Gelsenkirchen/Essen. . „Können wir morgen noch zur Baustelle fahren?“, fragen sich nicht nur die Dachdecker um Rolf Lutz – trotz hoher Investitionen in Fahrzeuge.

Für viele Menschen ist der Tag noch ziemlich jung, doch in der Fahrzeughalle der Rolf Lutz GmbH in Gelsenkirchen ist die Schlacht bereits geschlagen. Ein Sprinter-Doppelsitzer steht noch da, Kapazität sieben Sitze, damit man nicht mit mehreren Fahrzeugen zur Baustelle muss. Zwei Männer heben überflüssiges Material von der Ladefläche, Naturschieferplatten von der Baustelle einer Schule im Vorort Scholven; irgendwo im Lager werden sie vorübergehend verschwinden zwischen Bitumenöfen und Schuttrutschen. Das E-Fahrzeug steht im Hof, alle anderen sind unterwegs. Alles wie gehabt, typisch acht Uhr morgens, nur: So bleibt es ja nicht.

Die zehn Diesel sind nicht alt

Der Dachdeckermeister und Mit-Geschäftsführer Mike Sternkopf muss in eine andere Zukunft planen; eine, in der die Firmenwagen nicht mehr auf jeder Straße und jeder Autobahn fahren können. Dabei ist der Fahrzeugpark schon fortschrittlich strukturiert: zehn Euro-5-Diesel, fünf Euro-6-Diesel, ein E-Fahrzeug. „Die zehn sind nicht alt, die könnten noch sechs, acht, neun Jahre fahren“, sagt Sternkopf. „Jetzt lebe ich in dem Wissen: Sie sind nichts mehr wert.“

Die Lutz GmbH bedient Baustellen in ganz NRW und darüber hinaus. „Ich muss demnächst so planen: Welches Fahrzeug kann welche Baustelle anfahren? Ich muss Kunden sagen ,Heute kann ich nicht kommen’. Und ich muss überlegen: Kann ich diese Baustelle überhaupt noch annehmen?“, sagt der 45-Jährige. Ein Mitarbeiter habe ihn bereits gefragt: „Können wir morgen noch zu unserer Baustelle nach Kettwig fahren?“

Als Innungsmeister weiß er aber auch: „Vielen Kollegen geht es noch schlechter. Wenn ich ihnen in die Augen schaue: Sie überlegen, kann ich mir überhaupt einen Euro-6 leisten?“ Oder: einen kriegen? 70 Dachdeckerbetriebe gibt es in der Innung Gelsenkirchen/Bottrop/Gladbeck, 2000 in der Landesinnung Westfalen: „Da sehen Sie, wieviel Druck und Unsicherheit sich in einer einzigen Innung aufbaut. Dann kommen die Klempner, die Bäcker und all die anderen.“

Die Reichweite des E-Fahrzeugs reicht kaum aus für den Betrieb

Das E-Fahrzeug, ein Street Scooter, wie ihn auch die Post benutzt: Es stand im Hof, als alle anderen weg waren, und das ist kein Zufall. „Das ist mein Testballon, wie funktioniert das mit Reichweite, Zuladung und Aufladen.“ Ehrlich gesagt, nicht so gut. „Selbst wenn ich sagen könnte, zehn neue E-Autos, wären meine Probleme nicht gelöst. Ladestationen sind nicht verfügbar. Ich fahre zur Baustelle. Wie komme ich zurück?“

Direkt am Donnerstagnachmittag hat Sternkopf das Urteil zum Dieselfahrverbot studiert. Und seitdem Fragen: „Was bedeutet ,Ausnahmen für Gewerbetreibende’? Was bedeutet ,weitere Verdachtsstraßen’? Wie kommen die Mitarbeiter zu uns? Wie kommen unsere Lieferanten zu den Baustellen?“

In der besten aller Welten könnte der Betrieb die zehn Euro-5- durch zehn Euro-6-Diesel ersetzen, aber in der wirklichen Welt kostet so ein Neufahrzeug 30- bis 35.000 Euro. Auch, wenn die Innungen schon länger dabei sind, Sammelvereinbarungen mit Autoherstellern zu treffen über Sonderkonditionen: Das Problem ist ein anderes. „Euro-6 ist ja nicht das Ende der Fahnenstange“, sagt der Obermeister: „In fünf, sechs Jahren sind die auch nicht mehr aktuell. Das ist nur ein Zwischenschritt in meinen Augen.“ Es brauche einen „generellen gesellschaftlichen Umbruch, aber wie der aussieht, dazu fehlt mir die Fantasie“.

Herr Sternkopf, machen Sie sich Sorgen? „Ich mache mir Sorgen. Ich bin unsicher, weil man sich nicht mehr auf die Politik verlassen kann. Die Politik hat die richterliche Unabhängigkeit unterschätzt. Herr Laschet stellt sich hin und sagt, es wird keine Fahrverbote geben, und dann ist die Lösung, dass es Fahrverbote gibt.“