Bonn. Die Filialleiterin einer Bank verschob 7,6 Millionen Euro von Wohlhabenden auf die Konten klammer Kunden. Jetzt wurde die 63-Jährige vom Amtsgericht Bonn wegen Untreue zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. „Ihr haben die Leute leidgetan”, sagt ihr Anwalt.
Gibt es böse Verbrecher und gute? Oder solche, die gute Taten verüben? Eine Frau aus der Gegend von Bonn hat ihre zumindest gut gemeint. Sie nahm Geld von den Reichen und gab es den Armen, so möchte man es sagen, aber natürlich war es nicht so plakativ: Über ein Jahr hinweg verschob sie als Filialleiterin einer Bank Geld von gut gefüllten Sparbüchern auf die Konten klammer Kunden – und wieder zurück, sobald die wieder flüssig waren. „Ihr haben die Leute leidgetan”, sagt ihr Anwalt, der sie nun vor Gericht verteidigte. Das ist tatsächlich der ganze Grund.
Ein „moderner Robin Hood” sagen die Leute, die diese Märchen mögen von Menschen, die ihnen gerecht erscheinen, gerade in diesen Zeiten. Vielleicht hat die Frau ja tatsächlich übersehen, dass sie etwas Unrechtes tat, weil sie es selbst gerecht fand. Lange hat ja auch niemand etwas gemerkt: Man lebt auf dem Dorf im Rheinischen, wo jeder jeden kennt und eine Frau Bankdirektor so etwas ist wie der Herr Pfarrer, sagt Rechtsanwalt Thomas Ohm: „Man weiß um alle Probleme. Man geht zusammen zur Kirmes und zur Kirche. Und sie hatte die wirtschaftlichen Nöte der Leute zu bearbeiten.”
Deshalb sah die heute 63-Jährige, wer sein pralles Sparbuch liegen ließ seit Jahren, wer gar nicht merken würde, wenn vorübergehend etwas verschwand. Und sie sah, dass sie den anderen helfen konnte, wenn es hinten und vorne nicht mehr reichte. „Sie konnte das emotional nicht tragen, dann muss man Dinge tun. . .”, sagt Ohm. Ein paar hundert Euro, nur für einen Überbrückungskredit, nur, damit die Miesen in der Prüfungsphase keinem auffielen und um ein Konto zu retten – die Filialleiterin machte Dinge möglich, die bei einer Bank eigentlich nicht möglich sind.
Eine "Mutter-Courage-Natur"
„Kein utopisches Betrugssystem”, nennt der Anwalt das, „ein Samaritersystem” sei es vielmehr gewesen, „ganz bodenständig”, genau wie seine Mandantin auch: eine lebensfrohe Person, sagt man über sie, „Mutter-Courage-Natur”, formuliert ihr Anwalt. Unprätentiös sei sie, und natürlich fuhr sie im Dorf nicht plötzlich mit einer Luxuskarosse vor – sie zweigte ja bloß für andere ab und niemals für sich selbst.
So gesehen, hat sie diesen Robin Hood, mit dem man sie nun vergleicht, sogar irgendwie überholt. Leute wie er leb(t)en von der Legende, die ehemalige Bankangestellte aber will überhaupt gar keine Legende. Sie will nicht, dass man ihre, diese Geschichte erzählt. Sie hatte gehofft, die Sache sei ausgestanden. Im Frühjahr 2005 schon kam die Bank ihrer Angestellten auf die Schliche, da schaffte sie es nicht mehr, die Lücken zu füllen. 7,6 Millionen hatte sie umgebucht seit 2003, aber nur 6,5 wieder zurück: Nicht jedem ihrer Kunden hatte sie aus den Schulden heraushelfen können, das Geld war einfach weg.
"Sie wollte den Armen helfen"
Man kündigte ihr fristlos und nahm ihr alles, was sie besaß, um den Schaden auszugleichen: das eigene Häuschen und eins, in dem sie Wohnungen vermietete, dazu alles Ersparte. „Vermögen verwerten”, nennt man das im Bankgeschäft. Seither lebt die 63-Jährige zusammen mit ihrer schwer kranken Mutter in einer Mietwohnung und von einer kleinen Frührente, die bis auf das Existenz-Minimum gepfändet wird. „Sie wollte den Armen helfen”, sagen die Leute, „nun ist sie selber arm.”
Dass sie überhaupt erfuhren von dieser Geschichte, liegt an einem Sterbefall. Die Erben eines Begünstigten wehrten sich dagegen, dass sie Geld zurückzahlen sollten, das eigentlich auf ein anderes Konto gehörte – so kam der Staatsanwalt ins Spiel. Er erhob Anklage wegen Untreue in 117 Fällen. Das Gesetz ist gegen die Frau, weil sie gegen das Gesetz war.
Ins Gefängnis muss sie trotzdem nicht. Ein Bonner Schöffengericht verurteilte sie am Montag Abend zu 22 Monaten Haft auf Bewährung. Als strafmildernd werteten die Richter vor allem, dass die Frau zurückgezahlt hat, was sie konnte. Und dass sie nie auch nur einen Cent für sich genommen hatte. Gut gemeint wurde diesmal zumindest nicht hart bestraft.