Viersen. Im Stadtteil Boisheim wurden Dutzende Häuser beschädigt, Bäume knickten wie Streichhölzer um. Nach dem Sturm nun das große Aufräumen.
Der Tag danach ist der Tag, an dem die Sägen sägen und die Hämmer hämmern. Überall im Viersener Stadtteil Boisheim sind sie zu hören. Dort, wo am Dienstagabend ein Tornado in der kleinen Gemeinde gewütet hat. „Es war wie im Film“, sagen die, die ihn gesehen haben.
Mittag ist es und Margot Mielitz hat zumindest schon mal den Vorgarten wieder in Ordnung gebracht. „Hinten wird es länger dauern“, sagt sie und bittet ums Haus. „Sehen sie selbst, alle Bäume umgefallen. Aber die anderen hier in der Straße hat es noch schlimmer erwischt.“ Erschöpft von der Gartenarbeit des Tages, hat Mielitz am Mittwochabend mit ihrem Mann in der Küche gesessen. „Gegrummelt hat es erst und dann kam der Wind. Plötzlich wirbelte alles durch die Luft.“ Ziegel, Äste, Gartenmöbel sieht die Rentnerin in die Höhe fliegen und auch das große Trampolin aus dem Garten des Nachbarn. „Wie ein Ufo sah das aus.“ Nach „gefühlt zehn Minuten“ ist alles vorbei. „Dann sind wir alle raus auf die Straße.“
Wohnwagen segelt durch die Luft
Dort sehen die Boisheimer, dass es längst nicht alle der gepflegten Einfamilienhäuser getroffen hat. Es ist die oft bemühte Schneise der Verwüstung, die der Tornado geschlagen hat. In Schlangenlinien hat er im Ort gewütet, hat die Kirche rechts liegen lassen, aber den angrenzenden Friedhof in ein Trümmerfeld verwandelt.
An manchen Stellen gibt es auf der rechten Straßenseite schwerste Beschädigungen, während es auf der linken aussieht wie immer. Nach Angaben der Stadt sind in dem Viersener Ortsteil bis zu 50 Gebäude beschädigt – Dächer aufgerissen, Klinker von der Wand geholt, Fenster eingedrückt. Und auch mehrere Autos liegen begraben unter Bäumen.
An der Linder Straße aber hat das Unwetter sich offenbar Zeit genommen. Kaum ein Dach, das nicht abgedeckt ist. Aber Angela Kopka winkt ab. „Wenn es das nur wär’.“ Mit ihren Jungs war sie beim Fußballtraining, als der Tornado den Ort heimsuchte. Und als sie am Abend nach Hause kommt, da ist der Wohnwagen der Familie verschwunden von seinem Standplatz in der Einfahrt und liegt gut 40 Meter entfernt schwer beschädigt im Garten. „Hätte ich nicht geglaubt, dass hier so etwas passieren könnte“, sagt die 34-Jährige. „Jetzt räumen wir erst einmal auf.“
Kein Haus ist einsturzgefährdet
Das machen sie alle im Viertel. Kolonnen von Handwerkern aus Boisheim und den umliegenden Orten sind schon kurz nach Unglück vorgefahren und haben damit begonnen, die beschädigten Dächer auszubessern. „Das ist bisher gut gelaufen“, sagt Silke Günther, die mit ihrer Familie vor ihrem Haus auf der Straße steht und auf den Mann von der Versicherung wartet.
Auch auf ihrem Dach sind Löcher, im Garten liegen acht große, alte Bäume wie Mikadostäbchen übereinander. „Alles nicht schön“, sagt Vater Olaf. „Aber am Ende hätte es noch viel schlimmer kommen können.“ Nicht nur, weil er Minuten vor dem Tornado noch im Garten gewerkelt hat, sondern auch, weil ein Dachziegel das Toilettenfenster in 1000 Teile splittern lässt, vor dem Ehefrau Silke nur Sekunden zuvor noch gestanden hat. „Hätte meine Tochter Anna-Lena mich nicht gerufen, wer weiß, was passiert wäre.“
So ist niemand gestorben, ein Feuerwehrmann wurde leicht verletzt, „aber ansonsten ist es bei Sachschäden geblieben“. Und anders als zunächst befürchtet, ist auch keines der beschädigten Häuser einsturzgefährdet. „Die Stadt“, bilanziert ein Sprecher im Rathaus, „hat unheimliches Glück gehabt.“
>>> Stürme werden stärker
Anders als in den USA gibt es in Deutschland kein typisches Tornado-Gebiet: Wirbelstürme könnten in Deutschland überall auftreten, sagt Andreas Friedrich, Tornadobeauftragter des Deutschen Wetterdienstes. Dass am Dienstag ein Tornado ausgerechnet über Viersen fegte, war nach Angaben des Experten Zufall.
Auch sind Wirbelstürme in Deutschland ein eher seltenes Ereignis. In den vergangenen 20 bis 30 Jahren seien jährlich etwa 20 bis 60 Tornados mithilfe von Augenzeugenberichten erfasst worden, sagt Meteorologe Friedrich. „Die Dunkelziffer ist allerdings sehr viel höher.“ Es werden aber immer öfter Tornados bekannt, weil die Stürme heute etwa einfach mit Smartphones gefilmt werden könnten. Wegen der Erwärmung der Atmosphäre würden die Tornados eher stärker, aber nicht häufiger. (mit dpa)