Ruhrgebiet. . Als NRW das Rauchverbot für Gaststätten einführte, fürchtete Nadine Jesch – Wirtin der Kneipe aus Bochum – noch um die Existenz ihrer Kneipe.

Neulich hat Ulf Timmermann Post aus der Vergangenheit erhalten. Irgendwas war wieder mit dem Internet in seiner Kneipe, er fingerte also seltenerweise auf einem Schrank herum und stieß auf einen staubigen Ordner: so alt, dass er sogar noch Papier (!) enthielt. Ausweise. Namenslisten. Es waren die Unterlagen vom Raucherclub selig. „Wie lang ist das jetzt her?“, fragt Timmermann heute rhetorisch, der Gastwirt aus Gelsenkirchen.

Falls sich noch jemand erinnert: 2008 hatten Wirte im ganzen Land Raucherclubs gegründet, um das neue, aber löchrige Rauchverbot in Kneipen zu umgehen. Ja, das ging damals noch. Sie wollten damit natürlich nur die weltbekannte nordrhein-westfälische Tabakkultur retten. Erst ein überarbeitetes Gesetz ohne das kleinste Loch machte Clubs, Tabak und Kultur 2013 ein Ende, seit gut fünf Jahren ist das Rauchverbot im NRW-Gastgewerbe nun absolut. Etliche Kneipen haben das nicht überlebt. Und etliche: haben sich geändert.

Die „Friesenstube“ etwa in Gelsenkirchen-Mitte. Ulf Timmermann zeigt dort Bundesliga-Fußball, anders als früher, „das ist für uns Kundenbindung, sonst gehen die Leute woanders hin“, sagt der 67-Jährige. Die Öffnungszeiten hat er morgens früh leicht eingeschränkt, damit die ersten Frühstücksgäste nicht länger mit den letzten Nachtschwärmern zusammentreffen (wobei das, wenn man genauer hinschaute, oft darin bestand, dass die Nachtschwärmer an der Theke eingenickt waren).

Und, ganz wichtig, die halbe „Friesenstube“ findet nun im Freien statt. Das Rauchen vor dem Eingang sowieso. Aber da stehen auch viele neue Tische, rund ums Jahr, und auf diesen Tischen findet sich der freundliche Aufsteller „Nichtraucher bitte nach drinnen, draußen für Raucher freilassen“. Wer wollte sich da weigern? Draußen nur Raucher.

Für Thorsten Hellwig vom Hotel- und Gaststättenverband NRW ist die Lage der Kneipen im Land mehr als angespannt. „Ich sehe ein ganz deutliches Kneipensterben“, sagt er. 1994 waren es landesweit noch etwa 21 000, im Jahr 2015 noch 8000, eine neuere Zahl ist nicht bekannt. „Individualisierung, Eventisierung, der Wunsch nach Unterhaltung und Modernität“ wüchsen. Zulasten der Kneipen. „Das begrenzte Angebot aus Kommunikation, Rauchen und Bier wurde zuletzt schon immer weniger nachgefragt“, sagt Hellwig: „Im Zusammenhang wirkte das Rauchverbot aber noch wie ein gesetzlicher Brandbeschleuniger.“ Vom Flächenphänomen werde die Kneipe zum Nischenprodukt.

„Es ist angenehm, die Klamotten riechen nicht, bleiben auch weiß“

Der Wirt Stephan Romberg aus Essen („Mittendrinn“, „Heimliche Liebe“) fühlt sich jedenfalls bevormundet: „Ich wünsche mir Kompromisse, dass man sagt, bis 22 oder 23 Uhr ist das Rauchen strikt verboten – und ab da ist es dem Wirt überlassen, eine Kneipe als Raucherkneipe laufen zu lassen oder eben nicht.“ Den Eindruck, dass weniger Leute kommen, teilt er aber ausdrücklich nicht. 20 Kilometer weiter östlich gehört auch Nadine Jesch zu den Überlebenden, anders, als sie selbst erwartet hatte 2013: „Das Rauchverbot geht an meine Existenz. Dann leben wir vom Arbeitsamt“, sagte sie damals.

Doch längst haben auch die Raucher in ihrem „Alt-Riemke“ im Bochumer Norden ihren Frieden damit gemacht, mit der Zigarette rauszugehen; manche, munkelt man, hätten gar zu rauchen aufgehört. Und Nadine Jesch sagt heute: „Es ist angenehm, die Klamotten riechen nicht, bleiben auch weiß.“

Sie hat das Angebot kleinerer Gerichte ausgebaut und ansonsten – als Nichtraucherin – eh das Glück des längeren Atems: Zwei Kneipen in der Nähe schlossen in den letzten Jahren. „Wir sind die einzigen noch hier am Ort“, sagt die Wirtin. Und halb im Scherz: „Ich wundere mich, dass die das Bier noch nicht verboten haben.“

An dieser Stelle macht sich die Theke bemerkbar, die um halb zehn morgens bereits ganz gut besucht ist: „Kommt noch, kommt noch. Heutzutage . . .“ Und dann nehmen sie einen Schluck auf den Schreck.

ÖSTERREICH FÜHRT DAS VERBOT NUN DOCH NICHT EIN

Österreich nimmt gerade Abstand vom Rauchverbot: Im Mai sollte es eingeführt werden, hatte die alte Regierung aus SPÖ und ÖVP beschlossen.

Die neue Regierung aus ÖVP und der rechten FPÖ nahm das zurück. Es wird nun ein Volksbegehren zum Thema geben.