Ruhrgebiet. Hat ein Getränkekarton ausgedient, kann er recycelt werden. Dafür muss er mehrere Stationen durchlaufen. Wir haben sie uns angesehen.
Christian Boß zieht schwungvoll eine 240-Liter-Tonne über die Straße. Bis zu tausend Stück der gelb-schwarzen Behälter bringt er an einem Tag in Position, damit der Müllwagen ihren Inhalt verschlucken kann. „Das merkt man nachher in den Armen“, sagt der 45-Jährige. Plastiktüten, Shampoo-Flaschen, Konservendosen, zwischen 6000 und 8000 Kilogramm Plastik landen täglich in dem laut dröhnenden Gefährt – und heute auch ein kleines Tetrapak. Der kompakte gelbe Karton tritt seine letzte Reise an.
Sie beginnt in einer ruhigen Wohngegend in Essen Stadtwald, führt über die Sortieranlage in Bochum und endet in einem Recyclingwerk. Damit aus der Verpackung am Ende wieder etwas Neues entstehen kann, muss der Verbraucher sie von den Abfällen der grauen Tonne getrennt sammeln. In Deutschland gibt es neun duale Systeme, die das Sortieren und Verwerten von Verpackungsmüll organisieren. Das wohl bekannteste ist der Grüne Punkt.
Schwere Tonnen deuten auf Fehlwürfe hin
Dass das mit dem Trennen nicht immer funktioniert, erkennt Christian Boß schon am Gewicht der Abfallbehälter. „Wenn nur Verpackungsmüll drin ist, sind sie leicht.“ Schwere Tonnen deuten auf Fehlwürfe hin, sagt der Entsorger. „Hausmüll entdeckt man darin, teilweise Elektrosachen, Farbe, oft auch Windeln.“ Dinge, die nicht recycelt werden können.
In der Remondis-Sortieranlage dividieren ausgeklügelte Maschinen das Abfall-Einerlei wieder auseinander. Müll aus rund 100 Kilometern Umkreis laden Sammelfahrzeuge und Sattelzüge hier in Bochum ab, und das an fünf Tagen in der Woche, rund um die Uhr. Klirrend und Klatschend ergießt sich der bunt glänzende Inhalt auf den Boden. Die Luft ist warm und getränkt vom Geruch vor sich hingammelnder Lebensmittelreste.
Unterschiedliche Materialien trennen
An der Rückseite der riesigen Halle rattert ein Schwingsieb, das den Müll aus den maschinell aufgerissenen Säcken schüttelt.
Waschmittelverpackungen, Milch- und Chipstüten, ein Staubsaugerrohr. „Das schlimmste, was man in die gelbe Tonne schmeißen kann, sind Gartenschläuche. Die wickeln sich um alles herum. Dadurch haben wir oft technische Schäden“, sagt Betriebsstättenleiter Jens Trottenberg. Auch er bemerkt immer mehr Fehlwürfe, immer mehr “Mist, der hier nicht reindarf”.
In der Verantwortung sieht der 50-Jährige nicht nur den Verbraucher. Das duale System sei “kompliziert”. Etwa wenn Hersteller Verpackungen aus mehreren Materialien produzieren. Ein Joghurtbecher mit Aluminium-Deckel zum Beispiel wird von der Sortiermaschine nicht erkannt und geht in die Verbrennung. Wie insgesamt rund 40 Prozent der Abfälle, die hier landen, sagt Trottenberg. Darum sei es wichtig, unterschiedliche Materialien voneinander zu trennen, bevor man sie wegwirft.
70 Prozent Karton, 30 Prozent Plastik
Auch Tetrapaks setzen sich aus mehreren Stoffen zusammen. Eine Schicht Kunststoff, genauer: Polyethylen, dann Papier, innen wieder Kunststoff und manchmal auch eine dünne Schicht Aluminium. Rund 70
Prozent Karton, etwa 30 Prozent Kunststoff. Erst beim Recycling werden diese Komponenten wieder voneinander gelöst. Jetzt fließt der kleine gelbe Getränkekarton erstmal seinen Weg über zahlreiche Bänder, immer wieder auf und ab, bis er von einem Infrarot-Scanner erfasst und aus dem Abfallstrom aussortiert wird.
Was vorne als Müll in die Anlage hineinläuft, kommt hinten in zehn unterschiedliche Produkte aufgeteilt wieder heraus. In etwa einmal ein Meter große Würfel gepresst und haushoch aufeinander gestapelt warten sie darauf, in etwas Neues verwandelt zu werden. Glitzernde Aluminiumballen stehen da, Margarinenverpackungen neben Obstschalen, Plastikflaschen und: Würfel nur aus Getränkekartons.
Plastikanteil wird verbrannt
Die 600-Kilogramm-Ballen werden an Recyclingwerke verkauft. Dort häckselt ein Schredder die plattgepressten Tetrapaks in Stücke. In einer langen Trommel vermischen sie sich mit Wasser, lösen sich langsam auf. Die Folienreste werden in Zementwerken „verwertet“, was das Gleiche bedeutet wie „verbrannt“. Aus den Kartonfasern entsteht etwas neues: Pizzakartons zum Beispiel oder Wellpappe.
Und so findet die Reise des Tetrapaks, die in der gelben Tonne begann, eigentlich gar kein Ende. Denn ein Teil des kleinen Kartons lebt nun in anderer Gestalt weiter.
Vom Tetrapak zum Pizzakarton
Wenn ein Getränkekarton ausgedient hat, wird aus ihm kein neuer Getränkekarton. Das habe unter anderem hygienische Gründe, erklärt Michael Kleene, stellvertretender Geschäftsführer vom Fachverband Kartonverpackungen für flüssige Nahrungsmittel e.V. (FKN).
Aus Abfall gewonnenes Plastik, ein Sekundärrohstoff, dürfe nur unter speziellen Voraussetzungen im Lebensmittelbereich eingesetzt werden. Und Papier werde im Recyclingprozess kurzfaseriger und damit zu instabil für ein Tetrapak.
Aus Verpackungen entsteht etwas Neues
“Getränkekartons werden immer zu 100 Prozent aus Neufasern hergestellt”, sagt Kleene. Haben die Verpackungen ausgedient, entsteht aus ihnen wieder etwas Neues. Auf diese Weise werden Primärrohstoffe eingespart, Erdöl etwa, erklärt der Fachmann. „Recycling hat einen positiven ökologischen Effekt. Das ist unbestritten.“
Allerdings sei dieser nicht so bedeutend, wie viele glauben. Rechnet man alle Umweltlasten eines Produktes zusammen – Herstellung, Transport, Verwertung –, zeigt sich: „Wenn ich gar nicht recycle, wäre mein Produkt maximal zehn Prozent schlechter,“ so Kleene.
Verbraucher müssen motiviert werden
Dennoch fordert er, die Verbraucher zum Mülltrennen zu motivieren. “Die Leute glauben nicht mehr daran, dass sich ihr Engagement ökologisch auszahlt.”
Mit Inkrafttreten des neuen Verpackungsgesetzes am 1. Januar erhofft er sich, dass mehr Geld in die Aufklärung der Verbraucher investiert wird und in ein verständliches System. “Damit die Leute wissen, dass ein Getränkekarton, der sich anfühlt wie Papier, eben auch in die gelbe Tonne gehört.”
>>> NEUES VERPACKUNGSGESETZ GILT AB JANUAR 2019
Das Gesetz verpflichtet alle Vertreiber von Verpackungen, sich am dualen System zu beteiligen.
Mit dem Verpackungsgesetz sollen sich die Recyclingquoten verbessern. Aktuell werden 60 Prozent der Getränkekartons verwertet, bis 2019 soll die Menge auf 75 Prozent ansteigen, 2020 soll sie bei 80 Prozent liegen.
Es ist eine Kommunikationskampagne geplant, die über korrekte Mülltrennung aufklären soll. So soll für den Verbraucher leichter verständlich werden, welche Abfälle er in der gelben Tonne entsorgen darf und welche nicht.
Ein Tetrapak auf seiner letzten Reise