Mülheim. . Die neue Hochschule in Broich brachte kaum junge Menschen in die Stadt. Ihnen fehlen Cafés und Kneipen, sie leben lieber in Duisburg oder Essen.

Mit einem Ruck stoppt die 901. Eine Hand voll Studenten stolpert aus der Straßenbahn und verschwindet flotten Schrittes in der Hochschule Ruhr West. Michael Mangelmans in seinem Kiosk direkt an der Haltestelle hat sie dabei immer im Blick. Doch trotz der guten Lage finden nicht viele Studenten den Weg in sein Büdchen: „Die steigen aus der Bahn und sind direkt auf dem Campus verschwunden“, klagt er.

Die Hoffnungen waren groß. Mülheims neue Hochschule werde die Duisburger Straße aufwerten, träumte man, junge Menschen Leben in Viertel bringen. Auch Mangelmans war optimistisch. Eineinhalb Jahre nachdem die Hochschule vom Übergangsstandort Styrum in den nagelneuen Campus an der Duisburger Straße umgezogen ist, ist davon wenig übrig – studentisches Leben sucht man in Broich vergeblich, obwohl die Zahl der Studenten nach oben geht: 4300 sind es mittlerweile in Mülheim, weitere 1600 am Standort Bottrop.

Studentin Lisa Humann erklärt das damit, dass viele ihrer Kommilitonen täglich pendeln. Die 22-Jährige ist neben ihrem Studium im Asta der Hochschule aktiv. Der versucht das studentische Leben an der Hochschule zu entwickeln: „Es ist schwierig, die Leute nach Vorlesungsende hier am Campus zu halten. Es gibt kaum Bars oder Cafés in der Nähe, wo man sich nach der Vorlesung treffen kann.“

Zehn größere Veranstaltungen stellte der Asta 2017 auf die Beine, darunter einen Weihnachtsmarkt und eine Party im Ringlokschuppen mit 700 Gästen. Bei einer Kneipentour zogen 100 Studenten von Broich aus in die Innenstadt. „Wir haben typische Kneipen besucht“, erzählt Humann, „in die verirrt sich sonst kaum ein Student.“

Eine beliebte Schlafstadt

Bei der Stadt gibt man sich vorsichtig optimistisch, dass sich noch studentisches Leben abseits der Seminarräume entwickelt. Felix Blasch, Leiter des Planungsamtes, sieht eine positive Entwicklung in den umliegenden Straßen der Hochschule: „Durch das neue Wohnheim kommt neues studentisches Wohnen in den Stadtteil. Das sind zwar keine Massen, aber man merkt eine deutliche Veränderung in Broich.“ Den deutlichsten Wandel sieht er an der Duisburger Straße: „Es ist erstaunlich, was hier in kurzer Zeit passiert ist. Der Straßenzug hat sich herausgeputzt, neues Gewerbe sich angesiedelt.“

Eine Einschätzung, die Michael Mangelmans nicht teilt. Seit zwölf Jahren betreibt er an der Duisburger Straße „Moe’s Lädchen“; den Bau der Hochschule hat er in der ersten Reihe mitverfolgt. Viel Laufkundschaft hatte er nie, den Umsatz brachten Autofahrer, die kurz vor seiner Tür anhielten und in den Laden sprangen. Das ist seit dem Umbau der Straße nicht mehr möglich: „Wir haben 40 Prozent weniger Umsatz, seit die Hochschule hier ist“, beklagt der Kiosk-Betreiber, „die Haltestelle direkt vor der Tür bringt nur Müll und Dreck.“

Die Hochschule "Ruhr West"

Die Hochschule Ruhr West wurde am 1. Mai 2009 offiziell als MINT-Fachhochschule (mit den Schwerpunkten Mathe, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) gegründet.

Im Wintersemester 2009/10 starteten die ersten 80 Studierenden (Maschinenbau und Wirtschaftsingenieurwesen).

Drei Jahre lang wohnte der Student Marc Schnell in einem der städtischen Wohnheime. Jetzt hat er mit Freunden eine WG gegründet – in Duisburg. „Es war eine bewusste Entscheidung weg zu ziehen, die Mieten in Mülheim sind im Vergleich viel höher“, sagt er.

Eine Einschätzung, die Sonja Herzberg vom Mieterbund Rhein-Ruhr teilt: „Mülheim ist eine beliebte Schlafstadt. In Nachbarstädten wie Duisburg oder Essen kann man bis zu 150 Euro bei der Miete sparen.“ Auch sonst kann Schnell seiner Studienstadt nicht viel abgewinnen: „Viel zu bieten hat die City nicht, es gibt einfach keine Angebote.“ Eine Kommilitonin spricht Klartext: „Mülheim ist langweilig.“ Sie selbst kam 2016 aus Süddeutschland her und findet, „positiv an Mülheim“ sei nur, „ dass man schnell in anderen Städten ist.“

Cocktailbar schloss nach kurzer Zeit

Große Hoffnung setzt die Stadt auf die Verlängerung des Radschnellwegs Ruhr, die für Ende 2018 vorgesehen ist. „Die Hochschule kann durch den Radweg näher an die Innenstadt rücken“, sagt Felix Blasch. Der Wunsch: Studenten, die pendeln, steigen vom Auto oder der Bahn aufs Rad um und gelangen so nach der Vorlesung binnen Minuten ins Mülheimer Zentrum.

Doch damit das geschieht, müssten weitere Anreize geschaffen werden, sagt Lisa Humann: „Die Studis wünschen sich mehr studentisches Leben, etwa Cafés oder Bars in der direkten Nachbarschaft.“ Bis dahin scheint es noch ein langer Weg zu sein. Erst kürzlich eröffnete eine Cocktailbar am Campus. Sie hat nach kurzer Zeit wieder geschlossen.