Essen. . Dieselgate und kein Ende: Wertverfall, Fahrverbote - und wie soll's weitergehen? Wir haben mit dem Autoexperten Ferdinand Dudenhöffer gesprochen.

Beinahe im Wochentakt gibt es neue Enthüllungen über Betrügereien mit den Abgaswerten bei Dieselfahrzeugen. Die Branche gerät immer stärker unter Druck. Aber derzeit sind es vor allem die Besitzer und Fahrer von Dieselfahrzeugen, die die Suppe auszulöffeln haben: Der Wert ihrer Autos verfällt zusehends, erste Städte haben Dieselfahrverbote verhängt - auch in unserer Region drohen aufgrund der Klagen der Umwelthilfe solche Schritte.

Dürfen Diesel-Pkw bald nicht mehr in die Städte? Was kann man als Besitzer eines Selbstzünders tun? Schnell verkaufen, um den Verlust klein zu halten? Oder abwarten, wie sich die Dinge entwickeln? Wir haben mit Professor Ferdinand Dudenhöffer darüber gesprochen, Der Autoexperte lehrt an der Uni-Duisburg-Essen Betriebswirtschaft und leitet das Center Automotive Research (CAR). Die Quintessenz: Dieselfahrer sind und bleiben die Gelackmeierten des Abgasskandals - und die Zukunft gehört definitv dem Elektro-Auto. Das Gespräch sehen Sie oben im Video.

Fragen und Antworten zum Diesel-Skandal 

Wie ist der juristische Stand der Dinge?

Die Bundesverwaltungsrichter in Leipzig haben den Weg für Diesel-Fahrvebote in Städten im Grundsatz freigemacht – ihre Kollegen vom Aachener Verwaltungsgericht sind dieser Linie gefolgt. Die Stadtverwaltung und das Land Nordrhein-Westfalen müssen ein mögliches Verbot für Dieselautos vorbereiten, entschied die zuständige Kammer jüngst. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hatte das Land NRW auf Einhaltung der Stickstoffdioxid-Grenzwerte verklagt.

In Hamburg haben die Behörden mittlerweile ein begrenztes Fahrverbot auf zwei Einzelstrecken durchgesetzt. Andere Kommunen könnten nachziehen.

Wie haben die Aachener Richter ihre Entscheidung begründet?

Sie meinten sinngemäß: Die Stadt und das Land NRW hatten seit der Einführung der EU-Grenzwerte 2010 genug Zeit, um wirksame Maßnahmen gegen zu schlechte Luft umzusetzen. Es dauere einfach zu lange, bis das Ziel vielleicht 2025 erreicht werde. Es gebe ja noch nicht einmal eine sichere Datengrundlage für diese Prognose.

Laut dem Urteil muss daher jetzt bis Ende 2018 ein Fahrverbot ausgearbeitet werden auf der Grundlage der Leipziger Grundatzentscheidung. Anfang Januar 2019 soll es in Kraft treten, falls sich bis dahin keine gleichwertige Alternativlösung ergibt. „Das kann ich mir aber nicht vorstellen“, sagte Richter Peter Roitzheim.

Wie ist bundesweit die Haltung der Kommunen?

„Die Städte wollen keine Fahrverbote“, heißt es beim Deutschen Städtetag. Trotzdem hat vor kurzem Hamburg die ersten Beschränkungen für Diesel in Kraft gesetzt. Auch andere Kommunen denken darüber nach, wie der Städte- und Gemeindebund beobachtet: Im Kern werde es wahrscheinlich auf bis zu 20 hinauslaufen - darunter möglicherweise Düsseldorf, Köln und Stuttgart. Der Städtetag sieht den eigentlichen Schlüssel im Kampf für saubere Luft jedoch bei der Autoindustrie und fordert, dass diese von der Bundesregierung zu Hardware-Nachrüstungen verpflichtet wird. Bisher sind nur Software-Updates zugesagt.

Wie ist die rechtliche Ausgangslage?

Die Verwaltungsgerichte in Düsseldorf und Stuttgart hatten örtliche Behörden jeweils zur Verschärfung der Luftreinhaltepläne verpflichtet - potenziell auch mithilfe von Diesel-Verboten, falls dies am Ende die einzige wirklich effektive Maßnahmen sein sollte. Denn ein Großteil der schädlichen Stickoxide in der Stadtluft stammt aus Dieselmotoren.

In einer sogenannten Sprungrevision überprüften die Bundesrichter in Leipzig dann die vorherigen regionalen Urteile. Sie ließen dabei Diesel-Fahrverbote grundsätzlich zu, allerdings bei Wahrung der Verhältnismäßigkeit.

Was will die Deutsche Umwelthilfe konkret?

Die schnellstmögliche Einhaltung der Stickstoffdioxid-Grenzwerte auf breiter Ebene. Sie hat in 27 weiteren Städten Klage auf Einhaltung der Grenzwerte eingereicht und schließt weitere Verfahren nicht aus. Fahrverbote sind aus Sicht der DUH dabei das wirksamste Mittel. Das Urteil in Aachen bezeichnete die Organisation als richtungsweisend für die weiteren Verfahren bundesweit.

Wie gehen die Stadt Aachen und das Land NRW mit dem Urteil um?

„Wir sind enttäuscht, weil unsere bisherigen Anstrengungen nicht berücksichtigt wurden“, sagte der Aachener Oberbürgermeister Marcel Philipp (CDU). Stadt und Land NRW setzen ihre Hoffnungen auf eine Wirkungsanalyse. Damit soll berechnet werden, wie sich ihre Maßnahmen im Vergleich zu einem Fahrverbot auf die Schadstoffbelastung auswirken. Erst nach dem Vorliegen dieser Ergebnisse könne man seriös feststellen, ob das Fahrverbot die beste Lösung sei.

Grundsätzlich könnte der Rechtsstreit aber weiter gehen. Das Verwaltungsgericht in Aachen ließ wegen der grundlegenden Bedeutung der Entscheidung eine Berufung zu. Falls die DUH mit der anstehenden Entscheidung der Behörden am Ende nicht zufrieden wäre, könnte sie Antrag auf Zwangsvollstreckung des Urteils stellen.

In welchen Städten NRWs könnten noch Fahrverbote anstehen?

Insgesamt wurden im vergangenen Jahr jedoch in 26 weiteren NRW-Kommunen die geltenden Stickstoffdioxid-Grenzwerte (NO2) überschritten. Auch dort drohen also Diesel-Fahrverbote - und Millionen Pendler und Unternehmen wären betroffen.

Die höchsten Überschreitungen gab es laut Landesumweltamt LANUV neben der Landeshauptstadt in Köln und Düren. Doch auch das Ruhrgebiet ist stark betroffen. Überschreitungen im Jahresmittelwert gab es 2017 in Bochum, Dortmund, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Hagen, Mülheim, Oberhausen, Schwerte und Witten. Allerdings waren die Abweichungen gegenüber dem EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm an den Revier-Messstellen teils nicht so gravierend wie in Köln oder Düsseldorf. Insgesamt hat sich die Luftqualität verbessert. 2016 listete das LANUV noch 32 NRW-Kommunen mit zu hohen NO2-Werten auf.

Warum spitzt sich gleichzeitig die Situation für die Autohersteller zu?

Dieselgate und kein Ende: Nun hat es auch Daimler getroffen und Konzern-Chef Dieter Zetsche musste auf Druck der Regierung einen amtlichen Rückruf von europaweit 774 000 Mercedes-Diesel wegen unzulässiger Abgastechnik ankündigen, davon 238.000 in Deutschland. Es ist der größte Rückruf nach dem Fall Volkswagen mit knapp 2,5 Millionen Wagen in Deutschland. Zuvor hatte das Kraftfahrzeug-Bundesamt (KBA) verfügt, dass VW-Tochter Audi in Deutschland 33.000 Fahrzeuge der Oberklasse-Typen A6 und A7 in die Werkstätten holen. Die Software der Motoren enthält eine illegale Abschalteinrichtung. Gegen führende Manager wird wegen Betrugs ermittelt, Audi-Chef Stadler wurde mittlerweile sogar inhaftiert.

Wie sieht die Zukunft des Diesels aus?

Der Ruf des Selbstzünders ist ruiniert. Vielen Kunden erscheint der Diesel-Kauf riskant, weil Fahrverbote in den großen Städten und Wertverluste drohen. 64 Prozent der im Mai 2018 in Deutschland neu zugelassenen Autos hatten dem KBA zufolge einen Bezinmotor, die Zahl nahm um sechs Prozent zu. Mit Diesel wurden nur noch 31,3 Prozent der Fahrzeuge zugelassen, ein Minus von 27,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat.

Dabei ist die Technologie längst nicht am Ende. Zulieferer Bosch hat gerade eine besonders saubere Variante vorgestellt, die aber noch in keinem Fahrzeug zu kaufen ist. Entscheidend für Käufer von Neuwagen ist, dass die Abgaswerte den neuesten Standards im Zulassungsverfahren entsprechen – die Abgase werden sowohl im Labor als auch im praktischen Straßenbetrieb gemessen. Das ist bisher nur bei der Norm Euro-6d-Temp der Fall. Fahrverbote müssen die Käufer dieser Modelle nicht befürchten.

Wie trifft es die Diesel-Besitzer?

Der Schaden durch die Folgen des Dieselskandals ist nicht nur für die mit manipulierter Software betrogenen Kunden immens. Alle Diesel-Besitzer erleiden einen Wertverlust. Nach dem Diesel-Barometer der Deutschen Automobil Treuhand für Mai 2018 verkauft der Handel gebrauchte Diesel schleppender als Benziner. Durchschnittlich stehen Diesel 100 Tage beim Händler, Benziner 81 Tage. Ein drei Jahre alter Benziner ist knapp 58 Prozent seines Neupreises wert, ein Diesel 53,2 Prozent. Anfang 2017 waren es jeweils rund 56 Prozent.

Was können Besitzer von Diesel-Fahrzeugen tun?

Der Wertverlust lässt sich, wenn überhaupt, nur eindämmen, wenn es keine Fahrverbote gibt. Dazu müssten Hersteller und Politik eine wirksame Strategie entwickeln, wie die Schadstoffgrenzwerte für Stickoxide (NOx) eingehalten werden können. Die Industrie will mit Softwareupdates bei älteren Modellen den Stickoxidausstoß um fast ein Drittel verringern. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) halten dies für ausreichend.

Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) und ihre Kollegen in den Ländern pochen auf eine technische Nachrüstung mit modernen Abgasreinigungsanlagen. Bezahlen soll diese Hardware-Nachrüstung die Industrie. Dazu können die Unternehmen jedoch nicht gezwungen werden. Sie scheuen die Kosten, die zwischen 1500 und 3000 Euro pro Fahrzeug liegen.

Allerdings hat der Verband der Automobilindustrie schon zugegeben, dass selbst die Software-Updates für 5,2 Millionen Altdieseln nicht mehr komplett in diesem Jahr möglich sind.

Was bringt die Musterfeststellungklage?

VW-Chef Herbert Diess sieht sich mittlerweile mit Tausenden Klagen geprellter VW-Kunden konfrontiert. Sie wollen vom Konzern Schadenersatz erzwingen, weil sie sich betrogen fühlen. Im Gegensatz zu den USA, wo VW-Kunden erhebliche Entschädigungen und die Rücknahme der Fahrzeuge erstreiten konnten, gehen die Deutschen bisher meist leer aus. Ein höchstrichterliches Urteil gibt es noch nicht.

Die Klagen übernehmen oft spezialisierte Anwaltskanzleien. Jeder Kunde muss aber einzeln klagen. Ab November soll es mit der „Musterfeststellungsklage“ eine vereinfachte Möglichkeit geben, Ansprüche durchzusetzen. Es ist kurz gesagt, eine deutsche Variante der Sammelklagen: Ein Verband kann im Namen mehrerer Betroffener ein Verfahren anstrengen, dessen Urteil dann für alle gilt.