Gelsenkirchen. Der Unfallschutz sorgt für neue Regeln bei der Müllabholung. Für Tausende Bürger im Revier bedeutet dies eine Verschlechterung im Service.
Die Hoffeldstraße nahe der Veltins-Arena in Gelsenkirchen ist eine dieser engen Sackgassen, für die es keine andere Lösung gab, als einen Sammelplatz für Mülltonnen einzurichten. Früher quetschte sich der Müllwagen rückwärts rein, Zentimeter zwischen Koniferen und Klinker. Nun müssen die Anwohner ihre Tonnen nach vorne zum neuen Sammelplatz bringen. So ergeht es derzeit Tausenden Bürgern im Ruhrgebiet.
Denn Müllwagen dürfen nicht mehr einfach rückwärts fahren, es gelten strengere Regeln, seit die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung nach einer Reihe tödlicher Arbeitsunfälle eine neue „Branchenregel“ beschlossen hat. Nicht mehr als 150 Meter dürfen Müllwagen rückwärts fahren – und dass auch nur dann, wenn zu jeder Seite mindestens ein halber Meter Abstand ist. Dabei muss ein entsprechend geschulter Kollege einweisen. Die Regel stammt aus dem Oktober 2016, aber erst nun werden die Folgen konkret.
Selbst ein Grünschnitt erfordert Überzeugungsarbeit
„Wir sind seit zwei Jahren mit zwei Kräften dabei und immer noch nicht fertig“, sagt der Projektleiter der Gelsendienste, Arslan Abdioglu. Mehr als tausend kritische Stellen haben er und sein Kollege untersucht, an 382 sind Rückwärtsfahrten nicht ohne Änderungen möglich. Manchmal muss die Stadt nur zwei Poller klappbar machen, damit der Müllwagen seine Tour ändern und vorwärts anfahren kann. Oder sie richtet Parkverbote ein – „kundenfreundliche“, nur an den Abholtagen vormittags. Selbst ein Grünschnitt ist nicht einfach durchzusetzen, denn die überstehenden Bäume und Hecken sind in der Regel privat – und es gibt Anwohner, die erst nach viel Überzeugungsarbeit einlenken. „Die meisten verstehen es, wenn wir es ihnen erklären“, sagt Abdioglu.
Jüngst traf er sich am Büningshof in Gelsenkirchen-Hassel mit etwa 40 Anwohnern. Abdioglu hatte angekündigt, einen Sammelplatz am Eingang der Sackgasse einzurichten. Doch einige Bürger hätten ihre Mülltonnen weit rollen müssen. „Wir haben nochmal gemessen und uns auf eine Sammelstelle in der Mitte der Straße geeinigt, die bis dorthin noch breit genug war.“
Nicht immer sind die Kunden einsichtig. Eine Dame will nun vor Gericht ziehen, berichtet Abdioglu, weil sie die Mülltonne künftig nach vorne bringen muss. Sie wohne in einer Sackgasse mit Kurven und Bäumen, „der Seitenabstand wäre auch mit einem Engstellenfahrzeug nicht einzuhalten“. Den Aufpreis für den Voll-Service, bei dem ein Müllmann die Tonne holt, wolle sie auch nicht zahlen.
„Wir haben es und nicht ausgedacht“
„Für die betroffenen Kunden wird es immer eine Verschlechterung sein“, sagt Gelsendienste-Sprecher Tobias Heyne. „Wir versuchen den Bürgern zu vermitteln, dass wir es uns nicht ausgedacht haben.“ Sammelplätze sind dabei immer nur die letzte Möglichkeit. 90 sind es in Gelsenkirchen.
Die Größe des Rückwärtsfahrt-Problems ist in den Städten unterschiedlich. Die EBE in Essen prüft noch und kann keine Auskunft geben. Auch die USB in Bochum hat mit 200 kontrollierten Straßen noch nicht den Endstand erreicht. Warum sind es so viel weniger Engstellen als in Gelsenkirchen?
Es könnte an städtebaulichen Gegebenheiten liegen, vermutet Sprecher Jörn Denhard. Allerdings hat die USB auch schon vier Kleinfahrzeuge im Einsatz, von denen Gelsendienste nun erst zwei anschafft. Sie fassen maximal ein Drittel eines normalen Müllwagens und müssen öfter zur Verbrennung fahren. Trotzdem wird auch Bochum nicht ohne Sammelplätze auskommen. Velbert hat dies ebenfalls aktuell angekündigt. „Das ist natürlich nicht schön“, sagt Sven Lindemann, Vorstand der dortigen TBV. „Für ältere Bürger ist es eine echte Belastung, – ihre vollen Tonnen rollen zu müssen.“
Kleinstfahrzeuge sind oft eine Lösung, aber eine teure
Natürlich kostet der Mehraufwand. Beziffern kann ihn schon die Entsorgung Dortmund Gesellschaft (EDG). Sie hat ihre rund 2700 Engstellen längst überprüft – und kommt ohne Sammelplätze aus, indem sie vier Kleinstfahrzeuge angeschafft hat, erklärt Sprecherin Petra Hartmann. Das bedeutet auch sechs zusätzliche Arbeitsstellen. Die EDG hat ihre Gebühren 2017 um 1,9 Prozent erhöht, der Anteil der durch die neuen Sicherheitsregeln verursachten Kosten liege bei rund 1,2 Prozent, so Hartmann.
Was keiner berechnen kann: Umbauten tragen in der Regel die Immobilieneigentümer.