Ruhrgebiet. . Ein ganz besonderes Projekt zum Abschied von der Kohle: Drei Kumpel von der RAG machen Musik mit ziemlich schweren Bergbau-Maschinen.
Unter Tage, ältere Kumpel haben das im Ohr, war es ein „Gejaule, und dann in den engen Flözen“, und „heute haben wir Lärmschwerhörigkeit davon“. Über Tage nehmen sie das Hörgerät heraus und lauschen erstaunt: wie der Abbauhammer stampft, wie er scheppert, dröhnt und trötet! Es musizieren drei Männer auf Maschinen, die Bergleute wussten erst selbst nicht, was das soll. Aber so klingt die Kohle im Jahr ihres Abschieds: Da machen sie damit nicht nur Kunst, sondern auch Konzert.
„Skeptisch“ war Tobias Hiller, der Mann am Nagelhammer, „ich konnte mir das nicht vorstellen.“ Da kam dieser Klang-Künstler aus Herne, Christof Schläger, und wollte mit Abbauhämmern Musik machen. Diesem schweren, schmutzigen Gerät, mit dem der 28-Jährige aus Marl noch selbst gearbeitet hat, auf dem Bergwerk Auguste Victoria, „das gibt es ja auch schon nicht mehr“. Aber wie das bei Bergleuten so ist: „Der Künstler“, sagt Vorarbeiter Frank Schwulst, 53, aus Bottrop, „hat sich was ausgedacht, und wir haben’s gebaut.“
Nicht moppern – machen! Mag Marc Grohmann auch gedacht haben: „Was soll das denn sein?“, er kennt es nicht anders aus der Zentralwerkstatt der Ruhrkohle AG. So kurz vor dem Ende, sagt er, „kriegen wir nichts mehr neu“. Sie machen dauernd „aus drei eins“, sie sind auch an heiß laufenden Ventilen nicht gescheitert. „Wir müssen alles hinkriegen, Nein gibt es nicht.“ Tatsächlich wurde es ganz schnell Ja, Ja, Ja! Eigene Ideen hatten sie, tigerten durch ihre Hallen auf der Suche nach „Instrumenten“: „Was könnte man noch gebrauchen?“ Den Nagelhammer. Den Schlagschrauber. Die Wasserpumpe. Ach, auch „das wird super klingen“! „Wir wissen ja, sagt Tobias, „wie sich unsere Maschinen anhören.“ Siehe da: „Es klingt auf jeden Fall besser als unter Tage, wenn man damit arbeitet.“
Die Bänder im Stahlgestänge könnten eine Tonne tragen
Es sieht auch besser aus. Christof Schläger wollte alte Hämmer, die nach Arbeit aussehen, aber die Sicherheit! Nun hängen da schicke rote, nagelneu, im Stahlgestänge, an lila Bändern, die auch 1000 Kilo schaffen würden, aber so schwer ist das Gerät nun auch wieder nicht. Was wiegt so ein Abbauhammer? „Keine Ahnung“ hat Frank Schwulst. „So viel wie ‘ne Kiste Bier.“ Manchen haben sie den Bohrer herausoperiert, andere in Plastik gewickelt, dritte in Stempel gestellt, mit denen sie sonst den Streb absichern, vierte liegen in Kesselböden, die aussehen wie Steeldrums. Und alle hängen an zuckenden gelben Schläuchen, durch die Druckluft in eine Mischung aus Trompete und Orgelpfeife gepresst wird. Das gibt den Sound, abgemischt von Schläger am Computer, der passend zum Industriekonzert aber nun auch „Partiturmaschine“ heißt.
Apropos Partitur: Weil das Trio aus dem Bergbau keine Noten lesen kann, ja sogar, wie Tobi zugibt, bis kürzlich nicht einmal Taktgefühl besaß, hat Frank die Einsätze aufgeschrieben. Ein Notensystem hat er dafür aus dem Netz gezogen und die Wünsche des Komponisten „übersetzt“: Beim ersten Stück, „Warten auf den Steiger“, steht bei Sekunde 25 „Frank“ und ein Bildchen, das die Wasserpumpe zeigt. Ab Sekunde 35 spielt Marc den „Schlagschrauber klein“, und dann kommt Tobi mit dem Nagelhammer: „Auf Anweisung (immer nur ein Ping)“. Bei Minute 3:35 übrigens wird die Wasserpumpe lauter, ein roter Pfeil zeigt nach oben. Das liebevoll eingeschlagene „Noten“-Heft zieren vorn zwei gekreuzte Abbauhämmer, wie Schlägel und Eisen.
Stimmgabel hoch, da stehen sie, die drei Kumpel mit Sonnenbrillen, in Arbeitshosen, die mal weiß waren, schweren Arbeitsschuhen und T-Shirts von der Ruhrkohle. Auf dem von Frank steht „überirdisch gut“, er arbeitet ja in der Zentralwerkstatt. Aber er kennt die Welt der Kohle auch von unten, war auf so ziemlich jeder Zeche im Ruhrgebiet, „ich kenne sie alle“. Diese Kerle, die sonst Hebezeug und Hubbalken machen, sie schwitzen ein bisschen, aufgeregt sind sie auch, und als eine ältere Dame fragt „Was wird das hier?“, sagen sie mit einigem Stolz: „Das gibt gleich Töne!“
„Ein Herzschlag, drei Schüppen“, erkennt ein Kumpel gerührt
Darüber kann man nun streiten, es hämmert, es scheppert, es quietscht, aber die Leute, die mal hören wollen, „was dabei rauskommt“, wippen angetan mit dem Fuß. Man nennt sowas heute „Performance“, jedenfalls trifft es in Bottrop einen Nerv: „Der Rhythmus ist tatsächlich wie früher“, sagt im Publikum Klaus Hüls ein wenig gerührt. „Ein Herzschlag, drei Schüppen, haben wir immer gesagt.“ Und wenn der ehemalige Reviersteiger so darüber nachdenkt, war er ja einst „selbst ein Solist am Abbauhammer“. Und später, als er Arbeitsdirektor wurde, der Dirigent. Allerdings: „seitdem kann ich nichts mehr hören“. Also, nichts Leises. Das Konzert aber wohl.
Das auch andere Kollegen „erstaunlich gut“ finden. Die RAG hat die drei von der Zentralwerkstatt sogar wochenlang freigestellt für das Projekt. Die Premiere spielten sie vor dem Chef, ach was, „allen Chefs“ auf Zollverein. „Geil“, findet Marc, „diesen Kult noch mitzumachen. Man muss das leben.“ Der 31-Jährige ist „mit der Kohle aufgewachsen, und jetzt geh ich mit ihr unter“. Wenn alles vorbei ist, das letzte Kohlejahr und die Reihe der Abbauhammerkonzerte, wird er auch die Werkstatt abschließen. „Besenrein.“