Hattingen. . Der Täter wurde von der Polizei festgenommen. Nach dem Angriff geht es dem Opfer „den Umständen entsprechend gut“. Aber der Schock sitzt tief.

Die Polizei sitzt direkt nebenan. Wand an Wand, gleiches Gebäude wie das Job-Center, gleiche Adresse sogar: Hüttenstraße 45, ein ganzes Stück außerhalb der Hattinger Altstadt. Und so ist der Mann, der am Montagnachmittag einen Mitarbeiter der Arbeitsvermittlung niedersticht, nach wenigen Minuten auch schon festgenommen.

Der Schock über die erneute Attacke in einem Jobcenter aber sitzt tief. Denn immer wieder rasten Antragsteller aus und verletzen oder töten Mitarbeiter. Zwischen 2012 und 2016 registrierte die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) 1619 Gewalttaten oder Bedrohungen in Verwaltungsbehörden. Jeder vierte Jobcenter-Beschäftigte sei schon einmal Opfer eines Übergriffes geworden.

Sachbearbeiterin 2012 erstochen

Die Anlässe sind häufig erschütternd nichtig. 2012 erstach ein Arbeitsloser in Neuss eine 32-jährige Sachbearbeiterin, weil er mit einer Datenschutzerklärung nicht einverstanden war. Die Tat ging bundesweit durch die Medien. „So ein Ereignis löst enorm viel aus“, berichtet Heike Börries von der Arbeitsagentur NRW. Als Reaktion verschärften die Jobcenter die Sicherheitsvorkehrungen. Vielerorts gibt es mittlerweile Notfallknöpfe, mit denen Sachbearbeiter ihre Kollegen aus den Nachbarbüros zu Hilfe rufen können. In Deeskalationsschulungen lernen sie, wie sie mit aggressiven Klienten umgehen sollten. Manche Jobcenter setzen in besonders gefährdeten Bereichen Sicherheitsdienste ein.

Wie wirksam die Maßnahmen sind, lässt sich schwer abschätzen. Denn trotz der Vorkehrungen kommt es weiterhin zu Gewalttaten. Vor drei Jahren erstach ein 29-Jähriger in Rothenburg ob der Tauber einen Gutachter, der herausfinden sollte, ob der junge Mann eine normale Arbeit aufnehmen könne.

Täglicher Umgang eine Herausforderung

Der tägliche Umgang mit Menschen, deren Existenz von ihren Entscheidungen abhängt, ist für die Sachbearbeiter eine Herausforderung, sagt der Hattinger Jobcenter-Chef Heiner Dürwald. Die „Kunden“, wie er die Hartz-IV-Bezieher nennt, stehen unter großem Druck und haben überdurchschnittlich häufig Alkohol-, Drogen- oder psychische Probleme. Im Herbst 2016 schlug ein 52-Jähriger im hessischen Dietzenbach seinem Sachbearbeiter den Schädel ein, als der gerade eine Leistungskürzung in ein Formular eintrug.

Das Hattinger Jobcenter selbst hat am Dienstag wieder zu seinen normalen Zeiten geöffnet. Den 55 Mitarbeitern war indes freigestellt worden, ob sie persönlichen Kundenkontakt haben wollten. „Es ist schwierig, die richtige Balance zwischen ­Vorsicht und Zuwendung für unsere Bezugsberechtigten zu finden“, sagt Dürwald. Man brauche dafür eine „psychische Robustheit“, die bei dem betroffenen Kollegen vorhanden sei. „Er ist erfahren, Sozialpädagoge, hat sich bewusst für solche Fallbearbeitungen entschieden.“

Polizei ist nebenan

Es gibt hier keinen Bodyscanner und keinen Sicherheitsdienst, aber eben die Polizei nebenan. „Durch unser Konzept und eine Art Sicherheitsschleuse wissen wir immer, wer sich in unseren Räumen aufhält“, sagt Dürwald. „Anders geht es nicht, wir müssen kommunizieren – wir können nicht mit Kläppchen am Schalter arbeiten, wie früher bei der Bahn.“

Doch am Montagnachmittag wurde die Offenheit zum Problem: Da war ein obdachloser 37-Jähriger ohne Termin zum Jobcenter gekommen. Er meldete sich bei seinem Sachbearbeiter übers Haustelefon an. „Als der ihn abholen wollte und die Sicherheitstür öffnete, hat der Mann sofort zugestochen“, so Dürwald. Er verletzte ihn am Bauch und am Oberkörper, floh und wurde durch die Polizeibeamten aus dem anderen Flügel ­widerstandslos festgenommen. ­Motiv: gekürzte Leistungen.

Am Dienstag geht es dem niedergestochenen Mitarbeiter „den Umständen entsprechend gut“, sagt Dürwald. Die Verletzungen seien aber „schon erheblich“. Gegen den Verdächtigen hatte es in der Vergangenheit schon mehrere Verfahren wegen Bedrohung und Körperverletzung gegeben.