Ruhrgebiet. . Die Brieftauben haben es nicht auf die nationale Liste des Kulturerbes geschafft. Tierschützer liefen Sturm, Züchter reagieren enttäuscht.
Natürlich hatten die Kultusminister auf ihrer 364. Konferenz noch andere Themen auf dem Tisch. Nachrangiges wie den Digitalpakt Schule oder die Studienplatzvergabe in Medizin. Aber da saßen Tausende Taubenzüchter seit Nikolaus in banger Erwartung (und die sind Warten gewohnt): Kommt die Brieftaube wie der Rheinische Karneval auf die nationale Liste des „Immateriellen Kulturerbes“?
Kommt sie nicht. Dienstagmorgen verschickte die Deutsche Unesco- Kommission ihr bundesweites Verzeichnis, mit 18 Neuaufnahmen von A wie „Augsburger Hohes Friedensfest“ bis Z wie „Zoiglkultur“ – aber ohne das „Deutsche Brieftaubenwesen“. Der Verband der Deutschen Brieftaubenzüchter in Essen, der den Antrag gestellt hatte, reagierte umgehend enttäuscht: „Wir sind total traurig“, sagte Sprecherin Elena Finke. Ehrenpräsident Horst Menzel kritisierte: „Da hat eine Kulturform nicht die Wertschätzung erfahren, die sie verdient!“ Das Brieftaubenwesen, erklärte der aktuelle Präsident Richard Groß, sei schließlich „eine gelebte Tradition, die Natur und Zivilisation seit Jahrhunderten verbindet und uns Menschen bereits große Dienste erwiesen hat“.
Das sehen Tierschützer allerdings anders. Im Sommer hatte der Deutsche Tierschutzverband in einem Brief dringend davor gewarnt, die Brieftauben-Zucht zum Kulturerbe zu machen. Bei der „sogenannten Tradition“, schrieben sie an die Deutsche Unesco-Kommission, würden Hunderttausende Vögel „ausgebeutet, verletzt oder sogar getötet“. Den Züchtern warfen die Tierschützer vor, sie würden die Vögel bei Preisflügen „tierschutzwidrig überfordern“. Eine Anerkennung als Kulturerbe sei deshalb „inakzeptabel“.
Zeitgemäße Mensch-Tier-Beziehung
Der Züchterverband wehrte sich und wies die Vorwürfe als „haltlos“ zurück. Eine Stellungnahme aber, sagt Horst Menzel, habe die Kultusministerkonferenz, die der deutschen Unesco Empfehlungen macht, abgelehnt. Nun aber wirft die Jury-Begründung dem Verband genau das vor: In der ein Jahr alten Bewerbung würden „gesellschaftliche Kontroversen um Tierhaltung und -nutzung nicht thematisiert, eine Reflektion über eine zeitgemäße Mensch-Tier-Beziehung findet nicht statt“. Außerdem widerspreche die „vordergründige kommerzielle Nutzung der Tiere“ den Kriterien. „Befremdlich“ findet das Horst Menzel.
Wenn die Vorwürfe der Tierschützer stimmten, sagt in Kamen der Taubenschützer Marcel Krause, „hätte ich nach zwei Flügen keine Taube mehr“. Eine einzige von 150 hat der 26-Jährige in diesem Jahr auf einem Wettflug verloren, sie wurde von einem Greifvogel gerissen. „Wir sind die Opfer“, sagt sogar Ehrenpräsident Menzel: 95 Prozent der verlorenen Tauben kämen nicht bei Wettkämpfen, sondern bei Freiflügen rund um ihren Schlag ums Leben. „Die Freiflüge gehören aber doch zur artgerechten Haltung!“ Die Falknerei habe die Unesco sehr wohl als Kulturerbe geschützt, „aber die Falken fressen unsere Tauben, das finden wir doch ein bisschen. . .“ Menzel bringt den Satz nicht zu Ende.
Junge Leute sind selten im Verband
Trotzdem geben die Taubenzüchter nicht auf. In zwei Jahren dürfen sie sich ein weiteres Mal bewerben, „hinfallen und wieder aufstehen“, sagt Marcel Krause. Junge Leute wie ihn gibt es indes selten. Noch sind sie 30.000 im Verband, ihre Zahl geht jedoch jedes Jahr um knappe 1000 zurück. Auch deshalb hatte man sich als Kulturerbe beworben. Die Aufnahme in die Landesliste NRW im Frühjahr habe, sagt Georg Hochholzer von der Reisevereinigung Herne/Wanne 1900 „für Aufsehen und Aufwind gesorgt“.
Umso größer die Überraschung, dass die Brieftaube bundesweit nicht zum „kulturellen Reichtum“ gehören soll, den die Entscheider in Berlin am Dienstag feierten. Gejubelt wurde auch in Bonn: Die Sache sei „im Sinne des Tierschutzes“ ausgegangen, sagte Lea Schmitz, Sprecherin beim Deutschen Tierschutzbund. „Die Fakten sprechen für sich.“
>>INFO: DIE 18 „NEUEN“ AUF DER KULTURERBE-LISTE
Augsburger Hohes Friedensfest; Fürther Michaeliskirchweih; Bürgersöhne-Aufzug zu Lingen; Osterräderlauf Lügde; Schäferlauf und -handwerk Markgröningen; Baumfelderwirtschaft und Dörrobstherstellung Steigerwald; Drechslerhandwerk; Zeesboote in der Mecklenburg-Vorpommerschen Boddenlandschaft.
Handwerksmüllerei; Darßer Türen; Flechthecken; Haubergswirtschaft Siegerland; Wiesenbewässerung Landau/Germersheim; Altersgenossenfeste Schwäbisch Gmünd; Helgoländer Dampferbörte; Oberpfälzer Zoigl-kultur; Welttanzprogramm Paartanz; Zusammenleben deutsch-dänisches Grenzland.