Essen. Plötzlich hing das Bild des Nazi-Richters wieder in der Ahnengalerie. Jetzt hat das Landgericht Essen ein Problem mit seinem früheren Chef.
Mal hängt er, mal ist er weg. Nur Ruhe gibt Paul Heermann nicht, der Ex-Präsident des Landgerichts Essen. Jetzt bringt der Auftritt des Nazi-Richters in der Öffentlichkeit seine Nachfolgerin Monika Anders in die Bredouille. Denn wie geht man um mit einem Richter, dessen Kollegenstatus einem rechtschaffenen Juristen eigentlich die Schamesröte ins Gesicht treiben muss?
Es ist sein in Holz gerahmtes Bild, das am Essener Landgericht für widersprüchliche Entscheidungen sorgt. Ein kleines Messingschild gibt Auskunft über seine Amtszeit: 1933 - 1945. Dass im Schreckensregime des Adolf Hitler vor allem linientreue Richter eine Justizbehörde leiten durften, ist eigentlich jedem klar.
Ölgemälde hing jahrzehntelang in der Ahnengalerie
Trotzdem hing das Ölgemälde mit Heermanns Kopf jahrzehntelang im Präsidentenflügel des ehrwürdigen Landgerichts mit zuletzt 13 präsidialen Kollegen an der Wand. „Ehrentafel“, so hieß die Ahnengalerie. Ein nobler Platz für NS-Richter Paul Heermann.
In den 1990er Jahren änderte sich das Klima. Die Verstrickung der Juristen, die angeblich „nur“ das Gesetz befolgt hatten, mit den Nazis wurde immer deutlicher. Das NRW-Justizministerium gab am 9. August 1994 einen Erlass heraus, die NS-belasteten Richter doch bitte schön aus den „Ehrengalerien“ zu entfernen.
Und der Essener Staatsanwalt Bernd Schmalhausen ermittelte, dass Paul Heermann einer der schlimmeren NS-Richter gewesen sein muss. Recht gnadenlos sorgte er kurz nach der Machtergreifung durch die Nazis für die Entfernung von jüdischen Richtern und Rechtsanwälten aus dem Dienst. Schmalhausen: „Dabei war er manchmal schärfer als die Gestapo in ihren Stellungnahmen.“
Sohn eines Nazi-Opfers reagiert geschockt aufs Bild
Sensibilisiert hatte Schmalhausen der Besuch eines Mannes aus Israel: Baruch Bar Din, Sohn des ehemaligen Richters am Landgericht Essen Hermann Ferse, eines Juden. Als der Sohn in der Ahnengalerie das Bild von Paul Heermann erblickte, reagierte er geschockt: „Das ist der Mann, der meinen Vater damals unter so entwürdigenden und menschlich so schäbigen Umständen aus dem Amt gejagt hat.“ 1941 starb Ferse nach seiner Deportation in Minsk.
Gegen den Widerstand vieler Kollegen und des bis 1995 amtierenden Landgerichtspräsidenten Gero Debusmann, so erinnert sich Schmalhausen, habe er die Entfernung des Porträts aus der „Ehrengalerie“ verlangt. Zum Schluss hatte der Staatsanwalt Erfolg. Von den Gemälden blieben drei, die historische Wendepunkte der Gerichtshistorie markieren. Und nachdem Monika Anders die Leitung 1995 übernahm, erinnern viele Aktionen und Gedenktafeln an die Schrecken der NS-Juristen.
Plötzlich hängt sein Bild wieder im Gerichtsflur
Doch plötzlich hängt Paul Heermann wieder in einem Flur des Landgerichtes. Er ist der siebte Präsident, von rechts gezählt. Auf Wunsch der „Arbeitsgemeinschaft Historisches Treppenhaus“ kommen im Herbst 2017 die Bilder von elf Präsidenten zwischen 1822 und 1990 ans Tageslicht. Die ersten Wochen hängt Heermann kommentarlos dort, dann hat nur er ein Erläuterungsschild. Es hängt kaum einen Tag, wird Anfang November ersetzt durch eine allgemeine Tafel, nach der sinngemäß das Landgericht bis auf die NS-Zeit schon immer gegen Nazis war.
Im Gespräch mit der WAZ begründet Landgerichtspräsidentin Monika Anders die neue Ahnengalerie mit der historischen Korrektheit. Schließlich habe auch Heermann das Gericht geleitet, und mit der Galerie solle „niemand geehrt werden“. Die Bilder seien Teil einer Historienschau im denkmalgeschützten Flügel. Dort sollen mal Vitrinen stehen mit Erinnerungsstücken. Und Heermanns Bild? „Ich meine, es gehört dazu.“
Jetzt soll erneut überlegt werden
Einen Tag nach der Anfrage der WAZ lässt sie mitteilen, dass das Bild wieder abgehängt wurde: „Wir wollen das noch einmal überlegen.“ Seitdem prangt eine Lücke in der Galerie, auch die erklärende Tafel ist verschwunden.
Für Staatsanwalt Schmalhausen sind die neuerlichen Irrwege des Nazi-Richters völlig unverständlich: „Frau Anders ist jeder NS-Sympathie unverdächtig. Warum hat sie das gemacht, ohne Not? Das Bild sollte sie weglassen.“
Mit der historischen Genauigkeit ist es übrigens nicht so weit her. Denn irgendeine Hand hat nach dem Krieg wenige Tupfer frischer Farbe auf das Sakko von Paul Heermann gemalt. Wer sie heute abkratzt, wird darunter das Parteiabzeichen der NSDAP erkennen.