Dire Dawa. Die Kindernothilfe holt in Dire Dawa die Ärmsten von der Straße, gibt ihnen Kleidung, Bildung und Hoffnung. Sie können dies unterstützen.
Kaido hat keine Buntstifte. Die Frauen auf ihren Bildern sind deshalb blass und nicht braun wie die Menschen um sie herum, auch ihre Kleider haben keine Farbe. Aber es sind schöne Frauen in schönen Kleidern in einer schönen Zukunft, in der Kaido eine Modedesignerin sein will, vielleicht. Noch zeichnet die 13-Jährige auf diesem zerknitterten Block eine Welt, die nicht ihre ist. Die Welt von Kaido war die Straße.
Die staubige, löchrige, ungepflasterte Straße von Dire Dawa im Osten Äthiopiens, einem Ort, in dem man die Großstadt nicht erkennt. Die einfachen Reihen einstöckiger Häuser, die oft nur Hütten sind mit unverglasten Fenstern, können nicht ausreichen für 340.000 Einwohner, und sie tun es auch nicht: Viele Menschen, unter ihnen Tausende Kinder, leben draußen, sie schlafen unter löcherigen Planen, die sie an trockene Äste knoten, oder unter – nichts. Man muss das so sagen: Sie liegen im Dreck.
Zum ersten Mal schlief das Kind in einem Bett
Dort fanden sie Kaido. Dieses Mädchen, damals nicht einmal zehn Jahre alt, hungrig, schmutzig, den Kopf schlimm entzündet. Die Leute von der Kindernothilfe nahmen sie mit, brachten sie in ihr Schutzzentrum, wo Kaido ein Bett bekam, „ein eigenes Bett“!, bezogen mit einem Meer aus rosa Rosen, eine Art Schließfach für ein Stück Seife und die Anziehsachen, die sie ihr gaben. „Ich hatte nichts!“ Und sie durfte duschen. Ein sanftes Lächeln fliegt über Kaidos ernstes Gesicht. „Das Gefühl des Wassers auf meinem Körper war großartig.“
Ein paar Monate durfte Kaido bleiben bei Sarah, der Hausmutter. Sarah half beim Waschen, sie versorgte ihre Wunden, kochte warmes Essen; das Kind bekam eine abgelegte Schuluniform und Hefte geschenkt, man schickte es in die Schule. Die anderen Mädchen im Zentrum nahmen Kaido in ihre Mitte, sie lernte schnell: Sie ist jetzt die Klassenbeste. Sie brachten ihr bei, „wie man Probleme löst“, wie man überhaupt lebt, sagt sie. Und sie sah dabei nicht, dass im „Schlafzimmer 1“ die Decke kurz davor ist einzustürzen, schon hängt sie tief und hat ein großes Loch, aber Kaido: Die hatte ja nie überhaupt ein Dach überm Kopf.
Der Vater sei tot, sagt die 13-Jährige, später erzählt sie, er sei gewalttätig gewesen; nehmen wir es also so: Für Kaido ist er gestorben. Und seine Verwandten wollten nicht helfen. In dieser Hoffnung war Kaidos Mutter Turye in die Stadt gekommen mit ihren beiden Mädchen und dem kleinen Sohn. Aber niemand half. Nur die Marktfrau, die sie schlafen ließ draußen vor ihrem Laden, zwischen Getreide-Säcken und dem Trog, in dem sie tagsüber Butter machte, auf nacktem Beton.
Im Schutzzentrum haben sie Kaido beigebracht, für sich selbst zu entscheiden, stark zu sein und „nie die Hoffnung zu verlieren“. Als der Tag kam, an dem sie zurückgehen sollte zu ihrer Familie, haben sie ein Fest gefeiert. Kaido war ein bisschen traurig, sie wollte nicht weg von den neuen Freundinnen. Aber auch ihre Mutter Turye, 37 Jahre alt oder 38, hatte die Straße inzwischen verlassen: Mit einem kleinen finanziellen Startkapital, das die Kindernothilfe ihr auf die Bank legte, konnte sie Gemüse kaufen, Tomaten in großen Kisten, sie ist jetzt eine Marktfrau.
Das Projekt, sagt Kaidos Mutter, hat ihre Tochter verändert
15 Birr kostet das Kilo Zwiebeln bei ihr, 46 Cent umgerechnet, und 50 Birr der Knoblauch, aber meistens kaufen die Leute nur eine Hand voll. Turye hockt auf einem Sack, in dem einmal gelbe Erbsen aus Amerika waren, darunter mit Zwiebelhaut und Bohnenhülsen bedeckter Lehm. Das Geld, weiche, rissige Scheine, stopft sie in eine Plastiktüte, die in einer Kunstledertasche um ihren Hals hängt. Kaido, sagt Turye, kam verändert aus dem Projekt zurück. „Unsere Situation war schlecht, wir haben Reste von anderen gegessen.“ Nun, sagt die Mutter, sei Kaido „ein anderer Mensch“, so strahlend, so stolz, sie ist der Kindernothilfe dankbar. „Ich liebe meine Kinder so sehr, aber ich habe nichts, was ich ihnen geben kann.“
Dabei kann sie ihnen nun etwas geben, etwas, das sich wie ein Heim anfühlt. Einen winzigen, nackten Raum zwar nur auf dem Grundstück der Kirche, zwei Matten auf dem Steinboden, sogar ein wackeliges Bettgestell. Eine zerschlissene Decke vor der leeren Fensterhöhle, ein Stickdeckchen, das einmal weiß gewesen sein muss, auf einem alten Röhrenfernseher, der schon lange nicht mehr läuft. Fließendes Wasser gibt es nicht, das Rohr weiter unten im Tal ist gebrochen. Jemand hat es versucht zu flicken, aber das Klebeband kann das Wasser nicht halten, ein trauriges Rinnsal versickert im trockenen Boden.
Das ist alles nicht viel, aber es ist ein Zuhause. Kaido, ihre Schwester Lesame (12) und der kleine Amanuel (5) sind wieder zusammen. Und die Mädchen können zur Schule gehen. Kaido, inzwischen in der sechsten Klasse, zieht liebevoll ein staubiges Englischbuch aus einem Tuch. Sie bekam es geschenkt für gute Leistungen. Es macht ihr Mut, es anzusehen: „Niemand“, sagt Kaido, „nimmt dir, was du gelernt hast.“
„Kaido“ bedeutet das „Versprechen“
Und: „Es kommen bessere Tage, denke ich immer.“ Vielleicht wird sie zeichnen, vielleicht Mode machen, vielleicht auch bloß Tomaten verkaufen wie ihre Mutter. Jedenfalls hat sie genug gelernt, um einmal ihr eigenes Geld zu verdienen, und die Kindernothilfe wird weiter auf sie aufpassen. „Kaido“ bedeutet auf Amharisch, einer der Sprachen Äthiopiens: das „Versprechen“.