Hattingen. . Schmerzmittel oder Fiebersaft für Kinder sind auch in Hattingen häufig nicht verfügbar. Eine Apothekerin sieht den Grund im Preisdruck der Kassen.
„So langsam steigt die Wut in mir hoch“, sagt Apothekerin Kornelia Tippmann-Berscheid. Seit langem stehen die Apotheken immer wieder vor dem Problem, dass sie zeitweise ganz normale Medikamente wie das Schmerzmittel Ibuprofen oder Fiebersaft für Kinder nicht anbieten können. „Weil die Mittel nicht geliefert werden. Das kann doch einfach nicht sein.“
Hintergrund für die Engpässe ist ein Wandel der Medikamentenproduktion, den fast kein Patient kennt. „Und der in der Öffentlichkeit nicht diskutiert wird“, sagt die 52-Jährige. Sie arbeitet seit ihrem 25. Lebensjahr als Apothekerin, kennt den Wandel in den Jahrzehnten. Sie hat verfolgt, was sich hinter den Kulissen in der Pharmaindustrie abspielt. „Und da hat sich wahrhaftig nichts zugunsten der Patienten geändert.“
Zwang zum billigsten Medikament
Hinzu kommen Zwänge, die den Apothekern von den Krankenkassen auferlegt werden. Nämlich dem Krankenkassenpatienten das billigste Medikament mit dem verordneten Wirkstoff zu geben, das der Rabattvertragspartner der jeweiligen Krankenkasse liefert. „Wenn das nicht lieferbar ist, muss man entweder das Produkt herausgeben, das auf dem Rezept steht. Oder eines der drei preisgünstigsten“, erklärt Kornelia Tippmann-Berscheid. „Sonst zahlt die Krankenkasse für die Rezepte nicht oder kürzt die Gelder, die uns zustehen.“
Im Sommer 2017 kaufte die Apothekerin den teuersten Fiebersaft für Kinder, weil er am besten schmeckt, er also am ehesten von Kindern genommen wird und auch ohne Rezept verkauft werden kann. Als wegen der Grippewelle im Winter die Generika – das sind preiswertere Nachahmerprodukte – erbraucht waren, hatte die Apotheke nichts mehr und bekam auch nichts mehr. „Hätten wir nicht gebunkert, hätte kein Kind etwas bekommen. Wir haben nicht geahnt oder erwartet, dass die Hersteller nicht liefern können. Nicht bei so einem banalen Medikament, das konnte ich mir definitiv nicht vorstellen.“
Hersteller können nicht profitabel arbeiten
Was jetzt passieren kann: Der Apotheke werden die Zahlungen deutlich gekürzt, weil sie bei der Grippewelle nicht – wie vorgeschrieben – das billigste Medikament verkauft hat. Denn obwohl am Ende jedes Monats die Rezepte abgeholt werden und elf Tage später das Geld an die Apotheken fließe, werde erst nach einem Jahr genau abgerechnet. „Und dann kann es sein, dass uns weitere Abzüge drohen.“
Hintergrund des Dilemmas: „Die Krankenkassen sitzen immer am längeren Hebel, denn sie sind per Gesetz Körperschaften öffentlichen Rechts, können also weitgehend selbst bestimmen, was sie machen“, erklärt die Apothekerin. „Um möglichst profitabel zu arbeiten, schließen sie Rabattverträge mit Herstellern ab und diktieren ihnen, was sie bereit sind, zu bezahlen.“ Das habe zur Folge, dass viele Hersteller nicht mehr profitabel arbeiten, bestimmte Mittel nicht mehr herstellen oder ganz vom Markt verschwinden.