Mülheim. . Immunschwäche, Müdigkeit und Karies können mit Vitamin-D-Mangel zu tun haben, sagt der Kinderarzt Jürgen Hower. Er will mit Schokolade abhelfen.

Der Kinderarzt Jürgen Hower erinnert sich noch gut an das achtjährige Mädchen mit den chronisch entzündeten Harnwegen. Nichts schien zu helfen – bis er Vitamin D gab. Asthma, Immunsystem, Müdigkeit, Karies und Zahnfleischbluten: Vor fast 20 Jahren, „als neue Methoden die Bestimmung im Blut einfacher machten“, ist der Mülheimer auf diesen Stoff aufmerksam geworden, den er in seiner Praxis als Schlüssel zu vielen Beschwerden identifizierte. Er führte selbst mehrere Studien durch – und Hower kam zu drei Schlüssen: Vitamin D-Mangel nimmt zu bei Kindern. Er hat viele negative Auswirkungen. Und er lässt sich leicht abstellen. Zum Beispiel mit seiner neuen Schokolade.

Denn der weiterhin praktizierende Kinderarzt ist mit 74 Jahren unter die Start-Up-Unternehmer gegangen. Hat seinen Sohn Niels Hower (46) für die geschäftliche Seite ins Boot geholt, hat aus eigener Tasche einen mit Vitamin D angereicherten Schokoriegel und Schokotrunk entwickeln lassen von der Ehrmann-Gruppe (ja, die mit den Joghurts), hat sich ein europäisches Patent dafür gesichert – und nun gibt es „Dr. Chococo“ bereits testweise in einigen Supermärkten des Ruhrgebiets zu kaufen. Und schon will der Kinderarzt auch den saudi-arabischen Markt erobern.

Jürgen und Sohn Niels Hower aus Mülheim bewerben ihren „Dr. Chococo“.
Jürgen und Sohn Niels Hower aus Mülheim bewerben ihren „Dr. Chococo“. © Jörg Schimmel

Das mag abwegig erscheinen, denn Vitamin D ist das „Sonnenvitamin“: Der gesunde Mensch nimmt nur ein Zehntel seines Bedarfs über die Nahrung auf, es steckt vor allem in Fettfischen, den überwiegenden Teil produziert er in der Haut. Das funktioniert allerdings wie die Photosynthese der Pflanzen nur mit Licht. Nun scheint die Sonne in Saudi Arabien zwar zur Genüge, doch Hower kennt das Land gut, hat dort jahrelang seine Ferien einem Kinderkrankenhaus geschenkt – „und ich habe nirgendwo anders so viele Kinder mit Rachitis gesehen.“ Weiche Knochen, Muskelschwäche, Froschbauch, Verstopfung, Quadratschädel, O-Beine – die Verschleierung der Mütter bewirkt einen akuten Vitamin-D-Mangel, der auf die Kinder durchschlägt.

Ein Wachstumsmarkt

Man wird noch sehen müssen, ob die Handelsvertreter der Howers Erfolg haben. Der Markt ist jedenfalls schon heute groß und wächst rasant: Laut dem Unternehmen IQVIA, das den Pharmamarkt beobachtet, wurden mit Vitamin D und A in Nahrungsergänzungsmitteln allein im Jahr 2017 fast 100 Millionen Euro in Deutschland umgesetzt – ein Plus von fast 14 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Hierzulande leidet nach Zahlen des Robert-Koch-Instituts jedes achte Kind und jeder siebte Erwachsene an einem akuten Vitamin-D-Mangel mit erhöhtem Risiko für Knochenkrankheiten. Etwa die Hälfte der Bevölkerung ist zudem nicht ausreichend mit Vitamin D versorgt, „mit möglichen Folgen für die Knochengesundheit“. Hower hat jedoch auch selbst mit zwei Kollegen in einer Studie 2000 Mülheimer Kinder über sechs Jahre untersucht: Bei vier von fünf Kindern stellten sie eine unzureichende Versorgung fest.

Dennoch hält die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) „eine Anreicherung von Lebensmitteln mit Vitamin D für nicht empfehlenswert, insbesondere nicht nach dem Gießkannenprinzip“, erklärt Sprecherin Antje Gahl, wobei sie einräumt, dass „angereicherte Lebensmittel auch zur Versorgung beitragen.“ Doch wenn schon, sollte man das Vitamin besser Milch, Naturjoghurt oder ungezuckerten Müslis beigeben statt dem eher zuckerreichen Kakao oder Schokoriegel. Im Vordergrund stehe aber die körpereigene Bildung des Vitamin D. Eine zusätzliche Einnahme von Präparaten empfiehlt die DGE nur dann, wenn eine unzureichende Versorgung nachgewiesen ist – und das Kind trotzdem partout nicht an die Sonne kommt.

Welche Strategie ist die richtige?

Jürgen Hower hält diese Sicht für realitätsfern. „Wir haben zunehmend einen Lebensstil, der sich drinnen abspielt“, attestiert er und sagt: „Wir wollen ja nicht, dass die Kinder mehr Schokolade essen. Aber Schokolade mögen sie nun mal und dann sollen sie einen Vorteil haben.“

So sieht der Trunk aus, der testweise in einigen Supermärkten der Region zu finden ist.
So sieht der Trunk aus, der testweise in einigen Supermärkten der Region zu finden ist. © Olaf Fuhrmann

Hower verweist darauf, dass in den USA und Kanada Milch und Mehl, zum Teil auch Cerealien und Joghurt schon lange gesetzlich vorgeschrieben mit Vitamin D angereichert werden, ähnlich dem Jodsalz in Deutschland. Darüber hinaus empfehlen die Behörden dort allen Erwachsenen die tägliche Einnahme von Vitamin D (15 Mikrogramm). Der englische Gesundheitsdienst empfiehlt dies allen Erwachsenen im Herbst und Winter, Kindern bis vier Jahren ganzjährig (10 Mikrogramm). So soll der empfohlene Referenzwert von 20 Mikrogramm pro Tag erreicht werden, der auch in Deutschland gilt. Nur soll er hier über eine ausgewogene Ernährung und Sonnenlicht zustande kommen. „Eine grundsätzliche Entscheidung“, nennt DGE-Sprecherin Antje Gahl diese Strategie.

Ein „Dr. Chococo“-Riegel von 30 Gramm enthält 2,5 Mikrogramm des geschmacklosen Zusatzes. Ein Kakaotrunk von 200 Millilitern das Doppelte – also ein Viertel des empfohlenen Tagesbedarfs. Man könnte stattdessen auch 100 Gramm Makrele essen, 250 Gramm Shiitake-Pilze oder ein Kilo Schnitzel – letzteres wäre aber ein recht großer Kinderteller.

>> Info: Wie man Vitamin-D-Mangel entgegenwirkt

Um niedrigen Vitamin-D-Werten vor allem im Winter entgegenzuwirken, empfiehlt das Robert-Koch-Institut, zwischen März und Oktober zwei- bis dreimal pro Woche Gesicht, Hände und Arme unbedeckt und ohne Sonnenschutz der Sonne auszusetzen. Dabei reichen rund 15 Minuten, einen Sonnenbrand gilt es natürlich zu vermeiden. „Normale“ Solarien bewirken übrigens nichts, denn entscheidend ist das UV-B-Licht, nicht die bräunende UV-A-Strahlung.

Wenn man Vitamin-D-Präparate nimmt, sollten Kinder unter zehn keinesfalls mehr als 50 Mikrogramm und Erwachsene nicht mehr als 100 Mikrogramm täglich zu sich nehmen laut Europäischer Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Vitamin C kann sich im Körper anreichern. Ein dauerhaftes Zuviel kann zu Nierensteinen oder Nierenverkalkung führen, akut kann der resultierende stark erhöhte Kalziumspiegel laut Robert-Koch-Institut zu Übelkeit, Appetitlosigkeit, Bauchkrämpfen und in schweren Fällen bis hin zum Tode führen.

2. Vitamin-D-Überdosierungen und dadurch mögliche Nebenwirkungen sind nicht durch eine exzessive Sonnenbestrahlung der Haut, sondern nur durch eine überhöhte orale Zufuhr möglich. Auch bei Kindern sollte besonders sorgfältig abgewogen werden. Sie verzehren in der Regel schon mehrere angereicherte Lebensmittel (z. B. Frühstückscerealien). Werden zusätzlich Vitamin-D-angereicherte Lebensmittel wie z. B. Schokotrunk oder Schokoriegel verzehrt, erreichen bzw. überschreiten Kinder den Upper Level für Vitamin D umso schneller. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat für Erwachsene und für Kinder ab 11 Lebensjahren eine tolerierbare Gesamtzufuhrmenge pro Tag von 100 Mikrogramm Vitamin D und für Kinder bis 10 Lebensjahre von 50 Mikrogramm Vitamin D abgeleitet. Diese tolerierbaren Gesamtzufuhrmengen pro Tag beziehen sich auf die Vitamin-D-Zufuhr aus allen Lebensmitteln, also einschließlich Vitamin-D-Präparate und angereicherte Lebensmittel. Bei einer regelmäßigen täglichen Zufuhr von über 100 Mikrogramm Vitamin D können unerwünschte Wirkungen wie Bildung von Nierensteinen oder Nierenverkalkung auftreten.

3. Eine bessere Prophylaxe für Kinder statt angereicherter Schokodrinks und -riegel ist sicherlich der Aufenthalt und die Bewegung an der frischen Luft. Mit täglich 10-20 Minuten uneingecremt, können Kinder durch die Sonneneinstrahlung ausreichend Vitamin D über die Haut bilden. In den Sommermonaten ist es möglich, durch die körpereigene Bildung die gewünschte Serumkonzentration des 25-Hydroxyvitamin-D von 50 nmol/l zu erreichen.