Ruhrgebiet. . Gemeinsam mit den Lesern suchte die WAZ das 12. Exponat für die Ausstellung „Schichtwechsel“ im Fußballmuseum - ein anrührendes Stück Geschichte.
Hans Behrens hatte keine Fußballschuhe, sie hatten ja nicht einmal Geld für normale Schuhe damals in Essen. Hans musste die alten Treter von seinem großen Bruder auftragen, die allerdings auch nie lange hielten – weil er damit sofort vor den nächsten Ball trat. „Er muss ganz gut gewesen sein“, sagt sein Sohn Johannes heute. Und mutig: Denn im Frühjahr 1957 schrieb Hans Behrens aus Bredeney, er war 15, einen Brief an Adi Dassler persönlich. Und der Chef der „Sportschuhfabrik adidas“ schrieb zurück. Einmal, nochmal, fünfmal, sehr persönlich, Porto 40 Pfennig. Dazu schickte er – „Fussballstiefel“.
„Lieber Hans Behrens“, diktierte Dassler in die Schreibmaschine und auf inzwischen vergilbtes Papier mit dem blauen Schriftzug „adidas. Die Marke mit den 3 Riemen“. Er ließ tippen, unterschrieb aber selbst, schwungvoll mit Bleistift. Der erste Brief vom 8. April ist nun eingezogen in die 12. Vitrine der Ausstellung „Schichtwechsel“ im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund, einer Schau über Kickgeschichte(n) aus dem Revier. Die stand bislang noch leer; die WAZ suchte gemeinsam mit ihren Lesern das Exponat, das jetzt das Dutzend voll macht. Johannes Behrens, Sohn von Hans, erinnerte sich beim Aufruf seiner Zeitung gleich an die Mappe im Nachlass seines verstorbenen Vaters. „Er hat so viel davon gesprochen.“
Nur die Antworten aus Bayern
Nun stellen sie also den Briefwechsel aus in Dortmund, der eigentlich keiner ist, denn es gibt ja nur die Antworten, nicht die Schreiben von Hans Behrens selbst. Und einen Schuh: schweres Leder aus Zeiten, in denen sich Schuhwerk wie Ball bei Regen vollsogen; jenes Modell „Argentina“, mit dem die Firma für „Fussballstiefel, Rennschuhe, Trainingsschuhe, Eishockeystiefel, Spezialsportschuhe“ 1954 den deutschen Weltmeister ausgestattet hatte. 33,60 Mark kostete der Profistiefel damals, in den 50er-Jahren verdiente ein Arbeiter keine 200.
Foto der Weltmeister von 1954
Unerschwinglich für Hans Behrens, selbst die zweite Wahl. Noch unbezahlbarer war dieses Foto, das bei den Behrens’ immer noch an der Wand hängt: „Ihr werdet dieses Bild sicherlich einrahmen lassen“, schrieb Adi Dassler, „und ich hoffe, Euch damit eine ganz besondere Freude bereitet zu haben“: die Nationalmannschaft mit Trainer Sepp Herberger, der eigenhändig unterschrieb. Ein Geschenk für Hans, den Jungen aus Essen.
8. April 1957
Ich bin gerne damit einverstanden, wenn Ihr Euren Fussball-Club „adidas-Club“ nennt, und ich übersende Euch mit gleicher Post einen adidas „Wimpel“ mit Ständer, 12 Stück adidas Plastikbeutel für die Fussballstiefel sowie 12 Fussball-Anhänger. Ich hoffe, Dir und Deinen Sportkameraden damit eine Freude zu bereiten ... Da hier im Betrieb manchmal auch Fussballstiefel in II. Wahl (mit einem kleinen Fehler) anfallen, will ich einigen Deiner Mitspieler und Dir je 1 Paar Stiefel ohne Berechnung übersenden. Teile mir bitte mit, in welchem Sportgeschäft Ihr sonst Eure Schuhe kauft, damit ich Euch 4 - 5 Paar übersenden kann. Gleichzeitig bitte ich um Angabe der Schuhgrößen von den Spielern, die die Schuhe am dringendsten benötigen.
Es gab kein Sportgeschäft, in dem Hans „sonst“ irgendetwas kaufen konnte. Der Vater war erst 1948 aus dem Krieg heimgekehrt, die Schlosserwerkstatt lief nicht gut, und sie waren fünf Kinder. Aber es gab Sport Dünker, einen Laden, der in Essen seit 1934 ansässig war und der 1991 aus dem Handelsregister verschwand.
Man kann nur vermuten, dass Hans den Adidas-Chef gebeten hatte um
Fußballschuhe und ihm im Tausch angeboten hatte, seinen Verein umzubenennen – eine sehr frühe Idee des Namens-Sponsorings, die in Deutschland heute übrigens verboten ist. Dabei war der Verein gar keiner. Behrens, der zwar auch bei Schwarz-Weiß Essen kickte und bei Fortuna Bredeney, wollte die Schuhe für die Jungs seiner Straßenmannschaft, dem „FC Ruschenstraße“. Dort gab es einen Bolzplatz, meist aber schoben sie den Ball über die Straße, wenn sie denn einen hatten.
26. April 1957
Du kannst Dich in 4 - 6 Monaten wieder einmal an mich wenden, und wenn dann einige Paar Fussballstiefel in II.Wahl verfügbar sind, so will ich Euch gerne aushelfen ...
„Bemerkenswert“ findet Malte von Pidoll die Post aus Herzogenaurach, er hat die Ausstellung für das Fußballmuseum kuratiert. Adidas, weiß er, sei „damals schon eine große Firma“ gewesen und ihr Chef „an der Nationalmannschaft ganz nah dran“. Und dann schreibt Dassler einem Jungen aus Essen persönliche Briefe, schickt auch noch „den echten WM-Schuh“.
10. Mai 1957
Ich habe mit Interesse davon Kenntnis genommen, dass Ihr jetzt jeden Montag trainiert und hoffe, dass das nächste Spiel für Euren Verein erfolgreich verläuft. ... Dieser Artikel (Dassler meint das Modell „Argentina“) ist durch den neuen Fussballstiefel „Weltmeister“ als überholt zu betrachten.
Hans Behrens hält Adidas auf dem laufenden, berichtet von Ergebnissen, stellt Fragen. Einmal, der Kontakt ist gerade sechs Wochen, aber schon drei Briefe alt, antwortet Dassler nicht selbst.
21. Mai 1957
Herr Dassler befindet sich mit der National-Elf in Stuttgart. Wir freuen uns zu hören, dass Ihr gegen die Strassen-Mannschaft 3:3 gespielt habt.
Um dann wieder eine besonders lange Antwort zu schicken. Man kann diesen letzten Brief kaum noch lesen, die Buchstaben sind verblasst, aber offensichtlich hat Hans Behrens um Rat gefragt. Am 31. Mai empfiehlt Adi Dassler dem Club, der den Namen seiner Firma trägt, ruhig neue Mitglieder aufzunehmen. Auch wenn sie vielleicht kein Geld haben. Ein „Spargroschen“, schreibt er, könne der Vereinskasse immer helfen.
Fünf Schreiben sind erhalten
Es ist nicht klar, ob es mehr Briefe gab als diese fünf. Aber sie hielt Hans Behrens in Ehren. Als er seine Ausbildung machte als Kaufmann, als er arbeitete als Handelsvertreter, als er Kinder bekam, in Hattingen ein Haus baute, bis zu seinem Tod 2011. Fußball hat er später nicht mehr gespielt, erzählt sein Sohn. Aber er blieb ein „Couch-Täter“, mit Leidenschaft dabei. Hauptsache für ihn: Das Ruhrgebiet gewann gegen Bayern.
SCHICHTWECHSEL IM FUSSBALLMUSEUM
Die Sonderausstellung „Schichtwechsel – Fußball Leben Ruhrgebiet“ ist bis zum 23. Dezember im Dortmunder Fußballmuseum zu sehen. Geöffnet ist das Museum dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr.
Mehr Infos unter www.fussballmuseum.de