Essen. . Christoph Zöpel hat als Landesbauminister das Ruhrgebiet geprägt. Er beschäftigt sich weiter mit der Zukunft seiner Heimat. Zehn Thesen.

Der Visionär kommt mit zerzaustem Haar, denn er fährt Bahn. Dazu regnet und weht es eisig um das Fördergerüst von Zollverein. Man darf sagen – und das tut Christoph Zöpel auch selbstbewusst – dass es, ohne seine Entscheidung als Landesbauminister (SPD, 1980-90), Zollverein unter Denkmalschutz zu stellen, das Weltkulturerbe nicht geben würde. So wenig wie den Gasometer in Oberhausen, das Tetraeder in Bottrop und die gesamte Route der Industriekultur. Sie sind hervorgegangen aus der zehnjährigen Internationalen Bauausstellung Emscher-Park (IBA), die Zöpel ins Leben gerufen hat – sie hat das Ruhrgebiet geprägt.

Oben angekommen im Café des Ruhrmuseums streicht der 74-Jährige aus Bochum sich die Haare zurecht, dann blickt er nach vorn.

Seine Thesen zur Zukunft des Ruhrgebiets hat Christoph Zöpel aktuell in dem Fachbuch „Raumstrategien Ruhr 2035+“ (Verlag Kettler, 296 Seiten, 39,90 Euro) aufgeschrieben. Aus dem Gespräch ergibt sich jedoch eine etwas andere Einteilung.

1. „Man sagt nicht gerne, dass man aus einem Gebiet kommt“, erklärt Christoph Zöpel. „Das Einfachste wäre wirklich, man sagt Ruhr. Wir kommen aus Ruhr.“

2. Das Ruhrgebiet soll sich selbst verwalten. „Die radikale Lösung wäre“, erklärt Zöpel: „Das Land und Ruhr – dazwischen keine Verwaltungsebene.“ Die drei Regierungsbezirke und zwei Landschaftsverbände, die sich das Revier heute aufteilen: überflüssig. Braucht Berlin ja auch nicht. Zöpel erläutert das mit einer Anekdote: Als Bundeskanzler Helmut Schmidt 1979 das Revier besuchte, habe er zum Abschluss des Tages gesagt: „So wie hier verwaltet wird, kann nie was draus werden.“ Zöpel saß dabei, es brannte sich ein. „Man muss sich nur ausmalen“, sagt er fast träumerisch, „wie einfach es wäre, wenn Ruhr die Stadtverfassung von Hamburg hätte.“

3. „ An der Spitze braucht man jemanden, der international bekannt wird und das Ruhrgebiet nach außen verkauft. Er konkurriert mit den Oberbürgermeistern von London oder Berlin. Das bedeutet nicht, dass die Städte alle Aufgaben nach oben abgeben.“

4. Denn man sollte nicht in Städten denken, sondern in Stadtteilen. „Dort vollzieht sich die Entwicklung“, sagt Zöpel. „Keine Stadt mit fünf Millionen Einwohnern hat nur ein Zentrum.“ Was der Stadtteil schaffen kann, das soll er auch machen. Vor allem sollte er im Zentrum der planerischen Überlegungen stehen, findet Zöpel. Urbanität zu schaffen heiße aber auch, Flächen zu sparen und zu verdichten. Also höher zu bauen, wo es Sinn macht.

5. Dazu gehört: Wir brauchen mehr Wirtschaftsförderung für Dienstleistungen. „Es spricht nichts gegen die Industrie“, sagt Zöpel, „sie wird nur keine zusätzlichen Arbeitsplätze mehr schaffen.“ Wozu der Mut fehle, „ist zuzugeben, dass die Schwerindustrie zu Ende ist. Man muss nichts vorhalten dafür.“ Aber für die Dienstleister, die 69 Prozent der arbeitenden Bevölkerung ausmachen, gebe es kein stimmiges Konzept und keine detaillierten Kenntnisse, was sie brauchen.

6. Schon eine Kneipe aufzumachen sei zum Beispiel mit großen Hürden verknüpft. „Durch bürokratisches Verhalten und übertriebene Anwendung von Rechtsvorschriften wird viel verhindert.“ – „Wie kann das Ordnungsamt helfen? Das müsste der Weg sein.“

7. Die „Dreiflussmetropole Ruhr-Emscher-Lippe“ wird das Wasser entdecken. Bedeutender noch als die Emscher selbst, die bis 2020 renaturiert wird, „sind ihre Nebenläufe“. Die Lebensqualität am Wasser müsse auch sichtbarer gemacht werden, etwa mit qualitätsvoller Architektur.

8. „Man sollte die Laster auf den Autobahnen nicht in Überholmanöver schicken, sondern aneinanderketten und elektronisch steuern.“ Härtere Vorgaben für die Logistik hält Zöpel für unausweichlich. Der Nahverkehr sei völlig unzulänglich. Viel wichtiger als der Rhein-Ruhr-Express sei es, die Taktzeiten auch zwischen den Städten abzustimmen.

9. Ruhr kann der Welt vormachen, wie eine Region mit fünf Millionen Einwohnern auf erneuerbare Energien umsteigt. Zahlreiche Fachbesuche zeigten: „China möchte hier lernen, wie man ohne Kohle auskommt.“

10. Strukturwandel, Stadterneuerung und die Umgestaltung der Landschaft von den Halden bis zur Emscher: „In Ruhr finden gewaltige Veränderungen statt – ohne dass jemand protestiert. Wer schafft das schon?“, sagt Zöpel. Das Ruhrgebiet müsse seine Besonderheiten stärker darstellen. Kurz: Einfach mal stolz sein.