Düsseldorf. . Mehrere Stunden vor Beginn des ersten Verhandlungstages standen die ersten Besucher vor dem Kongresszentrum. Viele hoffen auf Gerechtigkeit.

Niemand hat Nicole Ballhause angeklagt, und doch erhofft sie sich eine Art Freispruch durch diesen Prozess. „Ich war beim Sicherheitsdienst der Loveparade, ich hab’ die Leute in den Tunnel gelassen“, sagt die Essenerin: „Ich geb’ mir die Schuld daran, das macht mich wahnsinnig.“ Nun steht sie hier in Dunkelheit und Kälte, drei Stunden vor Prozessbeginn, eine der ersten Besucherinnen, auch eine Art Opfer. Worauf sie alle hier warten, das tragen die zahlreichen Wachtmeister vor dem Kongresszentrum einfach als Schriftzug auf der Jacke: Justiz. Also: Rechtsprechung.

Einige, die damals in Duisburg dabei waren, kehren heute als Prozessbesucher wieder, andere als Nebenkläger. Wiedersehensszenen, Menschen fallen Menschen in die Arme, manche Träne fließt, „Mann, Mogi!“ Man kennt einander: vom Unglück selbst schon oder später aus der Verletztengruppe, von der Online-Petition oder von der Gedenkinitiative oder aus der Facebook-Gruppe . . . „Man kann auch nachts schreiben, zwei, drei Leute sind immer wach“, erzählt eine junge Frau. Ihre Hände zittern vor Aufregung. Endlich der Prozess!

Eltern reisen aus Spanien an

Nach und nach trudeln auch die Beteiligten ein. Rechtsanwälte mit Rollkoffern, Nebenkläger-Vertreter wie Gerhart Baum, den Ex-Innenminister: „Es wäre eine Katastrophe, wenn dieser Prozess im Jahr 2020 im Niemandsland enden würde“, sagt er.

„Wir haben ja nur zweieinhalb Jahre bis zur Verjährung“, sagt Rebecca Doll, die auch sehr früh gekommen ist. „Lungen- und Beckenquetschung“ habe sie damals erlitten, sagt sie, „zwei Minuten später wäre ich tot gewesen.“ Sie, Hamburgerin mit drei Kindern, wird nicht jeden Tag kommen können, aber das haben sie organisiert untereinander: dass einer immer da ist und die anderen auf dem Stand der Dinge hält. Frau Doll, was erhoffen Sie sich? „Dass es endlich Schuldige gibt . . . Dass sie sich dazu bekennen, was sie gemacht haben.“ Andere vermissen die, die sie für die wirklich Schuldigen halten: Rainer Schaller, den Veranstalter. Die Polizei. Das Ordnungsamt.

Gesichter der Angeklagten kennt fast niemand

Die Angeklagten kommen von Zuhause, sie müssen auch hier durch, aber ihre Gesichter kennt ja fast niemand. Eine einzige Frau hat den Schutz der Unauffälligkeit verlassen, sie ist als Angeklagte auszumachen, weil sie in der Dämmerung eine Sonnenbrille trägt und sich eine Zeitschrift halb vors Gesicht hält. Darauf der Slogan: „Die Zukunft ist jetzt.“

Drinnen im Kongresszentrum erwartet sie alle die Sicherheit. Ausweiskontrollen, Zugangskontrollen. Wasserflaschen? Müssen weg. Mandarinen? Müssen weg. Die mehrseitige, an die Wand geklebte „Sitzungspolizeiliche Anordnung“ gibt nähere Auskunft. Keine Waffen, Schirme oder Stöcke, logisch, aber auch kein Obst und keine Eier. Nichts, womit man werfen kann. Dann noch zu den Metalldetektoren und den Körperpiepsern. Zustände wie an Flughäfen. Dahinter drehen sich zwei Rolltreppen aufwärts in Richtung Gerichtssaal. Es startet das Raumschiff Recht.