Mülheim/Ruhrgebiet. . Vor allem die Zunahme der Urnenbestattungen sorgt dafür, dass weniger Flächen gebraucht werden. Doch sie frei zu ziehen, erfordert Sensibilität.
Friedhofsplanung galt einst als einfache Sache. Gestorben wird schließlich immer. Wird es auch heute noch, nur begraben wird inzwischen anders. Weil vor allem die Zahl der Urnenbestattungen stetig steigt, sind die meisten Friedhöfe an Rhein und Ruhr nun viel zu groß und zu Flickenteppichen geworden. Kaum eine Stadt, die nicht nach Lösungen sucht, die Flächenüberhänge zu verkleinern. In Mülheim hat das jüngst für Aufregung gesorgt.
Dort schickte das für die Friedhöfe zuständige Amt 4000 Bürgern ein Schreiben, in dem es mitteilte, dass Teile der zehn städtischen Friedhöfen aufgegeben werden sollen. Neue Grabstätten werden nur noch in den Kernbereichen vergeben. In den bestehenden Gräbern dürfen nur noch der Lebenspartner oder Kinder bis zu zwölf Jahren beerdigt werden. Im Übrigen sei eine „sofortige Umsetzung der Ausgliederung“ vorgesehen. Kaum waren die Briefe verschickt, stand das Telefon im Amt nicht mehr still.
„Ich war völlig erschüttert“, sagt Manfred Müller (Name geändert), dessen Sohn vor einigen Jahren gestorben ist. „Wir haben damals extra die große Grabstätte gekauft, damit wir irgendwann neben unserem Kind beerdigt werden können. Das soll nun nicht mehr möglich sein. Es ist unfassbar.“
In dem Schreiben, räumt Stadtsprecher Volker Wiebels mittlerweile ein, seien einige Dinge unglücklich formuliert. „Es sind weder Zwangsumbettungen geplant, noch werden Ruhezeiten angetastet.“ Und bei besonderen Situationen, vor allem bei Nachbestattungen auf Gräbern, in denen Kinder bestattet sind, werde man sich bemühen, auf die Wünsche der Eltern zu achten. „Aber kleiner werden müssen die Friedhöfe.“
Viele Gräber werden vorzeitig zurückgegeben
Nicht nur in Mülheim. Auch in Bochum ist mit rund 200 Hektar zu viel Platz für die letzte Ruhestätte. „Wir haben 75 Prozent Feuerbestattungen“, sagt Roland Wrobel, Abteilungsleiter Friedhöfe und Krematorien. Und Urnen brauchen weitaus weniger Platz als ein Sarg. Von den zahlreicher werdenden Kolumbarien ganz zu schweigen. Außerdem gibt es jedes Jahr rund 1000 Grabstätten, die zurückgegeben werde – viele vorzeitig. Deshalb will die Stadt sieben ihrer 24 Friedhöfe schließen und die verbliebenen um die Hälfte verkleinern. Man werde das „sehr harmonisch machen“ und Rücksicht nehmen auf Ruhezeiten und Befindlichkeiten. Deshalb solle das Konzept erst 2039 umgesetzt sein.
Reinhold Adrian, Bereichsleiter Friedhöfe bei den Wirtschaftsbetrieben Duisburg, plant die Verkleinerung der 17 Friedhöfe sogar „für irgendwann in ferner Zukunft. In Einzelfällen könnte es 60 bis 80 Jahre dauern, bis wir einen Bereich freigezogen haben“, sagt er. Denn kein Recht soll angetastet werden, sogar Verlängerungen der Ruhezeiten sind bei Wahlgräbern möglich. „Das ist“, weiß Adrian, „ein extrem sensibles Thema.“
Wahrscheinlich ist man in Essen deshalb ganz froh darüber, dass man die einst vorsorglich gepachteten „Friedhofserweiterungsflächen“ freigeben konnte, auf denen es nie Bestattungen gegeben hatte. „Die städtischen Friedhöfe haben sich auf ihre Grenzen zurückgezogen“, bestätigt Eckhard Spengler, Pressesprecher Grün und Gruga. Weil aber auch die noch zu groß sind, wird versucht, neue Grabstätten und –felder in den Kernbereich der Friedhöfe zu verlagern.
Ähnlich läuft es in Dortmund, wo auf den 32 kommunalen Friedhöfen 81 Prozent aller Verstorbenen in Urnen beigesetzt werden. Auf keinen Fall werde man an Ruhezeiten rütteln oder mit Umbettungsvorschlägen an Angehörige herantreten, stellt Ralf Dallmann klar, Betriebsleiter der Dortmunder Friedhöfe. „Das ist auch eine Sache des Vertrauensschutzes.“
Bis zu vier Fünftel lassen sich verbrennen
Aktuell gibt es rund 32 000 Friedhöfe in Deutschland, auf denen sich etwa 32 Millionen klassische Erdgräber befinden. Doch die Zahl der klassischen Bestattungen sinkt kontinuierlich. In Essen oder Bochum etwa lassen sich mittlerweile drei Viertel aller Verstorbenen in einer Urne beisetzen. In Dortmund liegt die Zahl der Feuerbestattungen sogar bei 81 Prozent – Tendenz steigend.
„Veränderte Werteprämissen und Maximen“ macht Oliver Wirthmann, Geschäftsführer des Kuratoriums Deutsche Bestattungskultur, für die Veränderung verantwortlich. Immer mehr Menschen könnten oder wollen nicht mehr so viel Geld für die Bestattung ihrer Angehörigen und die anschließende Pflege und Instandhaltung des Grabes ausgeben.
„Hinzu kommt, dass die Menschen immer mobiler sind, Kinder oft nicht mehr dort leben, wo die Eltern begraben werden sollen“, erklärt Christoph Keldenich, Vorsitzender der Aeternitas Verbraucherinitiative Bestattungskultur. Er hat zwar keine exakten Zahlen, schätzt aber, dass bereits jetzt bundesweit ein Viertel der Friedhofsfläche nicht mehr benötigt wird.
Unklar ist, was aus den frei werdenden Flächen werden soll. „Naturbelassen“ soll vieles bleiben, anderes zu Parks werden. Darauf zu bauen, ist schwierig – wenn dort Gräber waren, nahezu unmöglich. So sind in Bochum nur drei Prozent des Geländes „potenzielles Bauland“. Immerhin wird die Verkleinerung oder Schließung von Friedhöfen die Stadtkassen irgendwann einmal entlasten. „Wenn das Konzept für Bochum umgesetzt ist“, sagt Roland Wrobel, „werden wir jedes Jahr ein paar Hunderttausend Euro sparen.“