Essen. . Hunderte medizinische Studien starten jedes Jahr an den Uni-Kliniken. Genug Teilnehmer zu finden, ist eine Herausforderung für die Ärzte.

Manchmal kommt der Schmerz als Piekser, er kann sich aber auch wie der Wisch eines Weidezauns anfühlen, sagt Tanja Vacilotto. Die Erzieherin lässt sich freiwillig „beschmerzen“ am Uni-Klinikum Essen. Sie leidet unter Rückenschmerzen, die Ärzte hier haben ihr sehr geholfen, und nun will sie ihnen, der Forschung und damit auch anderen Patienten helfen, indem sie an einer Studie teilnimmt. Tanja Vacilotto bekommt kleine Stromstöße und muss eine Art Memory-Spiel am Computer absolvieren. So will Prof. Ulrike Bingel herausfinden, welchen Effekt chronische Schmerzen auf die Konzentration haben.

„Wir haben ein ganzes Arsenal an tollen Reizen“, schwärmt die Neurologin nur halb im Scherz: Elektrizität, Hitze, Eiswasser, Laser, Nadeln – man kann sich vorstellen, dass es schwierig ist, Patienten für solche Experimente zu gewinnen, auch wenn Tanja Vacilotto versichert, dass alles halb so wild ist. Aber es werden ja ständig händeringend Teilnehmer gesucht für Hunderte von Studien, und die allermeisten haben nichts mit Schmerzen zu tun.

„Du hast doch schon genug Schmerzen“, sagte der Sohn

Aber viele Patienten sind eben froh, wenn sie keine Klinik mehr sehen müssen, und der Aufwand wird nur entschädigt. In Vacilottos Fall gibt es für drei einstündige Sitzungen 120 Euro plus Fahrtkosten. Die 49-Jährige hat auch an ihren Sohn Fabio gedacht. „Mama, bist du denn verrückt“, hat der gesagt: „Du hast doch schon genug Schmerzen.“ Aber als Mechatroniker hat er selbst schon gelegentlich Rücken. Also antwortete die Mama: „Wenn du so alt bist wie ich, möchte ich nicht, dass du auch diese Odyssee zu all den Ärzten durchmachen musst. Vielleicht hilft diese Forschung dabei.“

Allein am Uniklinikum Essen starteten im laufenden Jahr rund 500 neue Studien, in Bochum sind es nach Auskunft der dortigen Ethikkommission rund 350. Und je nach Art der Studie braucht es mal Dutzende, mal Hunderte Teilnehmer. Wie wird aus Sinneswahrnehmungen Gedächtnis? Wie kann man aus Blutproben Informationen über eine Krebserkrankung gewinnen? Und haben Placebos auch dann einen Effekt, wenn der Patient weiß, dass es sich nur um Zuckerpillen handelt?

Letztere Studie spielt wieder in Essen bei Ulrike Bingel, der Leiterin des Rückenschmerz-Zentrums. Brigitte Grimmeisen ist hier schon lange Patientin und auch Kollegin in der Telefonzentrale. Eines Tages vor etwa sieben Jahren konnte sie ihren Arm nicht mehr richtig bewegen. Nervenentzündung, Bandscheiben, „seitdem ist nichts mehr so, wie es wahr“. Sie hat seither immer wieder an Studien teilgenommen, aus Idealismus, aber auch, weil sie es spannend findet, durchleuchtet zu werden von den modernsten Maschinen. In diesem Fall hat sie nur Placebos geschluckt und angekreuzt, dass sie keine Veränderung gespürt habe.

In der Regel wissen kranke Studienteilnehmer allerdings nicht, ob sie Medikamente oder Placebos bekommen. „Die Chance, an Medikamente zu kommen, die noch nicht zugelassen sind“, sagt Bingel, sei für viele ein großer Anreiz. „Aber es ist immer eine Herausforderung, ein freiwilliges Versuchskaninchen zu sein.“

Man unterscheidet zwischen klinischen Studien, die von der Pharmaindustrie getragen werden und solchen, die von den Forschern selbst angestoßen werden. Die größeren unter diesen werden oft von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mitfinanziert. Von Herbst 2013 bis Frühjahr 2017 sind dort 261 Anträge eingegangen, rund 15 Prozent hat die DFG bewilligt. Fördersumme rund 48 Millionen Euro. Die Industrie gibt dagegen ein Vielfaches aus. Laut Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (VfA) fließen in Deutschland rund 5,5 Milliarden Euro in die Arzneimittelentwicklung. „Mehr als die Hälfte dürfte auf klinische Studien entfallen“, so Sprecher Rolf Hömke. 2016 starteten 594 kommerzielle Studien, international ist das Platz zwei nach den USA (2360 Studien).

Doch auch die Unternehmen haben bisweilen Probleme, Studienteilnehmer zu finden, erklärt Dr. Siegfried Throm, Geschäftsführer beim VfA: „Wenn zu einer Krankheit zeitgleich viele Studien durchgeführt werden. Das ist derzeit etwa bei Asthma, Multipler Sklerose und Diabetes Typ 2 bei Kindern der Fall.“ Schwierig sei es manchmal auch, ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis zu erzielen, zum Beispiel treten Lupus oder Multiple Sklerose weit häufiger bei Frauen als bei Männern auf.

>> Info: Hier können sich Interessierte melden

Aktuell sucht die Uni-Klinik Essen im Bereich der Schmerzforschung Patienten mit chronischen Rückenschmerzen, mit chronischer Migräne, mit „Post-Zoster Neuralgie“ sowie gesunde Versuchsteilnehmer für verschiedene Studien.

Interessierte wenden sich telefonisch an das Uni-Klinikum unter 0201 / 723 2439 oder per Mail an ulrike.bingel@uk-essen.de. Bitte mit dem Betreff „Schmerzstudie“.