Düsseldorf. Im Loveparade-Prozess sagt der Polizist aus, der den Einsatz an der Rampe leitete. Allerdings erfuhr der Beamte das erst eine Stunde vorher.
Sie hat nicht lange gehalten, die dritte Polizeikette auf der Rampe zur Loveparade in Duisburg, und doch ist sie traurig berühmt geworden: als wenigstens „ein Auslöser der tragischen Ereignisse“ vom 24. Juli 2010. Als 21 Menschen im Gedränge starben, auch weil vor und hinter der Reihe Polizisten nichts mehr ging. So steht es im vorläufigen Gutachten, so haben es schon andere im Prozess erzählt. Nur will es bislang niemand gewesen sein. Auch der Zeuge am 81. Verhandlungstag in Düsseldorf hat sich die Kette nicht ausgedacht, er sagt, er hat sie auch nicht veranlasst. Aber „gebilligt“ habe er sie schon.
Der ursprüngliche Einsatzleiter wurde an dem Tag Vater
Der Polizeirat war einer der Chefs am Tag der Loveparade, als Einsatzabschnittsführer (EAF) verantwortlich für den Schutz der Veranstaltung im Bereich des Tunnels und der Rampe, die zur Party führten. Allerdings erfuhr der Beamte aus Bochum das erst eine gute Stunde vorher. „Bete, dass ich an dem Tag da bin“, hatte sein Vorgesetzter vorher geunkt, und tatsächlich wurde der eigentliche EAF just an diesem Morgen Vater – er fuhr in den Kreißsaal statt nach Duisburg. Sein Stellvertreter übernahm. Er sei vorbereitet gewesen, sagt der, obwohl er frisch aus dem Urlaub kam. Aber er kannte die Pläne und wusste von der Loveparade in Dortmund, „dass es schwierig werden würde, aber so schwierig, hatte ich nicht gedacht“. Auf einmal war er „mittendrin“.
Der heute 49-Jährige atmet schwer, als er erzählt, wie er versuchte, eine Lage zu beherrschen, die bei seinem Eintreffen bereits außer Kontrolle geraten war. Es ist dem Polizeirat anzusehen, wie er kämpft mit sich und seinen Erinnerungen; er habe sich seither, sagt er, jeden Tag mit der Loveparade beschäftigt. Seine Finger verkrampfen sich, die Augen hinter der Brille zucken, sein Vortrag endet mit dem Satz: „Ich hab’ das nicht mehr hingekriegt.“
Auch er scheiterte wohl an dem, was das Gutachten so formuliert: „Die einzelnen Ursachen haben gemeinsam gewirkt.“
„Jupiter 01“ kommt nicht durch
Da war der Lautsprecherwagen, der zwar da, aber kaputt war. Da war seine Funkverbindung als „Jupiter 01“, die nicht durchgehend funktionierte, das Handy, das kein Netz fand („da ging nichts, ich konnte keinen erreichen“), die Lautstärke, die einen mündlichen Austausch unmöglich machte. So fand der 49-Jährige sich wieder auf dem Dach eines Containers, sah erst von oben die Menge, „meine Güte, hast du dich so verschätzt“? Machte Handbewegungen, um aufzulösen, was er eine „Störung“ nennt. Gesten „wie aus der Steinzeit der Polizei“.
Da waren Polizisten, die abgelöst werden mussten, gerade als die Lage brenzlig wurde – „unglücklich“, wie der Zeuge sagt, der davon „dringend abgeraten“ hatte. Da waren Missverständnisse: geöffnete Zugangssperren, die der Polizeirat unbedingt geschlossen haben wollte. Der gestörte Draht zum „Crowdmanager“ des Veranstalters, der vor Gericht behauptet hatte, der EAF hätte nicht ihm geredet. Nun widerspricht der Polizist: Der Psychologe habe ihm vor den Bildern der Überwachungskameras mit einem Filzstift erklärt, wo er die dritte Polizeikette haben wollte: in der Mitte der Rampe. „Um die Leute nach oben zu schieben“ und damit sie den zwei anderen Ketten im Tunnel nicht in den Rücken liefen.
Wer nun den Befehl zur dritten Kette gab, muss der Prozess noch klären
Der Einsatzabschnittsführer war einverstanden, will den Befehl dazu aber trotzdem zunächst nicht gegeben haben. Wer auch immer das also tat, sollen die nächsten Prozesstage klären. Als die Kette aber plötzlich da war, sagt der Polizeirat, „machte das schon keinen Sinn mehr“: Die Menge lichtete sich. „Und dann“, der Zeuge macht eine Pause, „und dann lagen da die Toten.“