Kamp-Lintfort. . Kamp-Lintfort als eine der größten deutschen Städte ohne Bahnhof bekommt den Zug-Anschluss. Die Stadt hat lange dafür gekämpft. Ein Ortsbesuch.
Für einen Moment ist Christoph Landscheidt gut drei Jahre weiter als der Rest der Menschheit. „Herzlich willkommen am Hauptbahnhof!“, sagt der Bürgermeister von Kamp-Lintfort gut gelaunt zum Reporter.
Doch wo dieser Bahnhof im Jahr 2021 stehen soll, da sind nur ein hoher Hügel aus Erdaushub und ein Bauzaun zu sehen – und die stammen auch keineswegs von einer etwaigen Bahnhofsbaustelle.
Aber die Zeit geht tatsächlich zu Ende, in denen Landscheidt Gespräche führen musste, die er selbst als „peinlich“ empfand. Auswärtiger: „Ich nehme dann die Bahn. Wie komme ich zu Ihnen?“ Landscheidt: „Gar nicht.“ Klingt nach: Wir sind hier sehr, sehr abgelegen.
In den 50er-Jahren kein Gedanke an Schienen
Aber jetzt passiert es. Die Stadt bekommt einen Bahnanschluss. Ob da am Ende ein richtiger Bahnhof steht oder nur ein Bahnsteig mit Dach, ist zweitrangig – Hauptsache, der Zug kommt. Denn bis heute ist Kamp-Lintfort im äußersten Westen des Ruhrgebiets eine der größten deutschen Städte ohne Anschluss.
Die Stadt mit heute 38 500 Einwohnern entstand nämlich in den 50er-Jahren, als alles nur in Straßen dachte und nicht in Schienen. Und so gibt es bezeichnenderweise seit vielen Jahren – eine Bahnhofstraße.
Die Schnellbusse stehen öfter mal im Stau auf der A 40
Längst fahren wenigstens Busse zu den Bahnhöfen Geldern und Moers, aber die sind sozusagen auch nicht die Welt; und dann gibt es den „Schnellbus 30 – Duisburg Hbf Osteingang“. Er braucht schmerzhafte 49 Minuten dorthin und ist noch nicht mal in der Lage, auch nur die allerkleinsten Staus auf der A 40 zu überfliegen.
20 Jahre hatte Kamp-Lintfort um einen Bahnanschluss gerungen, und nun gaben zwei Gründe den Ausschlag: Zur Landesgartenschau, die hier im Jahr 2020 über die noch zu bepflanzende Bühne geht, werden eventuell schon Sonderzüge fahren. Die Hochschule Rhein-Waal, die immer noch recht neu ist, ist der zweite Grund: Denn eine Stadt mit Studenten, aber ohne Bahn, war für die Landesregierung undenkbar.
„Langfristig das bedeutendste Projekt“
Und so haben sie jetzt die Grundstücke beisammen, es flossen Fördermittel der derzeit gut situierten Bundesrepublik, das Land und der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr treten als Geldgeber auf und ein Betreiber ist an der Hand. Der Bahnanschluss sei „langfristig das bedeutendste Projekt für die Stadt. Der Standort wird aufgewertet“, sagt Arne Gogol aus dem Planungsamt.
Hinzu treten Image-Gründe (siehe auch „peinliche Gespräche“) und praktische Vorteile: „Der Zug ist doppelt so schnell wie der Bus. Unsere Pendler gewinnen sehr viel Zeit“, sagt Landscheidt, der sozialdemokratische Bürgermeister.
Früher fuhren hier bis zu 50 Kohlezüge täglich
Aber hier fuhr doch schon mal was! Man sieht es an Prellböcken, Eisenbahnbrücken und vor allem Schildern, die noch reichlich in der Landschaft stehen: „Achtung, Zug“, das rotgeränderte Warnschild; oder ein unmissverständliches „Unbefugten ist das Betreten der Bahnanlage verboten“. Wer es vergesslicherweise doch tut, steht direkt auf alten Gleisen.
Sie haben also auch schon eine Strecke. Denn hier fuhr jahrzehntelang die Kohle ab, gefördert auf dem Bergwerk West in Kamp-Lintfort. „Bis zu 50 Züge täglich, bis zu 350 Meter lang“, erinnert sich Gogol. Der Oberbau der vorhandenen, acht Kilometer langen Trasse muss erneuert werden, also Schotterbett und Schienen.
Nur 1,3 Kilometer neue Strecke
Zwischen dem früheren Bergwerk und der Innenstadt werden 1,3 Kilometer Gleise neu verlegt; und einen Gleisbogen wird man noch bauen müssen, um den kommenden Regionalexpress anzubinden an die vorhandene Personenstrecke Xanten-Moers-Duisburg.
Kurioserweise führt dieser Gleisbogen auch über das Gelände, auf dem der „Historische Eisenbahnpark Niederrhein“ entstehen sollte. Das Vorhaben stockt, doch die Fläche steht voller alter Loks und Wagen. Nein, die wird man nicht mehr nehmen können.