Krefeld. . 450 Unternehmer in NRW sollen Scheinrechnungen gekauft haben, um das Finanzamt zu betrügen und Schwarzarbeit zu finanzieren

Früh am Nachmittag kann Oberstaatsanwalt Wolf-Tilman Baumert eine gewisse Zufriedenheit nicht verbergen. „Alle Personen, die wir haben wollten“, sagt der Fahnder aus Wuppertal, „befinden sich in unserem Gewahrsam.“

Und dann spricht er von einem „schweren Schlag“ gegen die organisierte Schwarzarbeit in Nordrhein-Westfalen. Bei der größten Razzia in der Geschichte des Landes haben mehr als 1000 Einsatzkräfte des Zolls gestern bei Tagesanbruch 140 Wohnungen und Geschäftsräume in NRW durchsucht. Der Schwerpunkt der Aktion lag nach Informationen dieser Zeitung im Ruhrgebiet.

Schwer bewaffnete Spezialeinheiten im Einsatz

Es ist noch dunkel draußen, da schellen die Männer und Frauen vom Zoll überall im Land. In acht Fällen klingeln sie allerdings nicht. Dort stürmen schwer bewaffnete Spezialeinheiten die Wohnungen und nehmen die Bewohner fest. Baumert weiß, dass das ungewöhnlich ist, wenn es um Schwarzarbeit geht, aber nach zwei Jahren intensiver Ermittlungsarbeit kennt er seine Klientel.

„Wir haben es hier“, erklärt er am Nachmittag den Einsatz der Spezialkräfte, „mit hochprofessionellen Kriminellen zu tun.“ Da könne man nicht vorsichtig genug sein, findet der Oberstaatsanwalt. Die Schuss- und Stichwaffen, die die Beamten in den Wohnungen finden, zeigen, wie Recht er damit hat.

Scheinrechnungen in Höhe von knapp 50 Millionen Euro

So aber werden acht Verdächtige festgenommen, ohne dass sie Gegenwehr leisten können. Eine 31 Jahre alte Deutsch-Kasachin, ein 40 Jahre alter sowie zwei 56 Jahre alte Serben, eine 49 Jahre alte Deutsche, ein 51-jähriger Israeli, ein 52 Jahre alter Mann aus Bosnien-Herzegowina und ein 72-jähriger Mann ohne Staatszugehörigkeit.

Die Polizei hält sie alle für die Köpfe einer Bande, die allein in den vergangenen beiden Jahren Scheinrechnungen für NRW-Baufirmen in Höhe von knapp 50 Millionen Euro geschrieben haben soll.

Heinz Michael Horst, Sprecher der Sonderkommission „Moses“, erklärt, wie die Bande gearbeitet hat. Sie holte regelmäßig Strohmänner aus Osteuropa, die in NRW ganz legal eine Servicefirma gründeten und Konten eröffneten, bevor sie wieder in ihrer Heimat abtauchten. Bei den von ihnen gegründeten Firmen aber konnten Bauunternehmen fortan Rechnungen kaufen.

„Aus Weißgeld Schwarzgeld machen“

Dafür überwies – fiktives Beispiel – ein Bauunternehmer etwa 100 000 Euro für Elektroarbeiten, die es nie gegeben hatte, an das Service-Unternehmen. Diskret und leise wurde das Geld dann wenig später bar wieder zurück gegeben – abzüglich einer Provision bis zu zehn Prozent. Der Bauunternehmer konnte die 100 000 Euro als Betriebsausgaben von seinem Gewinn abziehen und noch dazu mit dem zurückerstatteten Bargeld seine Schwarzarbeiter entlohnen.

Bevor die Servicefirma auffiel, wurde sie liquidiert und schnell eine neue gegründet. „Aus Weißgeld Schwarzgeld machen“, nennt Horst das Prinzip. Der daraus entstandene Schaden aus hinterzogenen Steuern und nicht gezahlten Sozialbeiträgen beträgt rund 38 Millionen Euro.

20 „Stammkunden“ sollen Rechnungen für 20 Millionen Euro gekauft haben

Nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft standen mehr als 450 Bauunternehmen als „Rechnungskäufer“ auf der Kundenliste – darunter Firmen aus Bochum, Dortmund, Duisburg, Düsseldorf, Essen, Gelsenkirchen, Gladbeck, Mülheim, Oberhausen, Recklinghausen, Witten und Hagen. Bei 20 „Stammkunden“ stand der Zoll bereits in der Tür. Sie allein sollen Rechnungen für über 20 Millionen Euro bei den Verdächtigen gekauft haben. „Aber auch gegen die anderen Unternehmen wird ermittelt“, versichert der Soko-Sprecher.

Luxuslimousine vor der Türund stets Bargeld im Haus

Gelohnt hat sich das Geschäft offenbar auch für die Verkäufer. Die acht Hauptverdächtigen, sagt Armin Rolfing Präsident der Generalzolldirektion, „haben nicht schlecht gelebt.“ Luxuslimousine vor der Tür, gehobene Einrichtung in der Wohnung und stets flüssig. Was die weit über 200 000 Euro Bargeld erklärt, die der Zoll gestern in den Wohnungen sicherstellte. Nun aber dürfte das süße Leben für längere Zeit vorbei sein. Laut Staatsanwaltschaft drohen den Beschuldigten Freiheitsstrafen von bis zu zehn Jahren.