Essen. . Die Zahl der Pedelec-Unfälle im Ruhrgebiet ist im ersten Halbjahr 2018 teils dramatisch gestiegen. Besonders betroffen sind Senioren.

Ein kurzer Tritt in die Pedale und schon ist es passiert. Zwischen zwei geparkten Wagen hindurch rauscht die Endfünfzigerin in ein großes Gebüsch neben dem Supermarktparkplatz und fällt vom Rad. Der Inhalt des Einkaufskorbes verteilt sich auf dem Boden, die Hose hat einen Riss, aber sonst ist glücklicherweise nichts passiert. „Ich glaube“, sagt die Frau, „ich muss mich an mein E-Bike erst noch gewöhnen.“

Längst nicht jeder Unfall wird der Polizei gemeldet

Da ist sie nicht die einzige. Die Dunkelziffer der Menschen, die mit ihrem elektrisch betriebenen Fahrrad verunglücken, ist immens, da längst nicht jeder Unfall der Polizei gemeldet wird, aber es gibt auch offizielle Zahlen. Im ersten Halbjahr 2018 sind laut Innenministerium 815 Menschen im Land bei Stürzen damit verletzt worden. 2017 waren in der ersten Jahreshälfte nur 599 Verletzte zu beklagen. Und auch in fast allen Ruhrgebietsstädten hat die Zahl der Unfälle mit E-Bikes – die Pedelecs sind die am weitesten verbreitete Variante, bei der man selbst mittreten muss – in den ersten sechs Monaten des Jahres zugenommen. Mal mehr, mal weniger.

In Bochum ist sie nach offiziellen Angaben auf 21 gestiegen und hat sich damit fast verdoppelt. In Essen hat es 2018 bisher neun Verletzte gegeben, darunter einen Schwerverletzten. In Duisburg wurden im ersten Halbjahr zehn Pedelec-Fahrer verletzt, ein Jahr zuvor waren es acht. „Minimal“ nennt der Duisburger Polizeisprecher Ramon van der Maat diese Zunahme und klingt dabei ein wenig so, als würde er sich wundern, dass sie nicht höher ausgefallen ist, denn: „Die Zahl der Pedelec-Fahrer hat ja rapide zugenommen, da ist es normal, dass sie auch öfter in Unfälle verwickelt sind.“ Jeder Unfall sei natürlich einer zu viel, „es gibt aber keinen Grund zu Panik“.

Polizei warnt vor Gefahren von Pedelecs

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    Die wollen van der Maats Kollegen auch nicht verbreiten, dennoch sehen sie Handlungsbedarf. So wie Ingo Braunschuh von der Verkehrswacht Bochum. „Bei den E-Bikes funktioniert alles moderner als bei normalen Fahrrädern, egal ob es das Anfahren ist oder das Bremsen. Das können manche Menschen nicht sofort verarbeiten“, weiß er. Und der Essener Polizeidirektor Wolfgang Packmohr hat ähnliche Erfahrungen gemacht. „Mit so einem Pedelec liegen sie schneller auf der Nase, als sie sich das vorstellen können.“

    Oft bleibt es dann nicht nur bei Schrammen oder gerissener Kleidung. Laut dem Statistischen Bundesamt stiegen die Todeszahlen von Pedelec-Fahrern gegenüber dem Vorjahr bundesweit um 9,7 Prozent auf 68 Tote an. Zwei Drittel seien älter als 75 Jahre gewesen, teilte der Präsident des Statistischen Bundesamtes, Georg Thiel, erst vor kurzem mit. Auch das wundert die meisten Verkehrsexperten nicht. Denn in der Nutzergruppe der Pedelecs liegt der Anteil der Senioren bei rund 80 Prozent. Experten warnen: Die Zahl der Elektrofahrräder werde weiter steigen und damit die Zahl der an Unfällen überproportional stark beteiligten Senioren. „Wir haben“, hat auch Packmohr erkannt, „eine steigende Mobilität bis ins hohe Alter.“

    „Viele dieser Leute haben ja jahrzehntelang nicht mehr auf einem Fahrrad gesessen“, gibt Braunschuh zu bedenken. Zudem würden viele Ältere durch den Elektromotor schneller fahren, als sie es aus eigener Kraft mit normalen Fahrrädern noch könnten. „Und sie reagieren in Gefahrensituationen natürlich nicht mehr so schnell wie junge Menschen“, sagt Sascha Kuttner von der Führungsstelle Direktion Verkehr der Polizei in Essen. Nicht nur das Innenministerium empfiehlt deshalb allen Personen, die ein E-Bike nutzen wollen, eine Schulung zu absolvieren.

    Schulung bei der Verkehrswacht wird dringend empfohlen

    Solche Schulungen werden von nahezu jeder Verkehrswacht in größeren Städten angeboten. Und sie führen bei vielen Teilnehmern zu bösen Überraschungen. „Bei den Fahrübungen kamen manche relativ schnell an ihre Grenzen“, weiß Sven Schönberg, Sprecher der Polizei Dortmund, die im vergangenen Jahr knapp 30 verletzte E-Biker zählte. Darüber hinaus waren „Informationsdefizite“ erkennbar. „Viele haben sich zwar ein Pedelec gekauft, sich aber weder Gedanken über die Motorisierung, noch über die eigene Leistungsfähigkeit gemacht.“ Eine Erfahrung, die die meisten Verkehrswachten teilen. „Im Grunde“, sagt dann auch Ingo Braunschuh, „sollte man nur zu Händlern gehen, bei denen man ein E-Bike erst mal unter Beratung ausprobieren kann.“