehmer der Feier hatten sich mitten in der Stadt ein Rennen geliefert – andere hatten die Reifen ihrer Luxus-Karossen immer wieder durchdrehen lassen und die Leitungsfähigkeit ihrer Hupe getestet. Daraufhin hatte die Polizei den gesamten Korso gestoppt und eine Hundertschaft zur Verstärkung gerufen. Zwei Luxus-Fahrzeuge stellte die Polizei sicher, darunter einen Mercedes-AMG C 63 S mit über 500 PS. Zudem wurden auch mehrere Führerscheine beschlagnahmt.
Noch sind es Einzelfälle, aber die Polizei fürchtet, dass es so nicht bleibt. Das kann auch der Medienpsychologe Tobias Dienlin von der Universität Hohenheim nicht ausschließen. Aufsehenerregende Fotos von oder mit seinem Auto zu schießen, sei allerdings kein Phänomen der sozialen Medien. „Das gab es immer schon.“ Wie so oft aber ist es verstärkt worden durch Internet-Angebote wie Facebook, Instagram oder Snapschat. „Man erreicht mit Bildern seiner Aktionen ja viel mehr Menschen als früher.“
Fotos aus Bedürfnis nach Anerkennung
Dienlin will den Posern ein Risikobewusstsein gar nicht absprechen. Vielfach sei es aber nicht so groß, wie der Wunsch nach sozialer Anerkennung in der Gruppe, in der man sich bewege. „Und da gelten solche Fotos oft als cool.“ In jedem Kulturkreis, jeder Gesellschaftsschicht seien es andere Dinge, die für Anerkennung sorgen würden. „Hier sind es offenbar die Autos.“
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Das kann die Polizei nur bestätigen. „Da wird zu Hause dann nur Toast gegessen und Wasser getrunken, damit man sich die Raten für den dicken Sportwagen leisten kann“, weiß ein erfahrener Verkehrsbeamter. Und wenn es selbst dann noch nicht reicht, auch kein Problem. „Wir stellen immer öfter fest, dass die Luxus-Autos nur für einen Tag oder das Wochenende gemietet worden sind“, sagt Cornelia Weigandt, Sprecherin der Dortmunder Polizei.
Was passieren kann, wenn ein unerfahrener junger Autofahrer hinter dem Steuer eines Sportwagens sitzt, zeigte sich vor wenigen Wochen in Stuttgart. Dort raste ein 20-Jähriger mit einem gemieteten, 550 PS starken Jaguar in das Auto eines Pärchens aus Neuss, das bei dem Zusammenstoß starb.
Autovermieter sprechen von Ausnahmen
„Schrecklich“, findet das Michael Brabec vom Bundesverband der Autovermieter Deutschlands. Aber es sei zum Glück eine große Ausnahme. „Bei den meisten Autovermietern muss man älter sein, um so ein schnelles Auto zu bekommen.“ Wobei 25 Jahre in der Regel als alt genug gilt. Selbst dann aber achte man schon darauf, wem man ein Luxus-Auto vermiete. Schon in eigenem Interesse. „Vor allem kleinere Vermieter würden es gar nicht verkraften, wenn man ihnen zwei- oder dreimal im Jahr ein 100.000-Euro Auto zu Schrott fährt. Die hätten bald keinen mehr, der sie versichern würde.“
Die Polizei will sich darauf nicht verlassen. Sie setzt darauf, dass die Bevölkerung durch die Vorfälle der vergangenen Woche für das Thema sensibilisiert worden ist und ähnliche Vorkommnisse „sofort meldet“. „Den Rest regeln wir dann“, sagt Kim Freigang und kündigt wie alle Kollegen im Land „rigoroses Vorgehen“ gegen Poser und Raser an. Noch lieber allerdings wäre es dem Polizeisprecher, wenn die Leute von sich aus „Einsicht zeigen und umdenken würden“. Und zwar möglichst schnell. „Es ist“, sagt Freigang, „eigentlich fast ein Wunder, dass bei solchen Aktionen bisher nicht mehr passiert ist.“