Ruhrgebiet. . Heute lassen wieder tausende Schüler den Unterricht ausfallen, um bei „Fridays for Future“ zu demonstrieren. Diese vier gehören zum harten Kern.

Als wir Levi Camatta treffen, organisiert er an seinem Handy den großen Aufstand, effektiv wie ein Manager. Der Dreizehnjährige vom Gymnasium Essen-Werden gehört zum harten Kern der „Friday for Future“-Bewegung (FFF), so wie Tilda Isimbi (16) vom Leibniz-Gymnasium Dortmund, Franziska Muthmann (15) vom Freiherr-Vom-Stein-Gymnasium in Oberhausen und Philipp Ehren (18) vom Duisburger Steinbart-Gymnasium in ihren Städten. Sie gehören zu denen, die vor Ort die Proteste anschieben, wenn heute wieder zigtausende Schüler den Unterricht ausfallen lassen, um für Klimaschutz zu demonstrieren.

Levi, Du bist der Jüngste. Eine Demo organisieren, kann das jedes Kind?

Levi: Nein. Ein Kind schon deshalb nicht, weil man sie erst ab 18 anmelden kann. Wir haben ein Orgateam mit 20 Leuten, die sich über Telegramm abstimmen, der Rest läuft über WhatsApp. Ich bin in wahrscheinlich 15 Gruppen, auch NRW und anderen Ortsgruppen, um mich mit denen auszutauschen. An manchen Tagen kommen da 2000 Nachrichten zusammen, man muss sich die Handynutzung halt gut einteilen. Ich verbringe wahrscheinlich nicht mehr als zwei Stunden täglich damit.

Tilda: Bei uns ist die Arbeit gerecht zwischen allen 20 Leuten verteilt, da ist es auch nie schlimm zu sagen: Hey, heute bin ich raus.

Levi: Es helfen auch Ältere mit, Leute von Greenpeace zum Beispiel, die in dem Moment aber nicht Greenpeace sind.

Philipp: Uns ist es wichtig, dass wir überparteilich sind. Deswegen verbinden wir uns zum Beispiel nicht mit den Grünen.

Tilda. Wenn eine NGO mit ihrem Banner ankommt, sagen wir denen: Schön, dass ihr mitmacht, aber bitte lauft nicht vorne mit. Wenn es anders wäre, würde FFF nicht lange existieren.

„Plötzlich kamen 3000 statt 1000 Leute“

Mit welchen Problemen habt ihr nun zu kämpfen?

Levi: Die Route ist ein großes Problem. Wenn man über den Bürgersteig ausweichen muss, ist das ärgerlich, denn dort wird es eng.

Philipp: Bei uns ist es schwierig, ausreichend Ordner aufzutreiben. Wir müssen auf 50 Demonstranten einen stellen, der über 18 Jahre alt sein muss. Da ist es ein Vorteil, dass es jetzt in vielen Städten die Parents-for-future-Gruppen gibt.

Tilda: Wir hatten Probleme mit dem Sound. Man will ja nicht mehr Geld für Lautsprecher ausgeben, als sein muss, aber plötzlich kamen 3000 statt 1000 Leute – und hinten hat man nichts mehr gehört.

Philipp: Der Jugendverband der MLPD hat bei uns Flyer verteilt. Die ersten zwei Sätze waren zu FFF, der Rest war über die und wie man Mitglied wird.

Wie ist das, ein Mikrofon zu ergreifen?

Die Demo in Düsseldorf vergangene Woche.
Die Demo in Düsseldorf vergangene Woche. © Lars Heidrich

Philipp: Ich habe vor zwei Wochen das erste Mal eine Rede gehalten. Natürlich ist man nervös, aber auch gespannt. Auch wenn man weiß, was man sagen will. Ich war sehr überrascht von mir, aber habe da eine Jetzt-erst-recht-Mentalität entwickelt. Man lernt ziemlich viel, zum Beispiel wie man große Gruppen motiviert.

Levi: Mittlerweile habe ich einige Reden gehalten und brauche für die Vorbereitung 15 Minuten für den Inhalt und zehn für die Formulierungen, man kann ja improvisieren. Nur bevor ich im Essener Umweltausschuss gesprochen habe, habe ich drei Stunden aufgewendet und Argumente geübt. Auf einer Demo gibt es ja in der Regel keine Nachfragen.

Tilda: Man ist natürlich elektrisiert, aber man weiß auch, dass man das gleiche Ziel hat. Das macht es einfacher, als wenn man gegen Leute anredet. Am meisten Zeit frisst es, sich inhaltlich vorzubereiten. Man muss ja wissen, wo politisch der Hase langläuft, sonst wird man doch nur als Schulschwänzer abgekanzelt. Und das ist ja das lächerlichste Argument.

Warum?

Tilda: Es geht um was Größeres als Bildung und Schule. Im Zweifel kann ich meinen Stoff am Wochenende nachholen. Aber Klimaschutz kann man nicht nachholen.

Levi: Wir haben uns so organisiert, dass wir bei FFF Nachhilfe anbieten können.

Philipp: Ich finde es fast schon lächerlich, dass die Bundeskanzlerin die Schulstreiks gut findet, aber ihre Partei, die CDU, blockiert das Klimaschutzgesetz.

Wie lange sollen die Demos weitergehen? Macht ihr Euch Gedanken über andere Wege des Engagements?

Levi: Viele denken, es dauert zwei Monate, dann ist es vorbei. Aber das wird es nicht sein. Wir werden so lange streiken, wie es nötig ist, bis man Ergebnisse vorzeigen kann. Ich kann mir auch vorstellen, eine ganze Aktionswoche nicht da zu sein.

Vier Jugendliche, die etwas bewegen wollen: Franziska, Tilda, Levi und Philipp.
Vier Jugendliche, die etwas bewegen wollen: Franziska, Tilda, Levi und Philipp. © Fabian Strauch

Franziska: Je weiter man aufsteigt in der Schule, desto schwieriger ist es, dem Unterricht oder Klausuren fernzubleiben. Ich persönlich fände es nicht schlecht, wenn man am Wochenende streiken würde. Wir haben ja nun schon viel Aufmerksamkeit.

Levi: Das ist nicht halb so effektiv. Ich verstehe deine Meinung komplett, aber man muss Prioritäten setzen.

Tilda: Samstags vor dem Landtag zu demonstrieren kann im Zweifel sehr sinnfrei sein.

Philipp. Ich kann das Argument verstehen, dass es schwierig ist, wenn man zwei hohe Güter, Bildung und politisches Engagement, so gegenüberstellt. Es ist ein Mittel, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Aber mittlerweile ist es viel mehr als Schulschwänzen für den Klimaschutz. Wir haben am Wochenende Müll an der Ruhr gesammelt, versuchen Tipps für den umweltbewussten Alltag zu entwickeln und haben einen Infostand in der Innenstadt.

http://Klimademo_„Fridays_for_Future“_spaltet_die_Eltern_in_NRW{esc#216720651}[news]Franziska: ich bin zum Beispiel auch in der Fair-Trade-AG, was auch ein guter Weg ist, um Nachhaltigkeit zu thematisieren. Es wirkt charakterbildend. Man hält Vorträge, beschäftigt sich intensiv mit einem Thema und lernt Menschen kennen.

Was hat Euch persönlich motiviert?

Franziska: Seit ich in der fünften Klasse erfahren habe, dass es so etwas gibt wie Erderwärmung, beschäftigt mich das. Ein Referat, dass ich dann ein Jahr später gehalten habe, hat bei mir viel verändert. Seitdem bin ich Vegetarierin, engagiere mich für Fair Trade und jetzt auch für FFF.

Tilda: Ich habe diese komplexen Schaubilder nie verstanden. Aber als Trump den Klimawandel als Erfindung der Chinesen verkaufen wollte und ich ein Referat über das Pariser Klimaschutzabkommen halten musste, ist bei mir was passiert. Ich kann als Jugendliche abgesehen von Kommunalwahlen nicht wählen. Wenn ich also meinen Unmut äußern möchte, ist das der beste Weg.

Philipp: Wie schlimm es ist, hat mir der Film „Eine unbequeme Wahrheit“ von Al Gore verdeutlicht. Eine Grafik zur Häufigkeit von Klimaanomalien fand ich beeindruckend. Es gab dann eine Phase, wo ich sehr pessimistisch war, dass der Einzelne etwas ausrichten könne. Aber mit FFF sieht man, was man bewegen kann.

Ist Greta Thunberg ein Vorbild?

Nominiert für den Friedensnobelpreis – und präsent beim Rosenmontagszug in Düsseldorf: die schwedische Aktivistin Greta Thunberg.
Nominiert für den Friedensnobelpreis – und präsent beim Rosenmontagszug in Düsseldorf: die schwedische Aktivistin Greta Thunberg. © Kai Kitschenberg

Tilda: Ich sehe Personenkult immer ein bisschen kritisch. Aber man kann nicht abstreiten, dass sie mit den Streiks angefangen hat.

Philipp: Man muss es anerkennen, dass es ihre Idee war. Aber auch nicht mehr. Die Bewegung braucht aber auch keine herausgestellten Personen mehr.

Levi: Greta ist ein total krasser Mensch. Und hält so gute Reden. Aber ich sehe es auch wie ihr. Im Grunde haben wir keine Leitung, es gibt nur eine Kommunikation zwischen Ortsgruppen.

Was, wenn die Lehrer durchgreifen und Fehlstunden eintragen?

Levi: Bei uns werden die mittlerweile aufgeschrieben. Ich habe bereits zwölf. Aber wenn ich nächstes Jahr ein Praktikum machen will, kann ich auf mein Engagement verweisen. Und wenn der Betrieb mich nicht will, war es vielleicht auch nicht der richtige für mich.

Tilda: Im Zweifel ist man halt krank, wenn die Eltern es unterstützen.

Philipp: Ich werde auch aufgeschrieben. Die Lehrer dürfen es nicht mehr entschuldigen, ich habe aber noch keinen getroffen, der es doof findet.

Kann sich einer von Euch vorstellen, in die Politik zu gehen?

Levi: Ja (wie aus der Pistole geschossen).

Franziska: Ich habe schon darüber nachgedacht, aber es wäre mehr aus der Not. Ich finde es einfach schwierig, den richtigen Volksvertreter für mich zu finden.

Tilda: Ich kann’s mir gar nicht vorstellen. Ich kriege schon Kopfschmerzen bei dem Gedanken, dass ich mich einer Partei mit meiner Stimme verpflichten muss.