Dortmund. . 1896 reisen Duisburger Fußballer auf die Insel. Sie werden irrtümlich für eine Art Nationalelf gehalten – und verlieren ihre Spiele mit 0:46

Im Sommer 1896 haben sich die Fußballer des „Duisburger Turnvereins von 1848“ im holländischen Vlissingen vermutlich noch recht erwartungsfroh eingeschifft: Denn sie reisen als erste deutsche Fußballmannschaft überhaupt nach England, ins Heimatland ihres Sports, und sie wollen nur spielen. Die Laune hätte allerdings deutlich gelitten, wenn sie geahnt hätten, dass sie auch in den ersten großen deutschen Fußball-Skandal reisen.

Denn wohl wegen eines Übersetzungsfehlers – „Association“ kann sowohl „Verein“ als auch „Verband“ bedeuten – nehmen die Engländer sie als eine Art Nationalmannschaft oder wenigstens Auswahlelf in Empfang, und die Mannschaft lässt es geschehen. Warum? Das hat damals niemand aufgeschrieben, heute weiß es also auch niemand mehr.

Untergang gegen vier Vereine. „Welche Schmach!“

Der Skandal ist umso größer, als die Gegner, vier Vereinsmannschaften, die vermeintlichen deutschen Vertreter völlig auf dem falschen Fuß erwischen: Das Fachblatt „Spiel und Sport“, offenbar ein früher ,Kicker’, schäumt nach den vier Begegnungen der Duisburger völlig zurecht: „46 zu 0 in vier Spielen! Welche Schmach!“

Als kundiger Fußballfan darf man erstmal getrost unterstellen: Die 46 Gegentore kamen natürlich nur zustande, weil im deutschen Tor ein englischer Torwart stand. Aber zu den sonderbaren Umständen später mehr.

„Der Mythos des Arbeiterfußballs sitzt sehr tief“

Das Deutsche Fußballmuseum in Dortmund erzählt in der Ausstellung „Schichtwechsel“ unter anderem die Geschichte der ersten Auslandsreise. Aber nicht wegen dieser Umstände, sondern, um einen Mythos zu zerstören. „Der Mythos des Arbeiterfußballs sitzt sehr tief im Ruhrgebiet. Damit wollen wir aufräumen“, sagt Kurator Malte von Pidoll.

Tatsächlich waren es nämlich Gymnasiasten, also Kinder aus besseren Kreisen, Bürger und Wohlhabende, die den Fußball in Deutschland anstießen. Arbeiter hatten nicht die Zeit, nach der Arbeit wohl auch nicht mehr die Kraft. Und der Beweis? Ist die ausgestellte Titelseite der Reisebroschüre der Reederei, mit der die Duisburger nach Queensboro übersetzten.

Fußballer reisen auf eigene Kosten

Das Ausstellungsstück: das Titelbild der Broschüre zur Reise zwischen Vlissingen und Queensboro bei London.
Das Ausstellungsstück: das Titelbild der Broschüre zur Reise zwischen Vlissingen und Queensboro bei London. © Deutsches Fußballmuseum

Sie fuhren mit der „Zeeland Steamboat Company“ auf der „Koningin Regentes“, die ihren Namen offenbar nicht ganz zu Unrecht führte. Denn das Schiff hatte 1896, wie sich leicht nachlesen lässt, nicht nur einen „imperialen Empfangssaal“, „Rauch-, Speise- und Damensalon“ und „ausklappbare Waschbereiche in allen Kabinen“, sondern auch überhaupt „höchst komfortable Kabinen“.

Kurzum: Fußballer reisten schon 1896 auf höchstem Niveau. Allerdings auf eigene Kosten.

Und die waren hoch, viel zu hoch für Arbeiter. Nein, hier reisten Studenten aus besseren Kreisen, Kaufleute und Ingenieure, darunter kurioserweise auch zwei Briten, die beim Duisburger Kabelwerk arbeiteten und wahrscheinlich das ganze Projekt erst ins Rollen gebracht hatten.

Ein Brite spielt unter falschem Namen als Deutscher

Und einer dieser Briten stand unter dem falschen Namen „Schlee“ als deutscher Torwart im Tor und war, glaubt man den Augenzeugen und verwirft die eigenen Erfahrungswerte, dann doch noch der Beste.

Nach der ganzen Aufregung gab ein Kommentator dieser Überzeugung Ausdruck: „Wenn die Zeit kommt, wo eine repräsentative deutsche Elf den Canal kreuzt, wird sie eine ganz andere Vorstellung von deutschem Fußball geben.“

Erstes offizielles Länderspiel erst im Jahr 1909

Aber ach: Das erste offizielle Länderspiel England gegen Deutschland wurde dann am 4. April 1909 ausgetragen. Es endete leider: 9:0 für England. Welche Schmach!

Ein anderer Kommentator aber erwies sich als geradezu hellsichtig, was die Zukunft des Fußballs anging: Er stellte nämlich die Frage, ob der etwas hochstaplerische Auftritt der Duisburger Turner vielleicht einer „Manipulation des Geldverdienens“ geschuldet sei . . .