Castrop-Rauxel/Dortmund. . Ein Spezialunternehmen hat am Sonntag das Kraftwerk Knepper bei Dortmund gesprengt. Für die Nachbarn gab es Buffet und Ohrenstöpsel.
Um kurz nach acht am Sonntagmorgen zieht die ganze Oestricher Straße in Castrop-Rauxel aus. Die Atzlers sind vors Haus getreten, Wefringhausens und all die anderen Nachbarn mit Kindern und Kinderwagen, Handtaschen, Ausweisen, Zutrittsberechtigungen; Kleinbusse lesen die Menschen auf und fahren sie auf das Gelände des früheren Kohlekraftwerks Knepper.
Zwei große, überheizte Partyzelte warten dort auf sie und ein nettes Frühstücksbuffet. Sieht fast ein bisschen aus wie Urlaub: stünden da nicht neben Kaffeekannen Schüsseln mit Ohrenstöpseln.
Der Schornstein war 210 Meter hoch
„Das Wahrzeichen verschwindet“, sagt Annelie Atzler, „wenn man aus dem Urlaub kam und das Kraftwerk sah, dann wusste man, man ist zuhause.“ „Hier, das sehen wir von unserem Haus aus“, sagt ein Mann und zeigt ein Smartphone-Bild: darauf ist der Kühlturm, der Kühlturm und der Kühlturm zu sehen. „Wenn er weg ist, wird er erst mal fehlen.“
128 Meter hoch, wird er gleich gesprengt, ebenso wie der Schornstein von 210 Metern, wie Kesselhaus und Fahrstuhlschacht mit 70 Metern. Eine Menge Holz, sozusagen; auch wenn der an diesem Sonntag viel gebrauchte Superlativ, dies sei die größte Sprengung des Jahres bisher, Mitte Februar erkennbar noch ein bisschen schwächelt.
Rettungshunde suchen den Gefahrenbereich ab
Einige hundert Menschen versammeln sich an diesem speziellen, abgesperrten Aussichtspunkt. Die Evakuierten, dann die Mitarbeiter des Abriss- und Spreng-Unternehmens Hagedorn, Sprengtechniker in gelben Westen, Polizei, Wachleute. Viele Geschäftsleute auch mit ihren Kindern, Kunden von Hagedorn, denen das Gütersloher Unternehmen einmal richtig zeigen will, was es kann. Und eine Rettungshundestaffel des DRK, die nochmals den Gefahrenbereich absucht: Ist da auch niemand mehr?
Doch, da ist noch jemand.
Sie verschieben also die erste Sprengung um 25 Minuten. Überhaupt, draußen, auf den Sträßchen und Feldern in Castrop-Rauxel und dem Dortmunder Norden: Haben tausende zu diesem Zeitpunkt ihre Autos abgestellt, gucken, filmen, fotografieren. „Hölle los“, sagt ein Mann, der fast zu spät gekommen wäre zum Aussichtspunkt, 600 Meter vom Kühlturm entfernt.
„Schönere Choreographie kann man nicht erzeugen“
Die winzigen Menschen in Gelb, die man vorhin da hinten noch sah, die sind jetzt verschwunden. Ein Signal ertönt, die Menge wird still, man hört nur das Sirren der Drohnen und den Hubschrauber da oben. Das zweite Signal! Noch ein Moment, dann beginnt das Kesselhaus zu fallen, man sieht es, bevor man es hört; und dann steigt eine große, schmutzig-gelbbraune Staubwolke auf.
Die Szene wiederholt sich kurz nach 12 Uhr mit Kühlturm und Schornstein, die fast eine Art Explosionsballett zeigen. Nun klatschen die Leute. „Schön, richtig schön“, sagt ein Techniker zum anderen, zwei Männer nehmen einander in den Arm. Sprengmeister Eduard Reisch wird es später ähnlich beschreiben: „Eine schönere Choreographie kann man für eine Bauwerkssprengung nicht erzeugen.“
24 Stunden darf sich hier gar nichts tun. Dann werden 15 riesige Bagger, die wegen der Sprengung weitab eingeparkt wurden, sich der 28.400 Tonnen Bauschutt und Stahlschrott annehmen, die am Sonntag hier angefallen sind. Und die Oestricher Straße? Ist nachmittags wieder zuhause. „Wenn die Häuser stehen bleiben, ist es okay“, hatte ein Mann vorher gesagt. Und so kam es dann ja auch.